Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2024 in Bremen

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

seit über zweieinhalb Jahren tobt der Krieg in der Ukraine. Es ist Zeit zu fragen: Was wurde erreicht?

Deutschland hat eine Menge Geld ausgegeben. Das Auswärtige Amt – sicher nicht an Übertreibung interessiert – spricht von 28 Mrd. Euro bis Ende Oktober 2023. Nun sind weitere zehn Monate dazugekommen - man muss von mindestens 35 Mrd. Euro ausgehen. Doch das sind nur die direkten Zahlungen. Nimmt man auch die Schäden hinzu, die durch die Sanktionen gegen Russland und damit durch die höheren Energiepreise entstanden sind, so kommt man nach Auffassung des DIW auf mehr als 200 Mrd. Euro.

Militärisches Engagement gibt es nun mal nicht zum Nulltarif.

Dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Man kürzt im Haushalt – man gibt weniger aus für Klimaschutz, weniger für die Bildung, weniger für die Infrastruktur. Das spüren die meisten Menschen in Deutschland, insbesondere die, die weniger verdienen. Die Entscheidungsträger selbst sind vermutlich am wenigsten betroffen.

Aber die finanzielle und soziale Seite ist nicht die einzige Konsequenz. Die Atmosphäre in unserem Land hat sich verändert. Kritiker haben es sehr viel schwerer. Wer gegen Waffenlieferungen ist, muss doch ein Putin-Versteher, vielleicht sogar ein Putin-Freund sein. Und wenn er dann auch noch erzählen würde, dass in einem

Moskauer Park ein erbeuteter Leopard-Panzer ausgestellt ist, dann wäre er endgültig ein verabscheuungswürdiger Mensch. Wer sagt, dass wir uns in Europa und Deutschland mehr auf unsere eigenen Interessen besinnen sollen, wird als Nationalist qualifiziert, vielleicht sogar als Rechtsradikaler. Der Andersdenkende wird als böser, moralisch minderwertiges Mensch gesehen. Im Krieg gibt´s nur noch „Gut“ und „Böse“. Der Kampf für „unsere“ Freiheit, der am Hindukusch verloren ging, wird in der Ukraine fortgesetzt.

Aber muss man nicht dem Opfer eines Angriffskrieges helfen? So einfach liegen die Dinge leider nicht.

In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat es zahlreiche Angriffskriege gegeben – ich erinnere nur an den

Kosovo, den Irak oder an Afghanistan. Sind wir da dem angegriffenen Land beigesprungen? Ganz im Gegenteil, im Kosovo waren wir mit dabei. Wir haben uns zwar nicht am Irak-Krieg beteiligt – aber logistische Hilfe wurde durchaus geleistet. Ein Offizier der Bundeswehr namens Pfaff hat allerdings seine Mitwirkung verweigert und wurde deshalb mit einem Disziplinarverfahren überzogen. Doch das Bundesverwaltungsgericht sprach ihn frei: Der Krieg der USA gegen den Irak sei völkerrechtswidrig gewesen. Das war ein höchst bemerkenswertes Urteil, das viele Leuten Mut geben kann, auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Deshalb erfährt man davon in den Mainstream-Medien kaum etwas. Sonst könnte ja jemand auf die Idee verfallen, einen solchen Offizier für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen. Oder vielleicht gar noch weiter zu denken und zu verlangen, dass die

Verantwortlichen für den gerichtlich festgestellten Angriffskrieg zur Rechenschaft gezogen werden. Das passt nicht in die Landschaft.

Und in Afghanistan? Haben wir die Afghanen verteidigt, als sie völlig zu Unrecht verdächtigt wurden, an den Attentaten vom 11. September beteiligt zu sein? Nein, wir haben die Bundeswehr hingeschickt, um Brunnen zu graben und den Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Dass dabei ein paar Kollateralschäden in Form von toten Afghanen entstanden sind, sei zu bedauern – wird uns gesagt. Und heute: Viele Afghanen, die mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, müssen um ihr Leben fürchten; ein Visum für die Einreise nach Deutschland bekommen sie nicht.

