Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Esslingen

 

- Sperrfrist: 1.9.21, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde,

Wir stehen vor den erneuten Scherben des „War on Terror“, des angeblichen Krieges gegen den Terror. Der Krieg in Afghanistan, den so zu bezeichnen lange peinlichst vermieden wurde, wurde begründet mit dem Anschlag auf das World Trade Center, Bildern von Menschen in New York, die verzweifelt von den Türmen in den Tod stürzten. Er mündete nun in Bilder von verzweifelten Menschen in Kabul, die von Fahrwerken startendender US-amerikanischer Flugzeuge in den Tod fielen. Was als humanitärer Einsatz für Menschenrechte, Frauenrechte usw. propagiert wurde, endet nun damit, dass die Menschen im Land, die für die westlichen Militärs in Afghanistan gearbeitet haben, und auch diejenigen, die in Entwicklungsprojekten, im Bildungs- oder Medienbereich gearbeitet haben, einfach im Stich gelassen werden.

Es war die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA, so Bundeskanzler Schröder, und ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, mit denen die rot-grüne Regierung begründete, die Bundeswehr an den Hindukusch zu schicken. Zwei Jahre später im Irak wurde die Solidarität nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt. In Berlin demonstrierten über eine halbe Million gegen den Irakkrieg. Angeblich sollte Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzen. Dies erwies sich als Lüge. Das Ergebnis dieses Krieges war Chaos, das in die Herrschaft des IS mündete.

Auch in Libyen wurde von der deutschen Regierung erwartet, dass sie sich an der Intervention zum Sturz Ghaddafis beteiligt und ihr dann vorgeworfen, dass sie sich vor außenpolitischer Verantwortung drückt. Auch dieser Krieg führte ins Chaos, in die Herrschaft von Bürgerkriegsmilizen mit Foltergefängnissen für geflüchtete Menschen aus Afrika, die von europäischen Grenzschützern abgewiesen werden.

Nach Mali wurde die Bundeswehr aus Solidarität mit Frankreich geschickt. Das Militär in Mali, das fast vollständig Lehrgänge im Rahmen der EU-Ausbildungsmission durchlaufen hatte, putschte zweimal im letzten Jahr, im August 2020 und im Mai 2021. Thomas Schiller von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali sagte: "Sie haben einen Staat, der komplett dysfunktional ist. Und der auch das Problem hat, dass die malischen Eliten, seien es Militärs, seien es Zivilisten, in den vergangenen Jahren auch keine Verantwortung übernommen haben." Die Sicherheitslage verschlechtert sich immer mehr. Die Armee, die auch von unseren Militärs trainiert wird, bringt mehr Zivilisten um als Dschihadisten, ist in massive Korruptionsaffären verstrickt und hat kein Interesse daran, von einer zivilen Regierung kontrolliert zu werden.

Statt diesen nächsten gescheiterten „Krieg für Menschenrechte“ zu beenden, wird versucht, diejenigen, die gegen solche Kriege sind, als nicht regierungsfähig auszugrenzen. Und es wird erbittert gestritten, für die Bundeswehr Kampfdrohnen anzuschaffen, da dadurch unsere Soldaten geschützt würden. Bewaffnete Drohnen sind jedoch eine Art Einstiegsdroge in autonome Waffensysteme; der Übergang zur Voll-Autonomisierung ist fließend. Hier verliert die Bundesregierung Glaubwürdigkeit in ihren Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle und dem Einsatz für die internationale Ächtung autonomer Waffensysteme. Zudem ist der Einsatz von bewaffneten Drohnen und damit die Bereitschaft zum risikolosen Töten auch nach den traditionellen ethischen  Kriterien zur Rechtfertigung eines „Gerechten Krieges“, nach denen ein anderer Mensch nur unbeabsichtigt in Notwehr getötet werden darf, abzulehnen. Kampfdrohneneinsätze sind keine „Notwehr“- sondern Angriffs-Einsätze und insofern ethisch abzulehnen wie Hinrichtungen: als Terror.

Ich wohne in Stuttgart- Möhringen. Da ist seit 2008 das AFRICOM untergebracht, die US-Kommandozentrale für Militäreinsätze in Afrika, eine von 10 US-Kriegseinsatzzentralen, die zweite in Stuttgart nach dem EUCOM. Präsident George W. Bush wollte sie in Afrika ansiedeln, doch die afrikanischen Länder lehnten reihenweise ab, das traute sich die deutsche Regierung nicht.

