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Erstellt:
04.08.1997


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FriedensForum 4/1997


Soziale Bewegungen in Friedensprozessen am Beispiel Guatemalas

Nicola Busse

Am 29. Dezember 1996 wurde in Guatemala der endgültige Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Guerilla (URNG) unterzeichnet, womit der 36jährige bewaffnete Kampf, der tausende unschuldiger Menschenleben kostete, offiziell beendet wurde.

Die Rolle der Volksorganisationen während des bewaffneten Konflikts

Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurde jegliche Opposition in Guatemala als kommunistisch deklariert und als Guerilla oder Sympathisanten dieser verfolgt und umgebracht. Erst ab Mitte der 80er Jahre gelang es zunächst wenigen, später immer mehr Menschen, sich erneut zu organisieren und als Volksorganisationen die Menschenrechtsverletzungen anzuzeigen und international bekannt zu machen.

Neben der Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen haben die jeweiligen Organisationen auch stets ihre eigenen spezifischen Schwerpunkte gehabt und sich für ihre Interessen eingesetzt. Bauernorganisationen kämpften für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf dem Land sowie für eine gerechtere Landverteilung, Indigenenorganisationen setzten sich für ihre gleichwertige kulturelle und sprachliche Anerkennung in der guatemaltekischen Gesellschaft ein sowie für eine politische Mitbestimmung. Gewerkschaften engagierten sich für die Einhaltung des Arbeitsrechts und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Verwandte von Verschwundenen forderten Aufklärung über das Schicksal ihrer verschleppten Angehörigen. Diese Art der politischen Arbeit war und ist zum Teil jetzt noch für die Betroffenen lebensgefährlich. Je näher der endgültige Friedensvertrag rückte, hat das Ausmaß der Bedrohung abgenommen, ist jedoch bis heute (6 Monate nach der Unterzeichnung) noch nicht verschwunden.

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Vor der Unterzeichnung des endgültigen Friedensvertrages haben die sozialen Bewegungen oder Volksorganisationen, wie sie in Guatemala genannt werden, inhaltliche Vorschläge für die einzelnen Teilverträge, die zwischen der Regierung und der Guerilla verhandelt wurden, ausgearbeitet und eingefordert, die zum Teil berücksichtigt worden sind.

Die Rolle der Volksorganisationen seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages

Viele Volksorganisationen waren nach der Unterzeichnung der Friedensverträge zunächst verunsichert, wie das neue politische Panorama aussehen würde und was ihre Rolle darin würde. Zum einen bestand Unklarheit darüber, ob und wie sich die Regierung und das Militär eine neue Rolle aneignen und die Repression abnehmen würde und entsprechend auch, ob der bis dahin erlangte geringe politische Freiraum erhalten bleiben würde. Hinzu kam die Frage, ob die Regierung sich tatsächlich bemühen würde, die Situation des Landes im Sinne der Bevölkerung zu verbessern.

Weiterhin stellte sich für die Organisationen damals wie heute die Frage, was sich bei ihnen verändern müsse, welche neuen Aufgaben sich nach dem Friedensschluß ergeben und wie ihre neue Rolle in der Gesellschaft aussehen würde.

Heute, nach dem offiziell beendeten bewaffneten Konflikt, der beginnenden Umsetzung der Inhalte der Friedensverträge und der Realisierung der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Regierung, haben sich die Schwerpunkte für die Volksbewegungen leicht, aber ihre gesellschaftliche Rolle als solche kaum verändert. Menschenrechtsverletzungen sind nach wie vor an der Tagesordnung und die Überwachung des Verhaltens der Regierung, des Militärs und der Wirtschaftsmächte bleiben ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit.

Wichtige neuere Aufgaben für die Organisationen sind die Verbreitung und Erläuterung der Inhalte der Friedensverträge in der Bevölkerung, die Überwachung der Einhaltung der Verträge (insofern überhaupt konkrete Maßnahmen und nicht nur Rahmenbedingungen festgelegt wurden) und die Ausarbeitung von Vorschlägen für die Umsetzung der Friedensverträge. Hier ist eine Veränderung der Rolle der Organisationen von einer fast nur kritisierenden Funktion zu einer eher konstruktiveren Beteiligung festzustellen.

