2005 - ein weiteres Jahr für die FREle HEIDe

von Benedikt Schirge

(red) In nachstehendem Artikel berichtet Benedikt Schirge sehr eindrücklich über die Aktivitäten der Friedens-Initiativen für eine FREie HEIDe im letzten Jahr 2005 und die nicht nachlassende Kontinuität im Widerstand. Der Bericht wurde Ende Dezember kurz vor dem 99. Protestmarsch am 1. Januar 2006 verfasst. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass die Bundeswehr erneut in die Offensive gegangen ist: erst Anfang Januar wurden die Initiativen davon unterrichtet, dass die Bundeswehr über ihre Anwälte bereits am 15. Dezember 2005 beim Verwaltungsgericht Potsdam Eilanträge auf sofortige Nutzung des Geländes als Bombodrom eingereicht hatten. Die Luftwaffe müsse seit Bereitstellung der NATO Response Force (NRF) allzeit bereit sein, Luft-Boden-Einsätze zu fliegen. Seit Januar 2006 müssten die entsprechenden Luftwaffenverbände „in täglicher Einsatzbereitschaft'' gehalten werden.

Dies sei nur in Wittstock realisierbar, so die Begründung der Bundeswehr (vgl. FR, 6.1.06). Es sieht also durchaus danach aus, dass es in diesem Jahr zu weiteren Zuspitzungen um die FREie HEIDe kommen wird. Seitens der Friedensbewegung wurden ja für den Fall der Inbesitznahme des Geländes durch die Bundeswehr bereits Demonstrationen, Proteste und direkte gewaltfreie Aktionen angekündigt.

Es ist längst feste Tradition, das neue Jahr mit einer Protestwanderung zu beginnen. So auch das Jahr 2005. Die Dorfkirche war wieder übervoll, draußen standen noch viel mehr Menschen. Vor der Kirche wurde ein Gedenkstein für Helmut Schönberg, den früheren Vorsitzenden der Bürgerinitiative, enthüllt. Mit bewegenden Worten erzählte der Chronist der Bürgerinitiative Reiner Kühn von seiner Freundschaft zu Helmut Schönberg und der gemeinsamen Freie-Heide-Zeit. Die anschließende Demonstration zeigte ein weiteres Mal die Kontinuität unserer Bürgerbewegung.

Den jährlichen Höhepunkt bildete auch dieses Jahr der Osterspaziergang. Bereits im Vorfeld waren zwei Frauen aus Vieques, einer puertoricanischen Insel in der Karibik, zu uns zu Besuch gekommen. Den Bewohner von Vieques war es nach Jahrzehnten gelungen, einen von der US-Army betriebenen Bombenabwurfplatz endlich zur Schließung zu bringen. Eindrucksvoll berichteten sie auf vielen Veranstaltungen darüber, natürlich auch zu Ostern. Mit großer Courage gemischt mit Trauer und Empörung war das Fass zum Überlaufen gekommen, als ein Einwohner von Vieques durch die Armee getötet wurde. Trotz drakonischer Maßnahmen konnten die Behörden den Widerstand nicht brechen, so dass sie vor zwei  Jahren aufgaben und den Platz räumten. Unter dem Motto: Basta ya! Es reicht! hatten die Puertoricaner sich durchgesetzt. Und für uns die Botschaft mitgebracht: Jahrelanger Einsatz lohnt sich.

10.000 Menschen waren nach Fretzdorf gekommen, so viele wie noch nie, um ihre Ablehnung der Bombodrompläne auszudrücken. Die geistliche Besinnung hielt Friedrich Schorlemmer. U.a. führte er dabei aus:

„Militärische Logik ist die Logik des Sieges über Menschen, die man verallgemeinernd Feinde nennt und deren effizientes Töten sodann zum höchsten Ziel wird. Militärische Logik ist die Logik des Todes, Logik des Tötens und die Logik des Sieges über andere.

Die Logik des Friedens ist die Logik ziviler Lösungen, die Leben lässt und Leben schafft, die Konflikte mit aller Kraft und mit allem Mut zum Leben angeht.

Die Irrsinnslogik des Militärischen ist alt. Sie durchzieht die ganze Menschheit. Die Ideologen des Status Qua nennen jedes Aufstehen dagegen unrealistisch, blauäugig, träumerisch. Sie sind die Realisten der Macht, ihrer angemaßten Macht über Leben und Tod.

Eine Welt von Ostern her ist die Gegenwelt, ist die Widerstandswelt gegen den Tod und die Logik des Todes und des Tötens. Nicht der Krieg ist der Vater aller Dinge, sondern der Frieden die Mutter allen Lebens."

An der Grenze zum Bombodrom bildeten dann die OsterwanderInnen das riesige Stoppzeichen: NO BOMS. Ca. 120 Meter im Durchmesser hatten viele Leute tagelang die Konturen präzise vorbereitet, und es passte genau, das Luftbild war deutlich zu lesen und ging über Ostern durch die ganze deutsche Medienlandschaft. Es war eine klare Botschaft an die Politik, die von Fretzdorf ausging. Auch der „Tatortkommissar" Peter Sodann sprach sich in seiner Rede ohne wenn und aber gegen das Bombodrom aus und machte Vorschläge, das Geld sinnvoller auszugeben.