Der erste große Kampfeinsatz des AFRICOM war 2011 die Operation Odyssey Dawn, die Militärintervention in Libyen zum Sturz Ghaddafis. Andere Brennpunkte sind der Krieg gegen Boko Haram in Nigeria und gegen die al-Shabab-Miliz in Somalia. Die USA wollen sich den Zugriff auf Afrika sichern in Konkurrenz vor allem mit China und zur Sicherung der Bodenschätze. Den Europäern geht es zunehmend um die Abwehr von Flüchtenden. Im Jahr 2017 räumte das AFRICOM die Existenz von 46 Militärstützpunkten der in Afrika ein, 15 davon dauerhaft.

Der Drohnenkrieg, bei dem Obama gegenüber Bush die Einsätze verzehnfacht hat und wöchentlich die Todeslisten absegnete, wurde unter Trump nochmals intensiviert. Die Todeslisten von CIA und Militärs beziehen sich auch auf Dschihadisten ohne Führungsrolle. Und die Angriffsentscheidungen werden nicht mehr nur auf höchster Ebene getroffen.

Wie funktioniert der Drohnenkrieg und welche Rolle hat das Africom? In einem Dossier der Süddeutschen Zeitung wird beschrieben, wie in Somalia der 50jährige Nomade Maxamed Abdullahi mit seinen Kamelen unterwegs ist, im Februar vor neun Jahren. Er verabschiedet sich von seinem Sohn Salman, der Ziegen hütet. Dann  patroullieren Kampfdrohnen der US-Air-Force am Himmel und übertragen ihre Bilder über Satellit zur rheinland-pfälzischen US-Basis Ramstein. Von hier wird der Kampf gegen islamistische Terror-Milizen gelenkt. Die militärische Verantwortung liegt im AFRICOM.

Die SZ schrieb: „Über jeden US-Drohnenangriff über Afrika, über jede einzelne dieser gezielten Tötungen wird in Stuttgart entschieden. Man kann sich darüber wundern, dass von deutschem Boden aus ein Krieg gesteuert wird, der völkerrechtlich mindestens höchst problematisch ist. Oder dass von deutschem Boden Exekutionen geplant werden, die nach deutschem Recht schlicht verboten sind. Es gibt Strafrechtler, die der Meinung sind, es müsste gegen die von Deutschland aus involvierten US-Soldaten wegen Mord ermittelt werden. Es gibt Verfassungsrechtler, die der Bundesregierung vorwerfen, die deutsche Verfassung zu brechen und sich an Völkerrechtsverbrechen mitschuldig zu machen.“ Soweit Zitat der Süddeutschen Zeitung. Dann wird beschrieben, wie die Familie in Somalia den zerfetzten Vater zwischen den toten Kamelen findet. Die USA waren auf der Jagd nach einem mutmaßlichen Dschihadisten von al-Shabab. Die Hinweise stammen aus Geheimdiensten wie dem BND, abgefangenen Mails, Telefonaten oder von Agenten aus Asylbewerberheimen. Die Drohnen werden in einem afrikanischen Stützpunkt in Stellung gebracht, gefeuert wird von New Mexiko aus.

Im Dokumentarfilm „National Bird“ erzählen US-Soldatinnen und Soldaten, wie die Drohneneinsätze ihr eigenes Leben zerstören, wie sie am Joy-Stick und am Feuerknopf im Adrenalin-Rausch sind, wie ihnen dann die Menschen auf den Staubwegen nicht mehr aus dem Kopf gehen, die sie auf dem Monitor sehen, die herumliegenden Körperteile, wie sie Leere und Sinnlosigkeit in die Suizid-Gefahr treibt. „Jeder, von dem man annimmt, dass er 16 Jahre oder älter ist, ist ein rechtmäßiges Ziel“, sagt die ehemalige Soldatin Heather, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. „Ich habe durch die Arbeit im Drohnenprogramm einen Teil meiner Menschlichkeit verloren. Was mich am meisten verstört: ich erfahre nie, wen ich getötet habe.“

Daniel erzählt, dass er gegen seine Überzeugung zum Militär ging, weil er obdachlos war. Weil er redete, wird er wegen Spionage verfolgt und ist untergetaucht. Eine Anwältin sagt, der emotionale Preis für die Soldaten ist unbeschreiblich. Ihre Mandanten haben Depressionen, Suizid-Gedanken, sind wirtschaftlich am Ende. Ein Opfer mit amputierten Beinen erzählt, wie sie in Afghanistan den Hubschraubern und Drohnen ihre Kinder entgegengestreckt haben, um zu zeigen, dass sie Zivilisten sind. Er ruft: Begeht keine Verbrechen mehr an der Bevölkerung. Das einzige, was wir wollen, ist, dass es aufhört.

In drei½ Wochen ist Bundestagswahl. Wofür stehen die Parteien in ihren Wahlprogrammen?

