FF2009-3


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 Kolonien im 21. Jahrhundert

(nicht in der Printausgabe)

Im Konflikt in der Falle

Erklärung von elf Nichtregierungsorganisationen

Elf namhafte internationale Nichtregierungsorganisationen (1), die in Afghanistan arbeiten, haben zum NATO-Gipfel Anfang April ein sog. "Briefing Paper" vorgelegt, in dem sie sich sehr kritisch mit der Rolle der NATO auseinandersetzen. Sie machen dort Empfehlungen, wie die Sicherheitsstrategie der internationalen Gemeinschaft geändert werden sollte, um den Schaden, der afghanischen Zivilpersonen zugefügt wird, zu minimieren und die Störung der Entwicklungs- und humanitären Arbeit unter den gegenwärtigen Umständen zu reduzieren. Wir drucken im folgenden einen Auszug aus der Zusammenfassung des Papiers ab. (2)



Schutz von ZivilistInnen

Die Intensivierung und Ausweitung des Konfliktes in Afghanistan zieht zunehmend ZivilistInnen in Mitleidenschaft. 2008 gab es mehr als 2.100 zivile Opfer, von denen 55% durch Militante verschuldet wurden. Trotz Schritten, die Zahl ziviler Todesfälle zu reduzieren, haben 2008 die internationalen Militärkräfte (IMF) 552 zivile Tote durch Luftschläge verursacht, was 72 % mehr sind als 2007. IMF hat auch Stoßtruppunternehmen und Suchoperationen ausgeführt, von denen viele durch ein exzessives Maß an Gewalt, einschließlich von Todesopfern, physischem Angriff, Schaden an Eigentum und Diebstahl sowie aggressivem und unangemessener Behandlung von Frauen gekennzeichnet waren. Solches Verhalten schürt nicht nur Ärger und Misstrauen gegenüber den fremden Truppen, sondern es erodiert in zunehmendem Maße die öffentliche Unterstützung für die internationale Präsenz in dem Land. Dazu kommt, dass viele Personen, die von afghanischen und US-Truppen festgenommen werden, für lange Zeiträume ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten werden, und es gibt Beschuldigungen bezüglich Misshandlungen und Folter.

Sozialer Schutz und Zugang zu Grunddienstleistungen werden auch durch den sich ausweitenden Konflikt negativ beeinflusst. Es gibt zahlenmäßig signifikante Vertreibungen und ernste Störungen der Gesundheitsversorgung und Bildung.

Doch solche Überlegungen werden nicht adäquat in die internationalen Sicherheitsstrategien mit einbezogen. Die geplanten Aufstockungen von Truppen und Militäroperationen 2009 werden voraussichtlich zu mehr Vertreibungen, mehr Einschränkungen der sozialen Dienste und größeren Hindernissen für die Hilfsorganisationen führen, die ZivilistInnen zu erreichen, die Schutz und Hilfe benötigen.

Empfehlungen: Wesentliche weitere Schritte werden benötigt, um den Schaden, der ZivilistInnen und ihrem Eigentum zugefügt wird, zu minimieren. Die Regeln bezüglich der Eskalation von Gewalt und der Ausführung von Luftschlägen sollten noch strenger gefasst werden, die militärische Aufklärung sollte rigoroser geprüft und gegengecheckt werden, Regeln bezüglich nächtlicher Angriffe sollten geklärt und reguläre Polizeioperationen durchgeführt werden, wo immer das möglich ist. Stringente neue Maßnahmen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass die Spezialkräfte im Rahmen des Gesetzes operieren und streng überwacht werden. Die Kommandeure im Feld sollten weitere Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass alle SoldatInnen Bewusstsein und Respekt für die afghanische Kultur, Religion und Bräuche zeigen. IMF sollte weitere Maßnahmen ergreifen, um mit der afghanischen Regierung an der Beendigung von Übergriffen durch die Afghan National Security Forces (ANSF) gegen ZivilistInnen zu arbeiten. IMF und afghanische Streitkräfte sollten sicherstellen, dass Häftlinge keiner Folter oder anderen Misshandlungen unterworfen werden und die ihnen zustehenden Prozessrechte gemäß des Internationalen Rechts erhalten und dass Monitoring-Organisationen einen leichteren Zugang zu Gefängnissen haben. ISAF und das US-Verteidigungsministerium sollten beide einen hochrangigen Posten mit Verantwortung für die Reduzierung ziviler Opfer und der Sicherung rigoroser Befolgung internationalen humanitären Rechts schaffen.

