Menschenrechtsschutz

20 Jahre Erklärung zu MenschenrechtsverteidigerInnen

von Stephanie Brause
Hintergrund
Hintergrund

Vor knapp 20 Jahren, genauer gesagt am 9. Dezember 1998, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine wegweisende Resolution. Die „Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen“ (kurz: die Erklärung zu den MenschenrechtsverteidigerInnen) schrieb für alle Menschen auf der Welt erstmals das Recht fest, sich für die Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen. Angesichts der nach wie vor schwierigen Umstände, in denen MenschenrechtsverteidigerInnen ihre Arbeit verrichten, hat das Anliegen der Erklärung nichts an Aktualität eingebüßt.

Was genau wird denn nun aber unter dem sperrigen Begriff „MenschenrechtsverteidigerIn“ verstanden? Der Begriff „MenschenrechtsverteidigerIn“ bezeichnet jede Person, die sich alleine oder zusammen mit anderen gewaltfrei für den Schutz und die Förderung von Menschenrechten und Grundrechten einsetzt. Die Bezeichnung ist an den englischen Ausdruck „Human Rights Defender“ angelehnt und ersetzt immer häufiger die früher gebräuchlichen Begriffe MenschenrechtlerIn und MenschenrechtsaktivistIn, auch wenn inhaltlich kein Unterschied vorhanden ist.

Die Bandbreite an Themenbereichen und Aktivitäten ist für MenschenrechtsverteidigerInnen nahezu unerschöpflich. Sie können vor dem Regierungssitz ihres Landes demonstrieren, weil der Staat seiner Verpflichtung nicht nachkommt, die Menschenrechte zu garantieren und zu schützen. Sie können JournalistInnen sein, die über Menschenrechtsverletzungen berichten. Sie sind indigene UmweltaktivistInnen, die die Auswirkungen von Wirtschafts- und Entwicklungsprojekten auf die Rechte indigener Völker öffentlich bekannt machen. Sie gedenken der Opfer von Bürgerkriegsverbrechen und fordern Gerechtigkeit und Aufarbeitung der Vergangenheit ein. Sie sind GewerkschaftlerInnen, die die Rechte von ArbeiterInnen verteidigen. Sie organisieren Protestmärsche und informieren über Frauenrechte. Sie fungieren als Rechtsbeistand für Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder reichen Beschwerde gegen geplante, menschenrechtsverletzende Gesetze ein. Dabei werden MenschenrechtsverteidigerInnen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene von zivilgesellschaftlichen Organisationen bis hin zu supranationalen Institutionen tätig.

Dieses vielfältige Aktivitätenspektrum ist möglich, weil MenschenrechtsverteidigerInnen sich für die Verwirklichung von allen Rechten, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und anderen internationalen Standards verankert sind, einsetzen und die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte anerkennen. Denn alle Menschen haben Anspruch darauf, in einer Welt zu leben, in der all ihre Rechte und Freiheiten respektiert werden – „ohne irgendeinen Unterschied etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ (Art. 2 der AEMR).

In vielen Ländern ist Menschenrechtsarbeit leider nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. So auch in Mexiko, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Kenia, Indonesien und Nepal, wo pbi momentan Projekte durchführt. AktivistInnen werden überwacht, diffamiert, angegriffen oder bedroht, sogar mit Folter und dem Tode. Sie werden kriminalisiert, indem versucht wird, juristisch mit erfundenen Anklagen gegen sie vorzugehen und sie somit zum Schweigen zu bringen. Restriktive Gesetzesvorhaben sollen ihre Arbeit behindern, die Versammlungsfreiheit einschränken und die Finanzierung von Menschenrechtsorganisationen erschweren. In den schlimmsten Fällen werden sie misshandelt, ermordet oder verschwunden gelassen.

Viel zu viele Menschen verlieren aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte ihr Leben. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Indigene und ländliche AktivistInnen, aber vor allem auch Frauen, ist die Situation besonders schwierig. Oft gehen Übergriffe auf MenschenrechtsverteidigerInnen vom Staat oder elitären Gruppen aus, die am Status quo festhalten. Aber zunehmend spielen dabei auch wirtschaftliche Akteure oder deren „Sicherheitspersonal“ eine große Rolle.

Mit dem Einsatz für Menschenrechte riskieren MenschenrechtsverteidigerInnen häufig nicht nur ihre physische und psychische Integrität, sondern auch ihren Arbeitsplatz. Immer wieder geraten auch Familienangehörige und Freunde in die Schusslinie.

