4. General Assembly der Helsinki Citi­zens' Assembly in Tuzla

von Christine Schweitzer
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Ungefähr 460 TeilnehmerInnen, davon über die Hälfte aus den Nachfol­gestaaten Jugoslawiens versammelten sich Ende Oktober als Gäste des Bürgerforums Tuzla in der zentralbosnischen Stadt. Die vierte General­versammlung der Helsinki Citizens' Assembly (HCA), einer transnatio­nalen Organisation von Bürgerrechts-, Friedens-und anderen Gruppen sowie Einzelpersonen stand ganz im Zeichen des Krieges im ehemali­gen Jugoslawien. Nachdem die vorherigen Versammlungen, die unge­fähr alle 18 Monate abgehalten werden, eine breite Palette an Themen - regional wie inhaltlich - bearbeiteten, dominierten dieses Mal Frage­stellungen, die von unmittelbarer Bedeutung für die Probleme Bosniens waren, wie z.B. Zukunft der UNO, humanitäre Intervention und Peace­keeping, Rolle von Medien im Krieg, Konfliktlösung, Menschenrechte und Kriegstribunale, Flüchtlinge in Europa, ökonomischer Wiederauf­bau, Frauen und Nationalismus, lokale Demokratie. Die Konferenz konnte hochrangige Sprecher für die Teilnahme gewinnen: Neben Selim Beslagic, dem Bürgermeister von Tuzla und Miro Lazovic, dem Par­lamentspräsidenten Bosnien- Herzegowinas gehörten dazu Tadeusz Mazowiecki, Hans Koschnick und Peter Galbraith (US-Botschafter in Zagreb).

Ein halber Tag wurde genutzt, um Pro­jekte, soziale und ökonomische Ein­richtungen in Tuzla und Umgebung zu besichtigen. Die HCA ist seit ihrer Gründung im ehemaligen Jugoslawien aktiv; wobei sie in den letzten Jahren besonders mit Forderungen nach stärke­rem internationalem Engagement in Bosnien (Einrichtung von Protektoraten z.B.) in die Öffentlichkeit getreten ist. Erklärte Ziele der Versammlung waren: - Bewahrung der Integrität Bosnien-Herzegowinas (BiH), d.h. die Forderung nach der Wiedervereinigung BiHs an­statt seiner Aufteilung in einen serbi­schen und einen muslimisch-kroatischen Teil. - Tuzla als Modell lokaler Demo­kratie innerhalb BiHs zu unterstützen. (Tuzla wird von vielen als die inzwi­schen letzte Stadt BiHs angesehen, der es gelungen ist, den Gedanken eines multiethnischen und multireligiösen Bosniens am Leben zu erhalten und weiter zu praktizieren.) - Internationale Institutionen aufzubauen, die fähig sind, eine internationale Rechtsordnung auf­rechtzuerhalten. Besonders die ersten beiden Themen zogen sich dann auch tatsächlich wie ein roter Faden durch die meisten Beiträge und Veranstaltungen.