Gut, aber ist die Hilfe für die Ukraine nicht vielleicht eine Korrektur dieser zynischen Politik? Das könnte allenfalls dann einleuchten, wenn wir die Chancen zum Frieden genutzt hätten. Wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs hatten die russische und die ukrainische Regierung in Istanbul ein fast unterschriftsreifes Abkommen ausgehandelt – mit Hilfe der türkischen und der israelischen Regierung. Die Ukraine hätte auf die NATO-Mitgliedschaft verzichtet, die

russisch-sprachigen Ukrainer hätten ihre Minderheitsrechte wieder bekommen – und dafür hätten sich die Russen auf die Grenzen zurückgezogen, die vor dem Krieg bestanden. Doch der Westen intervenierte und verhinderte die ukrainische Unterschrift. Mittlerweile ist dies alles sogar vom ukrainischen Verhandlungsführer bestätigt worden.

Es gab also die Chance zum Frieden, aber sie wurde nicht genutzt. Unsere Regierung hat nichts getan, sie hat geschwiegen. Keine Spur von eigener Initiative. Ersichtlich wollte sie dem Großen Bruder nicht widersprechen.

Aber warum hat der Westen den Krieg fortgesetzt? Weil man die Russen schwächen wollte, durch die Kosten des Krieges, durch Wirtschaftssanktionen, vielleicht sogar durch eine militärische Niederlage. Das ist damals offen erklärt worden.

Und was ist bei dieser Politik herausgekommen?

Jeden Tag sterben Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Menschen. Exakte Daten sind nicht verfügbar. Jede Seite schreibt der anderen enorme Verluste zu, und die

eigenen halten sich in engen Grenzen. Die Ukraine ist ein zerbombtes Land. Das alles hätte man vermeiden können, wenn man am Frieden, und nicht an der Schwächung der Russen interessiert gewesen wäre.

Heute ist die Ukraine im Begriff, eine militärische Niederlage zu erleiden. Es fehlt ihr bisweilen an Munition, insbesondere aber an Soldaten, denn die Verluste fallen ins Gewicht. Viele ukrainische Männer, die eigentlich an die Front müssten, sind ins Ausland geflohen. Mehr als 250.000 Tausend haben allein bei uns Unterschlupf gefunden. Sie können dem „Kampf für die Freiheit“ nichts abgewinnen und wollen kein Kanonenfutter werden, sondern weiterleben. Ich gebe zu, dass ich für diese Leute Sympathie empfinde.

Wichtiger noch ist, dass die US-Hilfe zurückgeht, weil der Kongress weniger Mittel bereitstellt. Und wenn Trump gewählt wird, wird es mit der bisherigen Politik ziemlich schnell zu Ende sein. Nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus wirtschaftlichen Gründen: Einige Leute in den USA haben erkannt, dass das Kämpfen auf fremden Kontinenten einfach zu teuer wird. Es lohnt sich nur für die Rüstungsindustrie, nicht aber für den Rest der Wirtschaft. Warum die Milliarden nach Afghanistan oder in die Ukraine schicken, wenn man das Geld zu Hause braucht? Diese Menschen sind eindeutig klüger als unsere Regierung.

Welche Konsequenzen sollte man aus dieser Situation ziehen? Es liegt im Interesse der Ukraine, möglichst schnell zu einem Waffenstillstand zu kommen. Je länger man wartet, umso schlechter wird die militärische

Ausgangslage. Putin hat in seinem Interview mit Tucker Carlson erklärt, dass er grundsätzlich zu Verhandlungen bereit sei – man sollte ihn beim Wort nehmen. Wenn wir einen Bundeskanzler hätten, der Frieden will, hätte er längst die Initiative ergriffen. Aber das ist nicht sein Ding. Bisher war er fast immer ein Getriebener – erst hat er „nein“ gesagt, und anschließend dann doch zugestimmt, wie die Sozialdemokraten bei den Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg. Das war bei den Leopard-Panzern so, aber auch bei anderen Waffen. Nur beim Taurus war es anders, aber da waren auch die Amerikaner nicht dafür. Ein solches Verhalten schafft keine Zustimmung in der Bevölkerung, sondern untergräbt die Autorität der Gewählten. Stattdessen sind wir nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine. Statt sich in der Tradition von Willy Brandt um ein Ende des Krieges zu bemühen, macht man bis zuletzt mit.