In allen Operationen, Planungen und Strategien sollte IMF den Schutz der Zivilbevölkerung, besonders den von verwundbaren Gruppen wie Frauen und Kindern Vorrang geben. Sie sollten auch mit der afghanischen Regierung arbeiten, um sicherzustellen, dass die Aktivitäten der internationalen und afghanischen Soldaten und Polizei in Einklang stehen mit den Vorkehrungen der UN Sicherheitsratsresolutionen 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit und 1820 zu sexueller Gewalt in Konflikt. IMF sollte auch versuchen sicherzustellen, dass ihre Aktivitäten nicht den Zugang für Hilfsorganisationen beeinträchtigen, zu erzwungener Vertreibung führen oder das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf Rückkehr afghanischer Flüchtlinge verletzen.



Eine umfassende Strategie

In den Jahren nach 2001 wurden Ziele der Staatsbildung sowohl im Hinblick auf politische Aufmerksamkeit wie auf internationale Ressourcen vernachlässigt, und es gibt heute eine weit reichende Einigkeit, dass rein militärische Lösungen Afghanistan keinen Frieden und Stabilität bringen können. Dennoch liegt bis heute der internationale Fokus auf der Entsendung von mehr Truppen und viele der anderen Interventionen, die unternommen oder angedacht sind, haben eine signifikante militärische Dimension, z. B. wie die Gemeinde-Wehr-Initiativen (community defence initiatives), die Ausweitung der Provincial Reconstruction Teams und weitere Militarisierung von Hilfe.

Empfehlungen: Es besteht Bedarf an einer wahrhaft umfassenden Strategie für den langfristigen Wiederaufbau und dieStabilisierung Afghanistans. Doch die NATO und die anderen internationalen militärischen Akteure sollten die Grenzen der Reichweite der Aktivitäten anerkennen, die für ihr Engagement angemessen und legitim sind. Das Militär sollte sich auf die Herstellung von Sicherheit konzentrieren, während zivile Akteure Wege bestimmen und umsetzen müssen, die die weite Bandbreite an Wiederaufbau, Entwicklung und den humanitären Herausforderungen, denen sich das Land gegenwärtig gegenübersieht, umfassen. .

Die internationale Gemeinschaft muss erkennen, dass der gegenwärtigen internationalen Herangehensweise an Afghanistan Klarheit, Kohärenz und Entschlossenheit fehlt, insbesondere bei der Verfolgung von Zielen entscheidender Entwicklung, guter Regierungsführung und Stabilisierung. Um Erfolg zu haben, braucht eine umfassende Strategie eine substantielle, koordinierte und langfristige internationale Verpflichtung, sowohl bezüglich der Ressourcen und des politischen Willens, die in einem umfassenden Rahmen steht, der klare Ziele formuliert.



Anmerkungen:



1Action Aid, Afghan Aid, Care Afghanistan, Christian Aid, Cordaid, Dacaar, Icco, International Rescue Committee, Mary Stopes International, Oxfam International und Save the Children UK.



2Wir haben hier ausschließlich den ersten und siebten Punkt übersetzt. Die nicht übersetzten Punkte 2-6 des Papiers heißen: 2. Transparenz und Verantwortlichkeit, 3. Kompensation und ex-gratia Zahlungen, 4. Provincial Reconstruction Teams, 5. zivil-militärische Koordination, 6. Stärkung (empowerment) und Verteidigung von Gemeinden und Stämmen.




Das Papier "Caught in the Conflict. Civilians and the international security strategy in Afghanistan" kann von den Websites der unterzeichnenden NROs heruntergeladen werden. Übersetzung: CS
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