Einige Highlights

Entgegen dem, was für Konferenzen dieser Art eigentlich typisch ist, waren es diesmal die drei genannten Promi­nenten, die für Höhepunkte sorgten. Ei­nige Elemente aus ihren Beiträgen sol­len daher auch hier referiert werden: Hans Koschnick sprach davon, daß das "Modell Mostar" gescheitert sei. Zwar sei es gelungen, physische Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, aber es sei nicht gelungen, die beiden Bevölke­rungsteile wieder zusammenzubringen. Weiterhin dürfen nur 250 Frauen und Kinder pro Tag über den Fluss in den anderen Teil der Stadt gehen. U.a. be­deutet dies, daß den EinwohnerInnen Ostmostars ziemlich effektiv der Zu­gang zu der Stadtverwaltung, die sich in Westmostar befindet, versperrt ist. Ta­deusz Mazowiecki lieferte ebenfalls ei­nige zitierfähige Aussagen, als er über die Chancen einer Friedenslösung für Bosnien sprach: "The question is if the big powers give up their approach to the Balkans and more specifically to Bos­nia-Hercegowina as an area ofcompeti­tion for their spheres of interests." Die Frage sei, ob ein lebensfähiges Bosnien oder 2-3 "Ministaaten" ("statelets") ent­stehen würden. U.a. müsste diese Frage gestellt werden, wenn es um die Ver­gabe von Wiederaufbauhilfe geht (an wen soll sie gehen, an die Föderation oder die drei Ministaaten?) und um die Rückkehr von Flüchtlingen (jeder müsse das RECHT auf Rückkehr haben, auch wenn nicht alle zurückkehren wollten). Er erwarte sehr lange Verhandlungen, sagte er. Viel werde dabei davon abhän­gen, ob es gelänge, auf allen Seiten eine zivile Gesellschaft aufzubauen. Peter Galbraith demonstrierte geschulte Rhe­torik im Umgang mit kritischen und schwierigen Fragen. Trotzdem machte auch er einige interessante Feststellun­gen, z.B. als er auf die Frage von Ost­slawonien angesprochen sagte, die USA "strongly favour a negotiated solution", was in der Diplomatensprache besagt, daß Kroatien keine wirklich schwerwie­genden Sanktionen im Falle einer mili­tärischen Rückeroberung durch die USA befürchten muß. Zu den Bosnien-Ver­handlungen in Ohio meinte er, daß die Hauptprobleme folgende Fragen seien: der Status von Sarajevo, Brcko und dem Korridor sowie die Verbindung zwi­schen der Föderation und Gorazde, die Verfassung Bosnien-Herzegownas und wie Wahlen organisiert werden könnten. Kosovo und Sandjak würden bei den Verhandlungen keine Rolle spielen, sondern als interne Angelegenheiten Serbien-Montenegros angesehen wer­den. Die Fragen der Kriegsverbrechen werden als völlig getrennte Frage von dem Friedensprozess angesehen.

Friedens-und Bürgerrechtsgruppen in Bosnien-Herzegowina - Das Citizens' Forum Tuzla ist eine große Organisation mit mehreren tausend Mitgliedern. Es hat u.a. viel Engagement bei der Be­treuung der Flüchtlinge aus Srebenica gezeigt. Als zukünftige Projekte ist u.a. geplant, Begegnungen zwischen Bürge­rInnen aus Tuzla mit ihren Verwandten und Freunden im serbischen Teil BiHs zu organisieren. Zu diesem Zweck hat das Forum schon die Adressen von 4.000 Menschen gesammelt, die an sol­chen Begegnungen Interesse haben. Aber natürlich wird die mögliche Durchführung von den Ergebnissen der Friedensverhandlungen, sprich den zu­künftigen Beziehungen zwischen den Teilen BiHs abhängen. Außerdem soll Anfang des nächsten Jahres auch ein er­stes Training in gewaltfreier Kon­fliktaustragung für AktivistInnen des Forums und anderer Gruppen in Tuzla stattfinden.

- Nach dem Vorbild des Tuzlaer Forums hat sich ein Citizens' Forum Zenica gegründet, das aber gerade erst seine Arbeit aufnimmt.

- In Sarajevo existiert weiterhin das International Peace Center, die u.a. anschließend an die HCA-Konferenz zu einer Tagung in Sarajevo einlu­den.

- PolitikerInnen aus oppositionellen, meist sozialdemokratischen Parteien aus allen Teilen Bosniens haben eine Initiative namens "Demokratische Alternative" gegründet. Anfang Ok­tober fand ihr zweites Treffen in Ita­lien statt. Auch sie fordern, wie prak­tisch alle Gruppen in BiH, die Wie­derherstellung eines einheitlichen und multiethnischen Bosnien-Herze­gowinas.

