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vom:
Februar 2000


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  Schwerpunkt: Rüstungsexport

Repressionstechnologie und "nicht-tödliche" Waffen - eine Grauzone des weltweiten Kleinwaffenhandels

"Sicherheitsausstatter"

Mathias John

Ein ganz besonderes Segment des internationalen Rüstungsmarktes wird im Schatten des weltweiten Waffenhandels kaum öffentlich wahrgenommen. Sind es in Kriegen und Bürgerkriegen mittlerweile vor allem die klassischen Kleinwaffen, die häufig gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kommen, so nutzen Militär, Polizei und sonstige "Sicherheits"kräfte im Alltag menschenrechtsverletzender Staaten nicht mehr allein hausgemachte Folterwerkzeuge. Zunehmend kommen Produkte industrieller Fertigung zum Einsatz, gerne euphemistisch als "moderne Sicherheitstechnologie", "Nahverteidigungsmittel" oder "nicht-tödliche Waffen" bezeichnet. Ein Blick in die Kataloge oder Internet-Angebote einschlägiger "Sicherheitsausstatter" macht deutlich, um was es sich dabei handelt: Fesselwerkzeuge von der "Daumenfessel" bis hin zur Fußkette, Schlagstöcke und Totschläger in allen Variationen, viele Arten moderner Elektroschockwaffen und nicht zuletzt Tränengas und Plastikmunition. Und gerade das Interesse unter anderem der USA (z.B. mit dem "Joint Non-Lethal Weapons Program" des Pentagon) an Erforschung und Entwicklung "nicht-tödlicher" Waffen zeigt, dass die Bedeutung solcher Rüstung zukünftig noch zunehmen wird.

Berichte von Menschenrechtsorganisationen dokumentieren Jahr für Jahr, wie schon jetzt mit solchen "nicht-tödlichen" Waffen gegen öffentliche Meinungsäußerungen und Proteste vorgegangen wird - friedliche Demonstrationen werden mit Knüppeln, Plastikgeschossen oder Tränengas ohne Rücksicht auf Leben oder Gesundheit zerschlagen. Die Misshandlungen setzen sich vielfach in der Haft weiter fort, Folter ist in vielen Staaten immer noch an der Tagesordnung. Seit Anfang der 90er Jahre werden dabei zunehmend "moderne" Elektroschockwaffen eingesetzt, Folterer scheinen diese vor allem zu bevorzugen, weil sie weniger bleibende Spuren bei den Opfern hinterlassen. Nach einem Bericht aus dem ehemaligen Zaire wurde ein Gefangener zunächst mit Knüppeln geschlagen, bis ein Offizier dies verbot: "Das wird Narben hinterlassen, und dann werden wir Beschwerden von amnesty international erhalten". Stattdessen befahl er die Verwendung eines Elektroschockers.

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Immer wieder behauptet die Werbung der Waffenhändler, Elektroschocker seien bei "ordnungsgemäßer" Anwendung "medizinisch sicher" und "nicht tödlich". Dabei stellte eine Untersuchung aus dem britischen Innenministerium 1990 für Geräte mit einer relativ niedrigen Spannung hohe Risiken von Lähmungserscheinungen bis hin zu lebensgefährdenden Auswirkungen fest. Bei den immer höheren Spannungswerten der Elektroschocker - Geräte in den 80er Jahren wiesen häufig nicht mehr als 10.000 Volt auf, heute werden sie von 50.000 bis 250.000 Volt angeboten - sind die Gefahren heute sicher noch höher einzustufen.

Der Einsatz von Elektroschockern bleibt aber nicht auf Folter in Haft beschränkt, immer mehr Polizeikräfte oder private "Sicherheits"dienste werden mit Elektroschockwaffen zum Einsatz auf der Straße ausgerüstet. So lösten in Südafrika 1996 private Sicherheitsleute mit Elektroschockwaffen bei einer Menschenmenge eine panische Massenflucht aus, bei der etwa 16 Personen starben. Einige Polizeieinheiten in den USA sind mit "Taser"-Elektroschockwaffen ausgestattet, deren Einsatz schon schwerwiegende Verletzungen und Todesfälle verursacht hat. "Taser" sind Schussapparate, mit denen kleine Metallpfeile an Leitungsdrähten verschossen werden, um dem Opfer dann über größere Distanz Elektroschocks von 40.000 bis 50.000 Volt zu versetzen.

