Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Trier

 

- Sperrfrist: 1.9.21, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

                                                                                       

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

der Antikriegstag kann auch als Anlass genommen werden, um vor Kriegsgefahren zu warnen. Dabei muss auch über Atomwaffen gesprochen werden.

Zwar gibt es auch die Ansicht, dass Atomwaffen bisher Kriege verhindert haben. Zu einer solchen Debatte gab es ja vor einigen Wochen auch verschiedene Leserbriefe im Trierischen Volksfreund. Hierüber kann man also unterschiedlicher Meinung sein. Aber selbst dann, wenn es stimmt, dass Atomwaffen auch Kriege verhindert haben, muss dies nicht so bleiben.

Um dies zu verdeutlichen, möchte ich zunächst mit 2 Zitaten beginnen:

In einem Artikel der Süddeutsche Zeitung vom 12.6.2018 (Seite 11) wird zunächst beschrieben, warum das Atomkriegsrisiko heute wieder sehr hoch ist, vielleicht noch höher als zu Zeiten des Kalten Krieges in den 1980er Jahren. Dann heißt es dort:

„… Und doch gibt es heute keinen öffentlichen Aufschrei mehr, wenig Empörung, keine Massendemonstrationen. William Perry (ehemaliger US-Verteidigungsminister) ist einer derjenigen, die eine Erklärung für diese Gleichgültigkeit suchen. … Perry sagt, dass die Regierungen nicht mehr genügend Druck von ihren Bevölkerungen bekommen, weil die Bevölkerung nicht realisiere, wie groß die Gefahr sei. Es habe sich das Gefühl breitgemacht, dass die nukleare Gefahr mit dem Ende des Kalten Krieges weitgehend verschwunden sei. Im Kalten Krieg, so Perry, habe die Bombe immerhin für eine gewisse Stabilität gesorgt. Heute sei sie nur noch gefährlich.“

Das ist sehr vage, in diesem Zitat wird nicht ausgedrückt, warum Atomwaffen jetzt nur noch gefährlich sind.

Nun ein weiteres Zitat. Zitat aus dem Buch „Sicherheitspolitik verstehen“ (2. Auflage, 2021, S. 130) von Generalleutnant a.D. Kersten Lahl und Johannes Varwick (Prof. für Internationale Beziehungen und europäische Politik):

„Im Ergebnis lassen sich drei Folgerungen ableiten:

Zum ersten besitzen Nuklearwaffen ein Schadenspotenzial, welches das Überleben der gesamten Menschheit unter hohes Risiko stellt.

Genau deshalb konnten sie zweitens bisher eine eher krisenstabilisierende Rolle in der internationalen Praxis einnehmen – weil ein konkreter Einsatz für alle Seiten katastrophal wäre.

Es gibt aber drittens keine Garantie, dass dies immer so bleibt. Ganz im Gegenteil: Je mehr nukleare Akteure ‚mitspielen‘, je ausgereifter die technischen Entwicklungen werden und je komplexer sich damit das strategische Entscheidungsfeld um nukleare Einsätze und Einsatzdrohungen gestaltet, desto höher wird das Risiko einer mangelnden internationalen Beherrschbarkeit der Kategorie nuklearer Waffen.“

Auf diese drei Punkte des Zitats von Lahl und Varwick möchte ich nun etwas näher eingehen.

Erstens

Bei den Atombombenabwürfen 1945 bestand nicht das Risiko einer unkalkulierbaren Eskalation. Nur die USA verfügten damals über Atomwaffen. Wenn es heute zu einem Einsatz von Atomwaffen kommt, kann es innerhalb weniger Minuten zu einer Eskalationsspirale mit dem Abschuss vieler Atomwaffen kommen. Es kann schwer sein, einen solchen Prozess in der verfügbaren Zeit zu stoppen und die Auswirkungen zu begrenzen.

Selbst ein begrenzter Atomkrieg, z.B. zwischen Indien und Pakistan kann zu einem lang anhaltenden nuklearen Winter führen, der die gesamte Erde erfassen und die Landwirtschaft weltweit ruinieren würde. Im Falle eines Atomkrieges kann also das Überleben der gesamten Menschheit bedroht sein.