Im Zuge der schnell voranschreitenden Privatisierung der Staatsbetriebe und der daraus resultierenden Erhöhung der Arbeitslosigkeit und der Lebenshaltungskosten wird die Wirtschaftspolitik von allen Seiten kritisiert. Die Gewerkschaften versuchen mit Protestaktionen und massiven Demonstrationen die Regierung von einer sanfteren, gerechteren und sich langsamer wandelnden Wirtschaftspolitik zu überzeugen. Ihre Wirkung bleibt jedoch gering, auch wenn sie einige tausend Menschen für ihre Demonstrationen mobilisieren können. Ihre fehlende Kraft liegt unter anderem an der Zersplitterung der Gewerkschaften, die sich schon lange nicht mehr einig sind. Ein weiterer Faktor ist ihre geringe Mitgliederzahl: Es ist weiterhin gefährlich, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Die Mitglieder riskieren, direkt oder indirekt entlassen zu werden - und dies in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit massiv ansteigt, es keine Sozialabsicherung gibt und Gewerkschaftsführer immer noch bedroht und unter Druck gesetzt werden.

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Ähnlich wie bei den Gewerkschaften werden auch Anführer und Mitglieder anderer Organisationen oder auch Abgeordnete der Oppositionspartei durch direkte oder indirekte Bedrohungen unter Druck gesetzt. Die Methodik scheint sich leicht verändert zu haben, so daß zwar politisch Aktive immer noch einfach verschwinden, aber auch deren Verwandte oder Freunde entführt werden. Diese Entführungen werden als "normale" Kriminalität getarnt, was die Schwierigkeit erhöht, gegen sie vorzugehen oder sie als politische Taten anzuzeigen. Ebenfalls erhöht wird das Schuldgefühl bei den Betroffenen. In diesem Zusammenhang bleibt es eine wichtige Aufgabe der Volksbewegungen, diese und andere Menschenrechtsverletzungen anzuzeigen und das Verhalten oder Nichtverhalten der Regierung zu kritisieren.

Allianz gegen die Straflosigkeit

Ein weiteres brisantes Thema ist die Straflosigkeit sowohl bezüglich der Taten, die während des bewaffneten Konflikts begangen wurden und die zum größten Teil mit Hilfe eines Amnestiegesetzes unbestraft bleiben, als auch bezüglich der aktuellen Kriminalität, da das Justiz- und Strafsystem durch und durch korrupt und zum größten Teil nicht funktionsfähig ist. Um effektiver dagegen vorgehen zu können, haben sich mehrere Organisationen zu einer Allianz gegen die Straflosigkeit zusammengeschlossen. Diese Allianz spielt im Moment eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit, da sie die Regierung ohne Scheu kritisiert und zunehmend vergangene wie aktuelle Taten der Regierung aufdeckt.

Nach und nach werden immer mehr versteckte Friedhöfe bekannt, in denen die vom Militär während des bewaffneten Konflikts gefolterten und massakrierten Menschen verscharrt wurden. Deren Ausgrabung wird durch verschiedene Organisationen veranlaßt, um den dort Getöteten ein würdiges Begräbnis zu geben und wenn möglich auch gerichtlich gegen die Täter vorgehen zu können.

Am Anfang des Jahres hatten viele Organisationen beschlossen, zunächst auf Protestaktionen zu verzichten, um der Regierung eine Handlungsfrist einzuräumen. Nach 6 Monaten kommt jedoch das Gefühl auf, daß sich nicht viel zum Positiven verändert hat und entsprechend wird nun - speziell innerhalb der Bauernorganisationen - verstärkt über Druckmaßnahmen vor allem bezüglich der Landproblematik nachgedacht.

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Worauf die Menschen in den Organisationen und zwischen den Organisationen nun achten müßten, ist, sich untereinander nicht zu sehr zu spalten und spalten zu lassen, damit sie nicht irgendwann einmal handlungsunfähig werden und der Regierung und den Wirtschaftsmächten politische Narrenfreiheit verschaffen. Ebenso wichtig ist es, neue Aktionsformen und Druckmittel zu finden, um wirksamer für ihre Interessen eintreten und nicht stets "nur" reagieren zu müssen.

Der politische Freiraum, den sich die Volksorganisationen im Laufe der Jahre erkämpft haben, muß erhalten bleiben, damit die Menschen ihn nutzen können, um den Weg der Realisierung des Friedensprozesses in minimaler Weise mitbestimmen zu können: um eine Demokratisierung des Landes zu ermöglichen.

Adresse: PBI, Chemnitzstr. 80, 22767 Hamburg, Tel.: 040/3806903, Fax: 040 3869417

Nicola Busse arbeitet für Peace Brigades International - deutscher Zweig (PBI) in Hamburg

E-Mail:   pbiger@shalom.life.de
Internet: http://www.igc.apc.org/pbi/pbi-d.html
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