Und wie steht Deutschland da, wenn Trump gewählt wird

und ins Weiße Haus einzieht? Er regelt dann die ganze Geschichte zusammen mit Putin; vermutlich wird die Ukraine alle Provinzen verlieren, die heute schon ganz oder teilweise von den Russen besetzt sind. Dann hat man völlig umsonst Opfer gebracht, über 200 Mrd. Euro in den Sand gesetzt. Die Bedingungen sind dann für die Ukraine sehr viel schlechter, als wenn es heute zu einem Waffenstillstand käme.

Und Deutschlands Stellung in der Welt? Für die USRegierung sind wir dann uninteressant, gewissermaßen die Leute von gestern, ein Überbleibsel der Biden-Administration. Die Russen werden nicht unsere Freunde sein, das versteht sich von selbst. Und die Sympathie der Chinesen hält sich ebenfalls in Grenzen,

seit unsere Außenministerin den chinesischen Staatspräsidenten einen Diktator genannt hat. Auch stellt die veröffentlichte Meinung die Chinesen mehr oder weniger deutlich in die Ecke des Bösen. Mit England oder Frankreich sind wir auch nicht immer ein Herz und eine Seele – wo haben wir da noch Freunde? Doch ein Blick in die Zukunft ist unserer Regierung fremd. Irgendwie sind alle Beteiligten froh, wenn sie einen notdürftigen Kompromiss über aktuelle Fragen gefunden haben.

Dazu kommt, dass wir auch sonst einige Minuspunkte gesammelt haben. Da haben wir eine Außenministerin, die eine feministische und wertegeleitete Außenpolitik machen will. Doch sie will den Saudis Eurofighter liefern – die Stellung der Frau in Saudi-Arabien ist da plötzlich ohne Bedeutung, dass dort auch mal Journalisten

umgebracht werden, verdrängt man ebenfalls. Dass mehr als 30.000 palästinensische Zivilisten im Gaza-Streifen durch israelische Bomben umgekommen sind, wird nicht wirklich öffentlich verurteilt oder gar mit Sanktionen belegt.

Dies alles ist international wahrnehmbare Heuchelei – der erhobene Zeigefinger der Deutschen geht immer nur in eine Richtung. Und zugleich vergisst man, dass die übrigen Finger der Hand auf einen selbst, auf Deutschland zurückzeigen.

In dieser Situation erklärt die Regierung ihr Einverständnis, ab 2026 wieder amerikanische Mittelstreckenraketen hier zu stationieren. Wegen der kurzen Vorwarnzeiten erhöht dies die Kriegsgefahr, so wie dies einstens Pershing II - Raketen und Cruise Missiles getan haben. Wir sind wieder im Jahr 1983 angelangt. Abrüstungserfolge werden zunichte gemacht. Die Regierung sagt zu allem Ja und Amen, folgsam und programmgemäß blinkt die Ampel. Man muss sich nicht wundern, wenn manche Leute immer noch von einem „besetzten Land“ sprechen. Dieser Zustand sollte endlich beseitigt werden.

Wenn man so weiter macht wie bisher, wird unsere Stellung in der Welt immer schlechter. Es liegt im Interesse Deutschlands, sich nicht bedingungslos an die US-Politik zu ketten. Wir müssen uns endlich auf unsere eigenen Interessen besinnen, wirtschaftlich, aber auch politisch.

Warum nicht eine deutsche Friedensinitiative ergreifen? Wir könnten z. B. sagen, und das wäre eine Art

Kompromiss: Wir liefern keine Waffen mehr, sobald nicht mehr geschossen wird. Das wäre ein Anreiz für die Russen, auf diesen Vorschlag einzugehen und in Verhandlungen einzutreten. Und die Ukrainer würden unsere Unterstützung verlieren, wenn sie einen Waffenstillstand ablehnen würden. Wäre das nicht den Versuch wert?

Wir wollen keinen Krieg in Europa, wir wollen ein friedliches Zusammenleben. Diplomatie ist der bessere Weg. Irgendwann müssen auch die Regierenden zu dieser Erkenntnis kommen. Hoffen wir mal, dass dieser Lernprozess heute Abend durch die Wahlergebnisse einen heftigen Impuls bekommt. Scholz und Baerbock hätten ein solches Stück Nachhilfe verdient.

Ich danke Euch.

 

Prof. Dr. Wolfgang Däubler ist Jurist und Arbeitsrechtler.