Zum gewaltsamen Einsatz gegen Menschenmengen setzen "Sicherheits"kräfte auch Tränengas in unverhältnismäßiger Weise z.B. direkt in Gebäuden ein, was die Gefahr schwerwiegender Verletzungen bis hin zu Todesfällen erhöht. Eine Vielzahl von Berichten liegt über die tödlichen Gefahren der angeblich "nicht-tödlichen" Plastikgeschosse vor. So forderte amnesty international erst kürzlich Untersuchungen zum offensichtlich wahllosen Einsatz solcher Munition gegen die Demonstrationen anlässlich der WTO-Tagung in Seattle im Winter 1999.

Es ist zu befürchten, dass die bekanntgewordenen Übergriffe nur die sichtbare Spitze des Eisberges sind. Lässt sich die Spur der Ausrüstung einmal zurück in das Herkunftsland verfolgen, wie 1997 in Kenia eingesetzte Tränengasgranaten und Plastikgeschosse aus Großbritannien, offenbart sich später das Defizit europäischer Rüstungsexportkontrollen insbesondere in diesem Rüstungsbereich: Nachdem die britische Regierung keine Tränengasexporte nach Kenia mehr zulässt, unterläuft die kenianische Regierung offensichtlich dieses Verbot - 1999 fand amnesty international nach einem Einsatz der kenianischen Polizei gegen DemonstrantInnen Tränengasgranaten eines französischen Herstellers!

Häufig haben klassische Kleinwaffen und die hier beschriebene Repressionstechnologie die gleichen Lieferanten - in vielen Fällen werden sie aus den großen Waffenexportländern an die menschenrechtsverletzenden Staaten, in die Kriegs- und Krisengebiete geliefert. Der Verbreitung von "nicht-tödlichen" Waffen und Unterdrückungstechnologie dienen unter anderem Rüstungsmessen oder sogenannte "Fachmessen für Sicherheit", auf denen dem interessierten "Fachpublikum" auch die ganze Palette von Elektroschockern und anderer "Sicherheits"technologie angeboten wird. Auch in Deutschland finden solche Messen statt, sie richten sich u.a. explizit an ausländisches Publikum - so warb eine solche Messe damit, dass 1996 "22 Prozent aller Gäste sowohl aus dem europäischen Ausland wie auch aus Amerika, Asien, Afrika und Australien anreisten".

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Die ganze Dimension von Produktion und Handel mit Repressionstechnologie und "nicht-tödlichen" Waffen bleibt in der Grauzone fehlender gesetzlicher Kontrollen, mangelnder Transparenz und weitgehender Geheimhaltung auf der Seite der Staaten und Firmen verborgen - ähnlich wie auch im Bereich der klassischen Kleinwaffen. Nur in wenigen Staaten werden z. B. Elektroschocker als verbotene Waffen behandelt. So hat beispielsweise Deutschland erst 1997 eine Genehmigungspflicht für den Export von Elektroschockern eingeführt - nachdem amnesty international dies über lange Zeit immer wieder angemahnt hatte. Angesichts fehlender Regelungen in vielen anderen Staaten bleiben jedoch vielfältige Schlupflöcher offen.

Ein erstes Ziel für die Zukunft muss daher sein, das internationale Netzwerk von Produzenten und Anbietern von Repressionstechnologie mit ihren vielfältigen Verknüpfungen bis hin zu Beteiligungen, Lizenzen und Koproduktionen sowie ihre Beziehungen in die "Sicherheits"apparate durchsichtiger zu machen.

Schließlich muss aber erreicht werden, dass der Handel mit und die Produktion von Folterwerkzeugen international unterbunden wird und dass diese Verbote effizient überwacht werden. Ein Weg dahin könnte sein, Repressionstechnologien, "nicht-tödliche" Waffen und entsprechende Munition explizit in die internationalen Aktivitäten zur Kontrolle von klassischen Kleinwaffen einzubeziehen.


Dr. Mathias John ist Sprecher des Arbeitskreises "Rüstung und Menschenrechte" in der deutschen ai-Sektion

E-Mail:  m.john@ukbf.fu-berlin.de
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