Zweitens

Die Abschreckungs-Doktrin besagt, dass ein Ausbruch eines Atomkriegs dadurch verhindert wird, dass eine Zweitschlagfähigkeit besteht. Wer ange­griffen wird, kann den Einschlag von Atomwaffen abwarten und hat danach immer noch genug Zeit und Potenzial, einen vernichtenden Gegenschlag auszuführen. Bei einer gefährdeten Zweitschlagfähigkeit könnte auch auf Basis einer frühen Erkennung eines gegnerischen Angriffs ein Gegenschlag ausgelöst werden, bevor die angreifenden Atomraketen einschlagen und eine Gegenreaktion erschweren oder verhindern. Zu diesem Zweck sind Frühwarnsysteme, basierend auf Sensoren und sehr komplexen Computer-Netzwerken entwickelt worden.

In Frühwarnsystemen kann es zu Fehlalarmen kommen, d.h. es wird ein Angriff gemeldet, obwohl keine Bedrohung vorliegt. Ursachen hierfür können z.B. Hardware-, Software-, Bedienungsfehler oder eine falsche Bewertung von Sensorsignalen sein. In Friedenszeiten und Phasen politischer Entspannung sind die Risiken sehr gering, dass die Bewertung einer Alarmmeldung zu einem atomaren Angriff führt. Die Situation kann sich drastisch ändern, wenn politische Krisensituationen vorliegen, eventuell mit gegenseitigen Drohungen oder wenn in zeitlichem Zusammenhang mit einem Fehlalarm weitere Ereignisse eintreten, die zur Alarmmeldung in Zusammenhang gesetzt werden könnten. Die Abschreckungsstrategie schützt also nicht vor einem Atomkrieg aus Versehen. In der Vergangenheit gab es einige Situationen, in denen es nur durch großes Glück nicht zu einem Atomkrieg aus Versehen kam.

Drittens

In den letzten Jahren hat ein neues Wettrüsten in verschiedenen militärischen Dimensionen begonnen. Die meisten dieser Entwicklungen sind noch am Anfang und die Folgen kaum kalkulierbar.  Dies gilt für neue Trägersysteme von Atomwaffen, wie Hyperschallraketen, die geplante Bewaffnung des Weltraums, den Ausbau von Cyberkriegskapazitäten und die zunehmende Automatisierung von Erkennungsaufgaben. Alle diese Aspekte spielen auch in Frühwarnsysteme zur Erkennung von Angriffen mit Atomraketen rein und werden die Komplexität dieser Systeme deutlich erhöhen. Unkalkulierbar sind hierbei insbesondere potenzielle Cyberangriffe, wobei auch Komponenten oder Daten eines Frühwarnsystems manipuliert werden könnten. Es gilt bereits heute, dass bei jedem Konflikt auch Cyberangriffe im Spiel sind und dies wird sich in Zukunft verstärken. Die zunehmende Komplexität der Gesamtkonstellation in Frühwarnsystemen führt zur Gefahr einer mangelnden Beherrschbarkeit dieser Systeme und der Kategorie Nuklearer Waffen.

Krisen

Besonders in Krisen ist die Gefahr groß, dass eine Bedrohungssituation falsch bewertet wird und zu einer fatalen Entscheidung führt. Dazu ein Beispiel: Im Januar 2020 wurde im Iran eine ukrainische Passagiermaschine aus Versehen abgeschossen, weil das Personal glaubte, ein Radarsignal könne von einem angreifenden Marschflugkörper stammen. Rein logisch hätte dies nicht passieren dürfen, denn das Radarsignal war für einen Marschflugkörper zu groß und es gab einen gültigen Flugplan der Passagiermaschine. Aber aufgrund des vorherigen Angriffs des Iran auf amerikanische Stellungen im Irak hatte der Iran mit einem Gegenangriff gerechnet. Und diese Erwartungshaltung war stärker als die rein logischen, sachlichen Aspekte.

Auch bei Frühwarnsystemen ist die Gefahr von Fehlkalkulationen und einer falschen Erwartungshaltung besonders groß in Krisen- und Konfliktsituationen. Solche Krisen- und Konfliktsituationen werden aber in Zukunft deutlich zunehmen und dazu trägt insbesondere der Klimawandel bei.