Mit der Erklärung zu den MenschenrechtsverteidigerInnen der UN-Generalversammlung wurde die besondere Risikosituation von MenschenrechtsverteidigerInnen international anerkannt. Wohlgemerkt einstimmig. In insgesamt 20 Artikeln verankert sie Rechte von MenschenrechtsverteidigerInnen und Pflichten der Staaten. Die Erklärung schreibt fest, dass jeder Mensch das Recht hat, „einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen, den Schutz und die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene zu fördern und darauf hinzuwirken“. Die primäre Verantwortung, MenschenrechtsverteidigerInnen zu schützen, liegt bei den Staaten selbst, die durch geeignete Schutzmaßnahmen, Gesetze und Institutionen den Inhalt der Erklärung umsetzen sollen.

Die Erklärung ist zwar völkerrechtlich nicht bindend, doch sie beförderte maßgeblich die internationale Anerkennung für die oft mit Risiko verbundene Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen und verstärkte den internationalen Druck, der bei Nichteinhaltung der Erklärung aufgebaut wird. Das Vertragsdokument fördert den präventiven und nachhaltigen Charakter von Menschenrechtsarbeit und nimmt eine bedeutende Schutzfunktion ein.

Vierzehn Verhandlungsjahre
Bevor das Dokument im Jahr 1998 verabschiedet werden konnte, sind dem Text 14 Verhandlungsjahre vorausgegangen. Während des Kalten Krieges hatten die Staaten beider Blöcke im Zusammenhang mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) Menschenrechte zu einem Prinzip internationaler Beziehungen erklärt. Aufgrund der zunehmenden Sensibilisierung für das Thema richtete die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen im Jahr 1984 eine blockübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema MenschenrechtsverteidigerInnen ein. Die Arbeitsgruppe setzte sich aus StaatenvertreterInnen zusammen, war aber auch für Nichtregierungsorganisationen zugänglich.

Der Zeitpunkt der Annahme der Erklärung war symbolträchtig. Sie wurde im Rahmen der Feierlichkeiten des 50-jährigen Jubiläums der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verabschiedet und gab Impulse für weitere Entwicklungen von Schutzmechanismen. Zwei Jahre später führte die UN-Menschenrechtskommission (welche 2006 zum UN-Menschenrechtsrat umbenannt wurde) das Amt eine(s)_r Sonderberichterstatter(s)In für MenschenrechtsverteidigerInnen ein, um die Umsetzung der Erklärung zu überwachen und zu unterstützen. Die Europäische Union zog nach. Ihr Ministerrat verabschiedet 2004 auf der Grundlage der UN-Erklärung zu den MenschenrechtsverteidigerInnen die EU-Leitlinien zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen und überarbeitete diese im Jahr 2008. In den Leitlinien werden konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von MenschenrechtsverteidigerInnen durch EU-Missionen sowie im politischen Dialog mit Drittstaaten vorgeschlagen.

Trotz dieser internationalen Instrumente spielen auch die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen wie Peace Brigades International (pbi) beim Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen eine entscheidende Rolle, um Staaten an ihre eingegangenen Verpflichtungen zu erinnern und die Umsetzung konkreter Schutzmaßnahmen einzufordern. Dabei wird pbi in den Projektländern auch selbst zur Zielscheibe von Diffamierungen. Am besten begegnen wir solchen Aggressionen mit einem Netzwerk aus engagierten Menschen, die uns helfen, mehr internationalen Druck aufzubauen. Jede/r kann MenscherechtsverteidigerIn sein – auch du!

Der Artikel erschien erstmalig in dem Rundbrief vom Sommer 2018 der Peace Brigades International (pbi). Das Herzstück der Arbeit von pbi sind die Projekte und die Begleitung bedrohter MenschenrechtsverteidigerInnen vor Ort. Diese Arbeit lässt sich allerdings nicht ohne politische Lobby- und Advocacyarbeit auf internationaler Ebene realisieren. Dabei richtet pbi nicht nur immer wieder die Aufmerksamkeit politischer EntscheidungsträgerInnen auf die Situation von AktivistInnen, sondern erinnert StaatenvertreterInnen an internationale Verpflichtungen und fördert den Ausbau und die Umsetzung von Mechanismen und Politiken zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen. Mehr Infos: https://pbideutschland.de

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Stephanie Brause war für ein Jahr als Freiwillige im pbi-Guatemalaprojekt.