Redebeitrag für die Antikriegstagveranstaltung am 1. September 2020 in Heilbronn

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Atomwaffen abschaffen: Frieden und Gesundheit, statt Rüstungsausgaben und Krieg!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

am heutigen Antikriegstag denken wir zurück an die Opfer von Krieg und Faschismus.

Wir denken aber auch an das Heute und das Morgen und wir sind hier, um vor den Gefahren von Krieg und Militarismus zu warnen.

In vielerlei Hinsicht scheint dies heute so dringend, wie schon lange nicht mehr.

Das neue atomare Wettrüsten

Das gilt nicht zuletzt für die Gefahr eines neuen atomaren Wettrüstens und das ihm innewohnende Eskalationspotenzial.

Aktuell sind die USA dabei, ihr Arsenal an atomaren Langstreckenwaffen für mehrere hundert Mrd. Dollar zu „modernisieren“ – d.h. die Waffen werden zielgenauer, durchschlagskräftiger und einsetzbarer gemacht.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das  alles ist brandgefährlich.

Im Juni 2019 fand die geheime Joint-Publication 3-72 ihren Weg ins Internet. Sie belegt, dass die US-Nuklearstrategie im Ernstfall den frühzeitigen Einsatz von Atomwaffen vorsieht.

Also genau das, was Russland vorgeworfen wird, obwohl die russische Nukleardoktrin den Einsatz von Atomwaffen nur für den Fall einer lebensbedrohlichen Situation für den Staat vorsieht.

New Start

Gleichzeitig steht das gesamte System der Rüstungskontrolle, das dazu gedacht ist, atomare Rüstungswettläufe wenigstens etwas einzuhegen, kurz vor seinem endgültigen Zusammenbruch.

Erst kündigten die USA voriges Jahr den INF-Vertrag zum Verbot landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen.

Und nun steht auch der New-Start-Vertrag zur Begrenzung atomarer Langstreckenwaffen kurz vor dem Aus.

Er legt Obergrenzen für die strategischen Atomwaffen der USA und Russlands fest: 1550 Atomsprengköpfe und maximal 800 Trägersysteme.

Dieser New Start-Vertrag läuft am 5. Februar 2021 aus. Aktuell ist es fraglich, ob der Vertrag verlängert wird.

Beide Seiten haben zudem tausende von Sprengköpfen eingelagert, die ohne Vertrag schnell wieder scharf gemacht werden könnten.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Uhr tickt: es droht uns also die reale Gefahr, dass im Februar der letzte große Vertrag zur Eindämmung eines atomaren Wettrüstens den Gang der Geschichte geht.

Deutschland und die (europäische) Bombe

Und wie reagiert nun Deutschland auf dieses neue atomare Wettrüsten?

Regelrecht gruselig empfinde ich es, wie offen in jüngster Zeit auf die ein oder andere Art und Weise wieder eine deutsche Atombewaffnung gefordert wird.

Da zitierte etwa der Chefkommentator der Welt, Jacques Schuster, zustimmend einen Kollegen, der die deutsche Unterzeichnung des Atomaren Nichtverbreitungsvertrages als die „größte Eselei der deutschen Nachkriegsgeschichte“ bezeichnete – Zitat:

„‚Die größte Eselei der deutschen Nachkriegsgeschichte war die Unterschrift unter den Atomsperrvertrag‘, schrieb Johannes Gross vor Jahrzehnten. […] Sollten die Amerikaner unter Donald Trump oder einem seiner Nachfolger auf die Idee kommen, die Europäer ihrem Schicksal zu überlassen und die Nato für überflüssig zu erklären, muss eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft in letzter Konsequenz gemeinsam über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden. Verweigert sich Frankreich, die letzte Atommacht der EU, dieser Einsicht, wird es nicht mehr nur ein einzelner Publizist sein, der die deutsche Unterschrift unter den Atomsperrvertrag für eine Eselei hält.“

Im Prinzip gibt es unter den Atomwaffenbefürwortern drei Lager: Erstens diejenigen, die für eine Art neue Nachrüstung also mehr US-Atomwaffen plädieren; zweitens diejenigen, die eine Europäisierung der französischen Atomwaffen befürworten (zB Wolfgang Ischinger); und drittens die, die ganz unverhohlene eine deutsche Atombewaffnung fordern.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich denke unsere Haltung ist klar: Wir wollen keine amerikanischen, wir wollen keine europäischen und schon gar nicht wollen wir deutsche Atomwaffen. Basta!

Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen

Gerade mit Blick auf das drohende Ende des New Start-Vertrags sollte Deutschland nicht untätig herumsitzen.

Deutschland sollte endlich den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen, statt ihn weiter zu sabotieren. Das wäre ein großartiges Signal mit einiger Symbolwirkung!

Der Vertrag wurde u.a. von der Gruppe ICAN vorangetrieben und es haben ihn bislang über 80 Staaten unterzeichnet.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich mehr und mehr Städte dem ICAN-Städteapell anschließen, mit dem die Bundesregierung genau hierzu aufgefordert wird.

Darin heißt es – Zitat: „Unsere Stadt/unsere Gemeinde ist zutiefst besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen für Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt darstellen. Wir sind fest überzeugt, dass unsere Einwohner und Einwohnerinnen das Recht auf ein Leben frei von dieser Bedrohung haben. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob vorsätzlich oder versehentlich, würde katastrophale, weitreichende und lang anhaltende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. Daher begrüßen wir den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 und fordern die Bundesregierung zu deren Beitritt auf.“

Bislang haben sich 96 Städte und vier Bundesländer dem Apell angeschlossen – Heilbronn gehört seit Anfang des Jahres auch dazu (Gemeinderatsbeschluss, 20. Februar 2020).

Jetzt ist der Zeitpunkt, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit sie diesen Vertrag endlich tatsächlich unterzeichnet.

Das ist nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil sich damit die Lagerung von US-Atomwaffen in Deutschland im Rahmen der Nuklearen Teilhabe der NATO erledigt hätte.

Nukleare Teilhabe

Bekanntlich lagern 150 bis 200 taktische US-Atomwaffen in Europa – 20 davon in Deutschland, in Büchel.

Über die Codes verfügen nur die USA, im Ernstfall würden die Atomwaffen aber im Rahmen der Nuklearen Teilhabe der NATO von deutschen Piloten mit deutschen Flugzeugen ins Ziel geflogen.

Auch diese Waffen werden aktuell „modernisiert“ wie es so schön heißt – also aufgerüstet. Sie werden lenkbarer, zielgenauer und durschlagskräftiger gemacht – kurz: sie werden einsatzfähiger gemacht.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wie man es dreht und wendet, für den Verbleib dieser Waffen in Deutschland gibt es kein vernünftiges Argument. Sie sind gefährlich! Sie müssen weg!

Stattdessen will das Verteidigungsministerium Unsummen für neue atomare Trägersysteme ausgeben, die die alternden Tornados ersetzen sollen.

Erst kürzlich errechnete eine Studie, dass die 45 F-18, die in diesem Zusammenhang angeschafft werden sollen, zwischen 7,7 Mrd. und 8,8 Mrd. Euro kosten dürften!

Gesundheit statt Rüstung

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

solche Zahlen sind nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass uns die Corona-Krise mehr als deutlich vor Augen geführt haben, wo die eigentlichen Gefahren für Leib und Leben liegen, ein Schlag ins Gesicht.

Die Internationale Ärztevereinigung zur Verhinderung eines Atomkrieges hat ausgerechnet, dass von diesem Geld 100.000 Intensivbetten und 30.000 Beatmungsgeräte beschafft sowie 60.000 Pflegekräfte und 25.000 ÄrztInnen beschäftigt werden könnten.

Besonders zynisch finde ich, dass Bundeswehr und Rüstungsindustrie auch vom Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung profitieren sollen: 500 Mio. Euro sollen in ein neues Cyberzentrum gepumpt werden. Und gleich 3,2 Mrd. werden für vorgezogene Investitionen zur Verfügung gestellt!

Diese Milliarden sind Teil des Konjunktur- und Zukunftspaketes: Investitionen in die Rüstung haben weder etwas mit Konjunktur noch mit Zukunft zu tun!

