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Buchbesprechung: Migration
22 populäre Migrations-Mythen werden entlarvt
vonDas Buch von Hein de Haas (1), „22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt“, ist 2023 im Fischer-Verlag in deutscher Übersetzung erschienen. Das Werk umfasst 512 Seiten und ist in drei Hauptteile gegliedert: „Mythen der Migration“, „Zuwanderung: Problem oder Lösung“ und „Migrationspropaganda“. In jedem der Teile werden sieben bis acht „Mythen der Migration“ soziopolitisch und ökonomisch analysiert und auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft.
Die meisten der Mythen zerfallen in sich, da ein faktenbasierter Realitätscheck oft zu sehr gegenteiligen Ergebnissen als in der veröffentlichten Meinung dargestellt führt. Das betrifft nicht nur die sich im geschichtlichen Rückblick und in wichtige Relationen gesetzte Zahl von Migrant*innen, sondern auch deren Einfluss auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt und die sozialen Systeme. Die Politik missbrauche die Migrant*innen, um öffentlich einseitige Schuldzuweisungen für selbstverantwortete Problemlagen zu erteilen. „Politiker versuchen, einen Keil zwischen einheimische und ausländische Arbeitnehmer zu treiben, indem sie Migranten die Schuld für sämtliche Probleme in die Schuhe schieben. Das verstellt jedoch den Blick darauf, dass beide Gruppen ein gemeinsames Interesse als Arbeitnehmer haben und dass die Politik, nicht die Migranten, für Probleme wie Ungleichheit, Arbeitsplatzunsicherheit und sinkende Reallöhne verantwortlich ist.“ (446)
Eine konkrete sozioökonomische Analyse der weltweiten Migrationslage führt zu Beurteilungen, die oft den öffentlich behaupteten Thesen radikal widersprechen. Einige dieser Gegenthesen seien hier kurz benannt:
- Die internationale Migration ist dauerhaft niedrig und stabil.
- Die große Mehrheit der Zuwanderer kommt legal ins Land.
- Flüchtlingszahlen sind relativ niedrig und steigen keineswegs rasant an.
- Die eigentliche Flüchtlingskrise trifft die Herkunftsländer.
- Die Migration nimmt zu, wenn arme Länder reicher werden.
- Migration ist die effektivste Form der Entwicklungshilfe (Geldüberweisungen).
- Zuwanderer „stehlen“ keine Arbeitsplätze, sondern füllen freie Stellen.
- Zuwanderung kann Arbeitsplätze schaffen.
- Arbeitsmigrant*innen stützen den Sozialstaat.
- Auch die meisten illegalen Migrant*innen sind als Arbeitskräfte erwünscht.
Die von Politik, aber auch von weiten Teilen der Presse ungeprüften bzw. gewollt falschen Behauptungen in Sachen Migration werden im Buch von de Haas durch soziologische, ökonomische und politische Analysen entlarvt und einer anderen Wahrheit zugeführt. Ohne Migration ist eine stabile wirtschaftliche Gesamtlage der westlichen Staaten kaum noch denkbar, zumal viele der (auch illegalen) Migrant*innen Arbeitsbereiche ausfüllen, die kaum noch von Einheimischen wahrgenommen werden - wie z.B. Alten- und Krankenpflege, Haushaltshilfen, Gastronomie. Die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ist sowieso extrem hoch. Die Sozialsysteme der Zuwanderungsstaaten werden insgesamt eher stabilisiert – im Gegensatz zur Ausnutzungsthese. Behauptete Verengungen auf dem Wohnungsmarkt sind in Wirklichkeit nicht den Zuwander*innen, sondern dem vernachlässigten sozialen Wohnungsbau geschuldet.
Etwas problematisch scheinen mir die Aussagen von de Haas gegenüber Flüchtlingshilfsorganisationen, denen er auch übertriebene Zahlenpropaganda vorwirft, wobei diese dabei das Ziel verfolgten, mehr Aufmerksamkeit und Geldzuflüsse zu erreichen. Ebenso scheinen seine Darlegungen zu den Migrationsfolgen des Klimawandels etwas kurz zu greifen.
Insgesamt ist die Lektüre des umfangreichen Werkes sehr zu empfehlen. Mit vielen Mythen, die sich in den Köpfen stark verfestigt haben, wird gründlich aufgeräumt. Insgesamt kann dieses Buch zum Thema „Migration“ zur Versachlichung der Debatte erheblich beitragen, wenn die dargelegten Fakten auch anerkannt und ernst genommen werden. De Haas: „Dieses Buch möchte ein ganzheitliches Verständnis von Migration vermitteln – weder als Problem, das es zu lösen gilt, noch als Lösung für Probleme, sondern als integraler Bestandteil umfassender Prozesse des gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Wandels der Gegenwart.“
Anmerkung
1 Hein de Haas (Jg. 1969), Professor für Soziologe in Amsterdam und Professor für Migration und Entwicklung in Maastricht, ist einer der bekanntesten Migrationsforscher. Er ist Leiter des „International Migration Institute“ (IMI) in Amsterdam.
Hein de Haas: 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt. Übersetzt von Jürgen Neubauer. S. Fischer, Frankfurt/Main, 512 Seiten, ISBN 978-3103975345, 28 Euro.