Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Aachen

 

- Sperrfrist: 1 9.21, Redebeginn: 15 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Schaut hin! So lautete das Motto zum diesjährigen ökumenischen Kirchentag.

Vier Wochen vor der Bundestagswahl müssen wir genau hinschauen, auf das was gesagt, was gesprochen und was versprochen wird.

Zu oft schon wurde das Gesagte nicht eingehalten, wurden Versprechungen gemacht, als das wir nun heute einfach wegschauen könnten.

Schaut hin, hin diese Welt:

Schaut nach Afghanistan:

20 Jahre dauerte der Einsatz der Bundeswehrsoldaten dort. Lange Zeit durfte nicht gesagt werden, was wir schon lange gesehen haben, dass es sich um einen Kriegseinsatz handelt. Billionen von Dollar wurden ausgegeben. Kritik wurde zurückgewiesen „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ wurde uns gesagt.

Heute fragen selbst Soldatinnen und Soldaten nach der Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes.

Zu glauben, dieses Land befrieden zu können, war nicht nur blauäugig sondern auch riskant.

Es ist der falsche Zeitpunkt, liebe Friedens-Freundinnen und Freunde, Schuldzuweisungen auszusprechen.

Die Opfer die gebracht wurden und immer noch gebracht werden sind zu groß. Die Bilder vom Flughafen in Kabul sprechen Bände über die Ängste, die Menschen erleiden müssen. Todesängste.

Menschen, die auf Freiheit gehofft haben, Frauen, die ihre Rechte leben, Kinder, die Bildung erfahren wollten, Familien die miteinander in Frieden leben, feiern, tanzen und singen wollten. Für uns Selbstverständlichkeiten.

Wir wissen, dass das Taliban Regime anderes will. Wir wissen, dass die verschiedenen Gruppen der Taliban verfeindet sind - wir wissen nicht, was nun passieren wird.

Wir haben diese Menschen, die auf uns gesetzt haben, im Stich gelassen. Allen Warnungen zum Trotz sollte noch vor wenigen Wochen nach Afghanistan abgeschoben werden, weil es angeblich sichere Gebiete gibt.

Jetzt stehen wir vor einem Desaster und sehen zu, wie mit unseren Waffen, unseren Kriegsgeräten ein neuer Krieg entfacht wird. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben beispielsweise 10.000 Bundeswehpistolen erhalten, die jetzt sicherlich in den Besitz der Taliban gelangt sind. Alleine zwischen 2013 und 2016 statteten die USA die afghanische Armee und Polizei mit ca. 600.000 Schusswaffen, 76.000 Fahrzeugen und mehr als 200 Flugzeugen aus., wie die Zeitung Wall Street Journal vergangene Woche unter Berufung auf einen US Regierungsbericht berichtete. In Washington wird freimütig zugegeben, dass viel von diesem militärischen Gerät wohl jetzt in die Hände der Islamisten gelangt wären.

Wir dürfen die Menschen, die uns bislang geglaubt haben, nicht alleine lassen!

Wir fordern die Regierung auf, alles zu tun, wirklich alles, um die gefährdeten Menschen herauszuholen und in Sicherheit zu bringen. Jetzt gibt es noch die Möglichkeiten der Verhandlung. Auch die Taliban wissen, dass sie auf die Hilfe und Unterstützung des Westens angewiesen sind.

Schauen wir nicht zu, wie die Erfolge, die es ja auch tatsächlich gegeben hat, mit einem Schlag zunichte gemacht werden. Es ist noch Zeit, miteinander zu reden!

Schaut nach Syrien:

20 Jahre ist es her, dass in Syrien die Menschen, beseelt von den Protesten des arabischen Frühlings auf die Strasse gingen und friedlich protestierten für politische Reformen, für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Diese Proteste wurden niedergeschlagen, ein Bürgerkrieg brach aus.

Eine halbe Million Menschen musste ihr Leben lassen. 13 Millionen Syrer mussten ihre Heimat aufgeben. Fast sieben Millionen Syrer suchten Schutz im Ausland. Zerstörung, Unterdrückung, Verfolgung und desaströse wirtschaftliche Verhältnisse prägen die Region. Eingreifen oder nicht eingreifen? Politische Planspiele setzten ein. Das Veto von Russland und China stoppte die humanitären Hilfen der UN für dieses gebeutelte Land. Das Assad Regime, eigentlich abgewirtschaftet, wird finanziell unterstützt von Russland und dem Iran.

Der Krieg geht weiter. Verhandlungen scheitern am Veto Einzelner.

Schaut nach Mali.

Auch hier wütet seit 2012 ein unbeschreiblicher Krieg. Die Bundeswehr ist dort seit 2013 im Einsatz in einer UN Mission, die als der derzeit gefährlichste Einsatz der Vereinten Nationen gilt. Sie soll für die Befriedung eines Gebietes nahe der Sahelzone sorgen.