- Außerdem gibt es verschiedene hu­manitäre Projekte, besonders Frauen­gruppen. Teilweise arbeiten sie allein aus eigenen Kräften, teilweise mit internationaler Hilfe und Unterstüt­zung (z.B. Vive Zene Tuzla und Me­dica Zenica).

Festnahme in Kroatien

Auf der Rückfahrt von Tuzla nach Ser­bien ist einer der Teilnehmer an der Konferenz in Kroatien festgenommen worden. Es handelt sich um Radovan Jovic, einen Juristen aus der Krajina, der dort bis 1992 als Richter tätig war, dann ins Gefängnis kam und anschließend nach Belgrad ging. Ihm wird von Kroa­tien (gemeinsam mit 14 anderen Serben) Spionage für die "Serbische Republik Krajina" vorgeworfen. Auch andere TeilnehmerInnen hatten große Probleme mit den kroatischen Grenzbehörden. Zwei von sieben Busse wurden bei der Wiedereinreise nach Kroatien sieben Stunden lang an der Grenze festgehal­ten. Sehr kritisierenswert war dabei das Verhalten der HCA- Verantwortlichen: Sie verließen als erste das Land per Flugzeug, ohne abzuwarten, ob alle ihre TeilnehmerInnen ungefährdet Kroatien verlassen konnten. Erst mit einiger Ver­zögerung konnten sie von der Fest­nahme Hern Jovic's informiert werden.

Helsinki Citizens Assembly intern

* Da die Generalversammlung keine repräsentativen Querschnitt der übli­chen HCA Mitglieder aufwies (wie erwähnt kamen über die Hälfte der TeilnehmerInnen aus Ex-Jugosla­wien), sind die Wahlen für das neue International Coordinating Commit­tee und einen neuen Vorsitzendenpo­sten auf die nächste Sitzung des ICC verschoben worden.

* Der Vorsitz der HCA, der immer aus drei Personen besteht, verändert sich: Mary Kaldor ist jetzt die "outgoing chair" (was vorher Sonja Licht war), dafür übernahm der Tscheche Vaclav Trojan ihre Position als Vorsitzender und ein/e neue/r "werdende Vorsit­zende/r" ("chair elect") muß gewählt werden.

* Zwischen einigen TeilnehmerInnen­gruppen kam es zu heftigen Konflik­ten, besonders zwischen den aus den Ländern der ehemaligen So­wjetunion. Diese Konflikte waren für Außenstehende zum größeren Teil nicht nachvollziehbar, aber es schien u.a. um unterschiedliche Positionen zu den politischen Konflikten in ih­ren Ländern (z.B. die Stellung und Zukunft Nagorny-Karabakhs) und um die Verteilung von finanziellen Mit­teln, die die HCA-Zentrale versucht, für die Arbeit in der Region zu be­sorgen zu gehen. Und fast alle waren sich anscheinend einig, "den Russen" nicht zu trauen, was sich u.a. an einer fehlenden Kritik der HCA Russland an neo-imperialistischen Äußerungen Jelzins festmachte.

* Zur Information für diejenigen, die mehr über die HCA wissen wollen: Es gibt eine deutsche Sektion (die allerdings kaum in Tuzla vertreten war). Ihr Büro wird von Beate Rog­genbuck in Bonn geleitet (HCA, Au­gustastr. 41,53173 Bonn); Vorsit­zende ist Renate Wanie (Heidelberg).

Die HCA hat auf internationaler Ebene neben den Ländersektionen fünf Kom­missionen: Civic Approaces to Conflict and Peace Politics, Democracy and Citi­zenship, Economy and Ecology, Women und neu: Refugees.

Die Adresse des internationalen Büros der HCA lautet: HCA, Milady Horakove 103, CZ-160 00 Prag 6, Tschechien. Tel: 0042/2/323259, Fax: 0042/2/323538, Email: hca [at] hca [dot] cz oder hca [at] ecn [dot] gn [dot] apc [dot] org

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.