Wie viele in diesem Jahr erinnerte auch die Bürgerinitiative an das 60-jährige Kriegsende. In diesem Rahmen gab die Auschwitz und Ravensbrück-Überlebende Esther Bejarano mit ihrer Gruppe Coincidence ein beindruckendes Konzert und erzählte von Widerstand und Zivilcourage, die zum Überleben notwendig waren.

Auf der politischen Bühne hatte sich im Frühjahr etwas bewegt, das Abgeordnetenhaus von Berlin sprach sich mit großer Mehrheit gegen die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide aus, damit haben mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg drei Landesparlamente und -regierungen für die zivile Nutzung votiert. Und ein Gruppenantrag zur zivilen Nutzung der Heide war von Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der PDS in den Bundestag eingebracht worden. Auch in der letzten Legislatur hatte es einen solchen gegeben, doch er wurde letztendlich wegen der Wahlen 2002 nicht mehr behandelt. Diesmal kam der Antrag früher, auch ging eine erste Abstimmung im Wissenschafts- und Bildungsausschuss positiv für uns aus. Im Anschluss wurde der Antrag in den weiteren fünf Ausschüssen. ausgesetzt, Wochen später wieder auf die Tagesordnung gesetzt und überall ohne große Diskussion nach Fraktionsvorgabe seitens der Volksparteien nun abgelehnt. Zu einer weiteren Behandlung im Plenum gelangte der Antrag durch die vorzeitige Auflösung des Bundestages nicht mehr.

Erstmals wurde das Thema auch auf europäischer Ebene behandelt. Die EU-Kommission richtete einen Fragenkatalog wegen möglicher Verstöße gegen Naturschutz und Umweltrecht hinsichtlich des Nationalparks Müritz und der Flora-Fauna Habitats direkt auf dem Bombodromgelände an die Bundesregierung. In einer Antwort auf eine·Anfrage im EU-Parlament, hat die Kommission bestätigt, dass die Kyritz-Ruppiner Heide militärisch nicht genutzt werden dürfe, da geschützte europäische Naturreservate zerstört oder in ihrer Funktion beeinträchtigt würden. Die Europäische Kommission hat darüber zu wachen, dass gemeinsam beschlossenes Recht auch eingehalten wird. Da die Bundesregierung bzw. das Verteidigungsministerium bis dato nicht antworteten, ist die weitere Vorgehensweise noch nicht absehbar.

Prozessual war das vergangene Jahr sehr erfolgreich. Alle fünf einstweiligen Verfügungen des Landesverwaltungsgerichtes Potsdam wurden in 2. Instanz bestätigt, drei durch das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder und zwei durch das zwischenzeitlich von den beiden Bundesländern zusammengelegte Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Bei letzteren war wesentlich, dass auch privaten Klägern Rechte gegenüber der Bundeswehr zugestanden wurden. Die Bundeswehr hatte sowohl das Land Mecklenburg/Vorpommern als auch private wirtschaftliche Unternehmen als nicht anhörungsrelevant bezeichnet. Das Verteidigungsministerium hatte gegen alle fünf Verfügungen des Verwaltungsgerichtes Beschwerde eingelegt und damit das Verfahren wieder um über ein Jahr verlängert. Erst nun beginnt das Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam hinsichtlich der völlig unzureichenden Anhörung, die das Bundesverwaltungsgericht der Bundeswehr im Jahre 2000 auferlegt hatte. Ein weiter Rechtsstreit liegt wohl noch vor uns, zumal auch der Europäische Gerichtshof u. U. noch angerufen werden kann.

Zehn Tage vor der Bundestagwahl stand die Bürgerinitiative mit bis zu 50 Teilnehmern Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. Viele Tausend Flugblätter fanden Abnehmer, es gab Gespräche mit Menschen aus allen Erdteilen, die meisten natürlich mit Berlinern und deutschen Touristen. Fast alle stimmten unserem Anliegen zu.

Die gemeinsame Demo von der FREIen HEIDe und dem FREIEN HIMMEL ermöglichte im September den verbindenden Handgruß beider Landesregierungen (Ministerpräsident Harald Ringstorff, M/V, und Finanzminister Rainer Speer, Brandenburg). Beide bekräftigten den gemeinsamen Widerstand.

Und am 05. Dezember 2005 gab es noch eine Ehrung: Die BI FREie HEIDe erhielt den Ökumenischen Umweltpreis 2005 der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg /Schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin. Gewürdigt und damit auch wieder gestärkt wurde das langjährige Engagement der Initiative!

Kontakt: Benedikt Schirge, Dorfstr. 27, 16831 Zühlen, Tel. 033931/2338, info [at] FREieHEIDe [dot] de ()

Eine weitere, ständig erreichbare und „belastbare“ Kontaktadresse für Einzelne, Gruppen und Organisationen von außerhalb (regional bis international), die sich im Kontext der FREien HEIDe engagieren möchten:

Ulrike Laubenthal, Bergstraße ta, 36179 Bebra, O 6627 /915944, info [at] sichelschmiede [dot] org ()

Benedikt Schirqe ist Sprecher der BI FREie HEIDe und Gründungsmitglied.

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Benedikt Schirge ist Sprecher der BI.