Seit mehr als 10 Jahren sorgen in Mali die Kombination verschiedener Konfliktlagen immer wieder für gewaltsame Auseinandersetzungen.

Kann es gelingen mit sogenannten UN Friedensmissionen die Stabilität eines Landes wieder herzustellen?

Wir können weiterwandern über unseren Globus. Unzählige Kriegs- und Krisengebiete gibt es noch, schauen wir nach Myanmar, nach Israel und Palästina, schauen wir in den Libanon oder, oder, oder. ...

Auch die Diplomatie und Aussenpolitik gerät ins Wanken, wenn es darum geht, unser Verhältnis zu Russland zu beschreiben. Auch hier gibt es keine klaren Positionen.

Auch hier gilt es, schaut genau hin,

fragt die Kandidat:innen nach Ihren Positionen, hinterfragt und lasst Euch nicht abspeisen mit fadenscheinigen Argumenten. Wer in den Bundestag einziehen will, der muss klar Position beziehen!

Berthold Brecht hat auf dem Wiener Weltkongress 1952 bereits sehr deutliche Worte gefunden:

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist sehr kurz.

Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.

Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben ... Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!

Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!

Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden“ (Zitat Ende)

Schauen wir hin, dass die Vorbereitungen von Kriegen rechtzeitig erkannt werden.

Haben wir den Mut, Verhandlungen zu führen.

Deutschland gehört zu den fünf größten Rüstungsexporteuren der Welt. Mit deutschen Waffen wird überall auf der Welt gekämpft.

Im Zeitraum von 2016 bis 2020 stiegen die deutschen Rüstungsexporte sogar deutlich zum Vergleichszeitraum 2011 bis 2016., obschon die Bundesregierung eine drastische Reduzierung angekündigt hatte.

Eine öffentliche oder parlamentarische Kontrolle des Rüstungsexportes ist fast unmöglich.

Um zu verhindern, dass deutsche Waffen weiterhin in menschenrechtsverletzende Staaten oder in Kriegs- oder Krisengebiete gelangen, sind neue, verbindliche gesetzliche Regelungen notwendig.

Die Frage stellt sich natürlich in diesem Zusammenhang auch, ob wir die 2% Verpflichtung gegenüber der NATO einhalten können und wollen. Die Einhaltung der 2% Verpflichtung – 2% des Bruttosinlandproduktes müssen in die Aufrüstung fliessen, bedeutet eine weitere Steigerung der schon jetzt sehr hohen Rüstungsausgaben. Wir haben in Deutschland wahrlich andere Sorgen, als den Rüstungsetat noch weiter aufzublähen: Klimawandlung und dadurch entstandene und weiter entstehende Schäden – da muss was passieren. Kinderarmut in Deutschland – kann und darf es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinder unter dem Existenzminimum leben müssen und der symbolisch stehende Schulranzen nicht gekauft werden kann. Wohnungslosigkeit von Familien, da weiterhin nicht in den sozialen Wohnungsbau investiert wird und Mieten für Familien mittlerweile – selbst hier in unserer Region – unerschwinglich werden, weil Investoren keine Grenzen gesetzt werden. Nur drei Beispiele, in denen dringend Investitionen und Entlastungen für Bürger:innen notwendig sind.

Wir müssen nach Alternativen suchen, Konflikte anzugehen und zu lösen. Konfliktlösung mit Waffengewalt und Drohgebärden mit einem unermesslichen Waffenarsenal kann und darf im 21. Jahrhundert nicht sein.

Schaut hin, was die Parteien in ihre Parteiprogramme geschrieben haben.

Fragt nach ob sich Bundestagskandidaten dafür einsetzen werden, dass ein restriktives Rüstungskontrollgesetz eingeführt wird, dass den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Drittstaaten grundsätzlich verbietet, sodass Rüstungsexporte nur in begründeten Ausnahmefällen und bei gesichertem Endverbleib genehmigt werden können.

Wir leben in einer Demokratie! Demokratie lebt vom konstruktiven Umgang mit Konflikten, sie gründet sich auf einer Streitkultur, die nicht abwertet und ausgrenzt, sondern andere Einschätzungen respektiert und nach Lösungen und Kompromissen sucht!

Wir sehen in der Zivilen Konfliktbearbeitung und im Zivilen Friedensdienst eine große Chance, Konflikte im Vorfeld wahrzunehmen und aufzugreifen und nach stabilisierenden Elementen zu suchen.

Wir sehen im Nachgang an Konflikte im Aufbau neuer zivilgeselschaftlicher Strukturen unter Aufarbeitung der gewaltbelasteten Vergangenheit, Chancen des friedlichen Miteinanders.

Mit dem „Aktionsplan für zivile Krisenprävention“ hat sich die Bundesregierung erstmals 2004 zum vorrangigen Ausbau von zivilen Instrumenten der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung in der Aussenpolitik verpflichtet.