Die CDU/CSU fordert mehr als bisher Friedensmissionen wie auch Kampfeinsätze. Etwas vorsichtiger sieht die FDP dies in einer „vernetzten Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik“ und der Schutzverantwortung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  Beide wollen die EU zu einer „Sicherheitsunion“ ausbauen mit EU-Missionen und einem Hauptquartier. Sie streben eine europäische Armee an und eine enge zivilmilitärische Zusammenarbeit etwa in der Handels- und Außenpolitik, sowie einen nationalen Sicherheitsrat. Eine EU-Sicherheitsunion fordern auch die Grünen mit gemeinsamen EU-Auslandseinsätzen unter Beteiligung des EU-Parlaments. Sie sollen in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit eingebettet werden und ggf. auch militärische Schutzverantwortung in UN-Missionen wahrnehmen. Zurückhaltender äußert sich die SPD, hat aber grundsätzlich keine Vorbehalte gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Linke fordert deren dauerhaftes Ende und des Umbaus der Bundeswehr zur weltweiten Einsatzarmee. Die CDU/CSU will als einzige die Bundeswehr auch im Innern einsetzen, um „terroristische Gefahren bewältigen zu können“.

Die CDU/CSU bekennt sich zur Teilhabe Deutschlands an Atomwaffen innerhalb der NATO. Damit erübrigt sich für sie der deutsche Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag. Die FDP umgeht diese Punkte und plädiert für nukleare Abrüstung in Verhandlungen der Atommächte. Die SPD will Deutschland als Beobachter bei der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrags, wie auch die Grünen, will aber auch den Abzug und die Vernichtung der in Deutschland stationierten Atomwaffen, die Grünen den Verzicht der NATO auf jeden Erstschlag. Die Linke lehnt die atomare Abschreckung und die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland generell ab.

Die CDU/CSU will eine Modernisierung der Bundeswehr mit unbemannten und mit künstlicher Intelligenz gesteuerten Systemen und auch bewaffnete Drohneneinsätze erlauben. Auch die SPD will Drohnen zum Schutz deutscher Soldaten, macht aber die Entscheidung über ihre Bewaffnung von einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte abhängig. Auch die Grünen fordern eine Klärung der Einsatzszenarien, vor einer Beschaffung bewaffneter Drohnen. Ein Einsatz für extralegale Tötungen ist für sie verfassungswidrig. Die Linke lehnt nicht nur die Drohnenbewaffnung ab, sondern auch deren Einsatz und Steuerung durch die USA in Ramstein.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

es geht nicht nur darum, wählen zu gehen und bei der Bundestagswahl Frieden und Abrüstung zur Wahlentscheidung zu machen. Es geht auch darum, die Stimme zu erheben und Meinung zu bilden in der Öffentlichkeit und im bekannten- und Freundeskreis. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratie und zum Frieden. Ich möchte hier ausdrücklich dem DGB danken für seinen klaren Aufruf zum heutigen Antikriegstag für eine Politik der Abrüstung und Entspannung.

Ich danke allen, die sich in Parteien für eine Politik des Friedens einsetzen. Ich danke dem Friedensbündnis Esslingen und dem DGB-Kreisverband für die Kundgebung heute, und allen die mitmachen und mitgestalten.

Wir wollen, dass Deutschland keinen Krieg mehr führt, dass unser Land abrüstet statt aufrüstet, Rüstungsexporte beendet, dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt, für den Abzug von Atomwaffen in unserem Land sorgt und Kampfdrohnen ablehnt.

Wir wollen eine geeinte Welt, in der Armut und Hunger bekämpft werden mit den Billionen, die Waffen kosten, und in der diese für Gesundheit, Bildung und Umwelt ausgegeben werden.

Ich ende mit einem Wort von Papst Franziskus: "Ich will mir den Schrei zu eigen machen, der mit wachsender Sorge aus jedem Teil der Erde, aus jedem Volk, aus dem Herzen eines jeden aufsteigt, aus der ganzen Menschheitsfamilie: Das ist der Schrei nach Frieden!

Der Einsatz von Gewalt führt niemals zum Frieden. Krieg bringt Krieg hervor, Gewalt bringt Gewalt hervor!

Wir wollen eine Welt des Friedens, wir wollen Männer und Frauen des Friedens sein, wir wollen, dass in dieser unserer Gesellschaft, die von Spaltungen und Konflikten durchzogen wird, der Friede ausbreche! Nie wieder Krieg! Nie wieder Krieg!" (1.9.2013)

Danke für euer Kommen! Und Danke für eure Liebe zum Frieden und eure Unermüdlichkeit.

 

Odilo Metzler ist aktiv bei Pax Christi.