Klimawandel

Der Klimawandel wird vermutlich in den nächsten Jahrzehnten dazu führen, dass verschiedene Regionen unbewohnbar werden. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht vor allem viele Regionen in Asien, besonders die großen Flussdeltas. Extreme Hitzewellen führen dazu, dass Teile von Nordafrika und dem Nahen Osten unbewohnbar werden könnten. Mehrere Hundert Millionen Menschen leben dort und sind bereits jetzt vom Klimawandel stark betroffen.

Michael Klare ist amerikanischer Professor für Friedens- und Weltsicherheitsstudien und hat sich insbesondere mit militärischen Aspekten des Klimawandels beschäftigt (siehe https://futureoflife.org/2021/07/30/michael-klare-on-the-pentagons-view-...).

Er betont, dass auch das amerikanische Militär den Klimawandel als Bedrohungsmultiplikator betrachtet. In Regionen, die bereits instabil sind, könnte es in Folge immer knapperen Ressourcen wie Wasser, Lebensmittel, Wohnraum, Arbeit zu sozialen Zusammenbrüchen, Staatszerfall und zunehmendem Terrorismus kommen. Dies wird zu Massenmigration führen.

In Asien hängt die Wasserversorgung vieler Länder von den Gletschern des Himalaya ab, die immer mehr verschwinden. Viele wichtige Flüsse werden von verschiedenen Nationen gemeinsam genutzt, wobei es auch Umleitungspläne gibt, womit anderen Regionen das Wasser abgegraben würde. Eine zunehmende Wasserknappheit aufgrund des Klimawandels in diesen Regionen wird die Grenzstreitigkeiten (z.B. zwischen Indien und China, Indien und Pakistan) verschärfen und kann zu erheblichen Konflikten zwischen nuklear bewaffneten Staaten führen. Besonders gefährdet könnte Pakistan sein. Was passiert mit den Atomwaffen, wenn ein solcher Staat zusammenbricht?

Auch das Abschmelzen der Arktis in Folge des Klimawandels kann zu erheblichen Konflikten, auch zwischen Atomwaffenstaaten, z.B. USA und Russland führen.

Der Klimawandel wird also zu erheblichen Krisen und Konflikten führen. Als Folge werden Raketenangriffsmeldungen in Frühwarnsystemen deutlich gefährlicher. Aufgrund von Fehleinschätzungen und einer falschen Erwartungshaltung kann es dann leicht zu einem Atomkrieg aus Versehen kommen.

Was ist zu tun:

Klimawandel: Maßnahmen gegen den Klimawandel schützen auch vor einem Atomkrieg. Auch um einen Atomkrieg zu verhindern, ist es deshalb wichtig, die größtmöglichen Anstrengungen zu unternehmen, um die Erderwärmung zu bremsen.

Vertrauen und Kommunikation: Das Verhältnis zwischen potenziellen Konfliktpartnern muss dringend verbessert werden, also auch von uns zu Russland und China. Sonst besteht in Krisensituationen die Gefahr von Fehleinschätzungen und fatalen Entscheidungen. Vertrauen und Kommunikationsmöglichkeiten (rotes Telefon) sind heute deutlich schlechter als zu Zeiten des Kalten Krieges.

Abrüstung: Wichtig sind natürlich auch Abrüstungsvereinbarungen bzgl. Atomwaffen. Das seit 22. Januar geltende Atomwaffenverbot könnte hierfür eine gute Grundlage bilden.

Weiteres

Am Anfang meiner Rede hatte ich ja den ehemaligen US-Verteidigungsminister Perry erwähnt mit der Forderung, die Bevölkerung müsse den Regierungen mehr Druck machen. Eine gute Gelegenheit hierzu wäre z.B. die Menschenkette am kommenden Sonntag in Büchel. Dort werde ich auch mit einer kurzen Rede auf der Bühne stehen. Dies wird aber keine Wiederholung von heute sein, in Büchel werde ich andere Schwerpunkte wählen.

Wer sich weiter informieren möchte, findet im Internet viele Informationen, z.B. bei www.icanw.de oder bei www.atomkriegausversehen.de. Für Mittwoch, den 27. Oktober ist ein Vortrag „Atomkrieg aus Versehen“ in der Tufa geplant.

Vielen Dank.

 

Karl Hans Bläsius ist Hochschullehrer in Trier.