Dazu gehört auch der Aufbau des Zivilen Friedensdienstes.

Die Stellen des Zivilen Friedensdienstes müssen weiter ausgebaut werden und drastisch erhöht werden. Wir fordern für den Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung, d.h. für die Ausbildung von Friedensfachkräften und die Unterstützung der Einsätze in Krisenregionen und zur Krisenprävention eine sichtbare Aufstockung der Haushaltsmittel.

Schaut hin, ob die Parteien bereit sind, statt in Rüstung in Krisenprävention zu investieren.

Jetzt ist die Zeit aus den Erfahrungen zu lernen und nicht immer wieder die gleichen Fehler zu machen.

Kriege und gewaltsame Konflikte, Klimakatastrophen und Dürre und Hunger sind immer Anlass für Flucht und Vertreibung.

Die europäische Union und ihre Mitgliedstaaten arbeiten seit Jahren daraufhin , den Zugang auf das Recht auf Asyl faktisch abzuschaffen. Zur Zeit sind weltweit mehr Menschen auf der Flucht als jemals nach dem zweiten Weltkrieg. Jedes Jahr ertrinken mehr als tausend Menschen auf der Flucht durch das Mittelmeer!

auch weil es keine staatl. Seenotrettungsprogramme gibt und die zivilgesellschaftlich organisierte Seenotrettung behindert uns kriminalisiert wird.

Das ist ein Skandal ohnegleichen!

Das Menschenrecht auf Asyl ist in Artikel 14 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben: „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.“

Dieses Menschenrecht wird an den europäischen Außengrenzen mit Füßen getreten.

Inzwischen gibt es haltbare Belege für eine Kooperation der EU Grenzschutzagentur Frontex, die der libyschen Küstenwache die Koordinaten von Flüchtlingsbooten übermittelt, deren Insassen dann aus internationalen Gewässern in küstennahe Gewässer und dann wieder auf das libysche Festland verbracht werden und damit menschenverachtender Behandlung unterworfen werden. Pushbacks sind auch an der bosnischen Grenze zu Kroatien gängige Praxis.

Ein Europa, dass den Schwächsten ihre Rechte nimmt und sie illegal und gewaltsam zurückschiebt und auf der anderen Seite Staaten mit Waffen und Gerät versorgt, um Grenzen abzudichten, kann nicht Teil einer Lösung sein, sondern ist selbst Teil des Problems.

Die EU verwendet viel Geld darauf, Flucht und Migration zu bekämpfen, anstatt sich intensiv darum zu bemühen, Ursachen von Menschenrechtsverletzungen und Gewalt zu bekämpfen, sowie die Klimakrise einzudämmen.
Europa und Deutschland haben Platz um Menschen aufzunehmen, die bei uns Schutz suchen. Jede Flucht hat Gründe, jede Flucht bedeutet die Aufgabe von Heimat und Familie. Setzen wir uns dafür ein, dass diese menschenverachtende Politik ein Ende hat!

Die Aufzählung von friedenspolitischen Forderungen ist noch lange nicht zu Ende. Täglich in den Nachrichten sehen wir mit eigenen Augen Unrecht und Gewalt.

Themen wie der Atomwaffenverbotsvertrag, die Stationierung von amerikanischen Atombomben im Umkreis von 120 km rund um Aachen, die Entwicklung von autonomen Kampfdrohnen, deren Bewaffnung noch ausgesetzt ist, aber immer wieder diskutiert wird, würden sich lohnen einer genauen Betrachtung zu unterziehen.

Dies alles kann nun ein Anstoss sein, ins Grübeln zu kommen, zu einer Politik, die wahrlich nicht dem Frieden dient.

Wir können die Aufzählung in unserem eigenen Lande fortsetzen: Rassismus, Ziganismus und Antisemitismus begleiten uns täglich.

Schaut hin!

Frieden braucht unser aller Engagement! Engagement bedeutet auch Forderungen zu stellen. Mit der Auswahl der Kandidat:innen in den und für den deutschen Bundestag können wir Weichen stellen, Weichen zu einer Politik der Abrüstung und des Friedens. Frieden braucht Engagement!

Deshalb:

Schaut hin!

Schaut genau hin!

Und stellt Fragen

Heute am Antikriegstag lasst uns einstimmen in die Mahnung von Berthold Brecht von 1952:

Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!

Am 26. September wählen wir einen neuen Bundestag.

Schaut hin!

Danke

 

Gerold König ist Bundesvorsitzender von pax christi - deutsche Sektion - internationale kath. Friedensbewegung.

 

Quellen:

  • Wiener Weltkongress für den Frieden 1952
  • Frieden braucht ihr Engagement – Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl am 26.9. AGDR, Brot, ORL, pax christi uvam
  • Bischofswort zu Afghanistan
  • Jürgen Grässlin – Rundbrief „Aktion Aufschrei“ vom 29.8.2021