Steigender Verteidigungshaushalt

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

dass Bundeswehr und Rüstungsindustrie vorne und hinten mit Geld vollgepumpt werden, muss endlich ein Ende haben!

Es wird immer der Anschein erweckt, als sei die Bundeswehr in den letzten zwanzig Jahren regelrecht kaputtgespart worden. Das hat mit der Realität nichts zu tun!

Im Jahr 2000 belief sich der Verteidigungshaushalt noch auf 24,3 Mrd. Euro. Er stieg bis 2014 auf 32,5 Mrd. an. Dann ging es bis 2018 auf 38,5 Mrd. hoch und dieses Jahr beträgt der Haushalt satte 45,2 Mrd. Euro!

Wir sprechen hier also über einen Anstieg des Verteidigungshaushaltes von 20 Mrd. Euro innerhalb der letzten 20 Jahre – selbst inflationsbereinigt handelt es sich hier um eine Erhöhung um fast 40 Prozent!

Weshalb angesichts dessen so getan wird, als hätte es Sparmaßnahmen gegeben, macht einen fassungslos.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wenn also die Frage gestellt wird, woher das Geld für die zweifellos enormen Folgekosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie kommen sollten, haben wir hier einen wichtigen Teil der Antwort!

Ende der Zivilmacht Europa

Doch auch das alles ist nur die Spitze des Eisbergs: Auch auf EU-Ebene wird derzeit über den nächsten EU-Haushalt verhandelt: Geplant sind eine – völlig verfälschend Friedensfazilität genannter – Topf zur Finanzierung von EU-Militäreinsätzen: Umfang  5 Mrd. Euro; ein Budget Militärische Mobilität für Infrastrukturmaßnahmen zur schnellen Truppenverlegung nach Osteuropa: 1,5 Mrd.; und nicht zuletzt ein Europäischer Verteidigungsfonds zur Erforschung und Entwicklung europäischer Rüstungsprojekte: 7 Mrd. Euro!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

eine Einigung über diese Töpfe steht kurz bevor. Damit wird die Europäische Union erstmals in ihrer Geschichte auch offiziell über Rüstungshaushalte verfügen.

Und das ist dann auch das endgültige Ende der vielbeschworenen Zivilmacht Europa!

Deutschland ist hier buchstäblich Spitze: Es wird zu diesen EU-Rüstungshaushalten mit 25 Prozent den größten Teil beisteuern – doch dieses Geld wird nicht aus dem Verteidigungshaushalt, sondern aus dem Allgemeinen Haushalt stammen!

Spitze ist Deutschland auch, wenn es darum geht, neue Rüstungsprojekte vor allem zusammen mit Frankreich anzubahnen:

Dabei geht es vor allem um eine waffenfähige Eurodrohne, einen Kampfpanzer und ein neues Kampfflugzeug.

Die Entwicklung dieser Waffensysteme wird viele Milliarden verschlingen und soll ganz wesentlich über den neuen EU-Verteidigungsfonds quersubventioniert werden.

Konversionsoffensive gegen Rüstungsoffensive

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das alles geht in eine wirklich Besorgnis erregende Richtung. Was wir deshalb benötigen ist eine Konversionsoffensive, die wir dieser Rüstungsoffensive entgegenstellen können.

Initiativen zur Umstellung der Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter waren noch nie so dringlich wie heute – das hat die Corona-Krise doch gezeigt.

Wir fordern:

  • Die sofortige Beendigung aller Auslandseinsätze er Bundeswehr!
  • Abrüstung statt Aufrüstung!
  • Gesundheit statt Rüstung!
  • Rüstungskonversion statt Rüstungsproduktion!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

einen letzten Aspekt möchte ich noch ansprechen – gerade am Antikriegstag.

Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht neue Details über rechtsextreme Netzwerke und Machenschaften in der Bundeswehr ans Licht gelangen.

Das sind keine Einzelfälle, das ist ein Sumpf! Und wir fordern, dass dieser Sumpf endlich trockengelegt wird!

Schon allein deshalb ist das Motto des Antikriegstages dringender denn je: Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!

 

Jürgen Wagner arbeitet für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.