Neues Rüstungsprojekt

Abgehoben – Startschuss für das deutsch-französische Kampfflugzeug

von Özlem Demirel (MdEP Die Linke)
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Anfang Juni 2019 bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages erste Gelder für das „Future Combat Air System“ (FCAS). Dabei handelt es sich um ein Luftkampfsystem mit einem Kampfflugzeug im Zentrum, dessen Entwicklung Mitte desselben Monats auf der Luftfahrtschau in Le Bourget per Vertrag zwischen Deutschland, Frankreich und den später hinzugestoßenen Spaniern endgültig auf den Weg gebracht wurde.
Problematisch sind an dem Projekt insbesondere drei Aspekte: Erstens handelt es sich dabei um das Kernvorhaben für den Aufbau einer deutsch-französisch dominierten „Europäischen Rüstungsunion“; zweitens machen die hohen Entwicklungskosten das Flugzeug zu einem Risikoprojekt, sodass davon auszugehen ist, dass über Subventionen das „unternehmerische Risiko“ für die mit dem Bau beauftragten Firmen minimiert werden wird; und drittens hängen die Realisierungschancen des Systems entscheidend davon an, ob durch ausreichend Abnehmer eine kritische Masse erreicht werden kann. Hierfür soll das FCAS sowohl als europaweites Standardsystem etabliert werden, um auf dieser Basis dann „erfolgreich“ auf den Weltmarkt zu drängen – und das wiederum dürfte es allerdings erforderlich machen, die deutschen Rüstungsexportrichtlinien noch weiter zu verwässern.

Im Zentrum der Autonomie
Seit einiger Zeit hat sich die Europäische Union die Erreichung „Strategischer Autonomie“ als oberste Priorität auf die Fahnen geschrieben. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, auf politischer, operativer und industrieller Ebene weitgehend unabhängig vom Einfluss anderer Akteure handeln zu können. Dies beinhaltet nicht zuletzt den Aufbau einer starken rüstungsindustriellen Basis, um auch hier nicht in Abhängigkeit von ausländischen Unternehmen zu geraten. Als größtes Problem wird hier identifiziert, dass die Unternehmen auf Basis rein nationaler Märkte nicht überlebensfähig seien – sie würden schlicht nicht die erforderlichen Stückzahlen erreichen, um sich am Markt halten zu können. Vor diesem Hintergrund drängen aktuell vor allem Deutschland und Frankreich massiv darauf, europaweite Beschaffungsprojekte auf den Weg zu bringen, um hierdurch eine Bündelung („Konsolidierung“) der nationalen europäischen Rüstungskomplexe voranzutreiben. Neben der waffenfähigen Eurodrohne (MALE RPAS) und einem künftigen Kampfpanzer (MCGS) ist das FCAS das dritte und wichtigste Großprojekt in diesem Zusammenhang.

Anschubfinanzierung
Die Geburtsstunde des FCAS war beim Deutsch-Französischen Ministerrat im Juli 2017, auf dem sich beide Länder im Grundsatz auf eine gemeinsame Entwicklung verständigten. Im Zentrum des Vorhabens steht der Bau eines Kampfflugzeuges der sechsten Generation (mit Tarnkappenfähigkeiten), aber zum FCAS soll noch weit mehr gehören, vor allem unbemannte Drohnenschwärme. Nach einigem rüden Hauen und Stechen zwischen Deutschland und Frankreich ist inzwischen auch die Systemführung geklärt: Dassault soll beim Bau des Kampfjets an der Spitze stehen, Airbus u.a. für die Drohnenschwärme zuständig sein. Profitieren werden auch die deutschen Subauftragnehmer MBDA-Deutschland, Autoflug, Hensoldt, ESG, Diehl, Rhode & Schwarz und MTU Aero Engines.

Aktuellen Planungen zufolge sollen bis 2027 die allgemeinen Anforderungen geklärt, bis 2030 ein Demonstrator gebaut und ab dann in die Entwicklungsphase gegangen werden. Als Auslieferungsdatum für die ersten FCAS wird das Jahr 2040 angepeilt. Was Entwicklungskosten und insbesondere Gesamtumfang anbelangt, gehen die Angaben teils doch weit auseinander. Bekannt ist zunächst einmal der Betrag von 65 Mio. Euro, den Deutschland und Frankreich (wohlgemerkt: ohne Spanien) für die Konzeptstudie bereits bereitgestellt haben – dies soll es wohl ermöglichen, sämtliche Spezifika des Fliegers im Vorhinein festlegen zu können.

Die Finanzierung der Konzeptstudie wurde vom Haushaltsausschuss auf Grundlage einer Vorlage des Verteidigungsministeriums abgesegnet, die auch Aufschluss über die aktuellen Kostenprognosen gibt: „Nach einer ersten groben Abschätzung Frankreichs beträgt der Bedarf für die Technologiereifmachung und -demonstration bis 2030 insgesamt rund 8 Milliarden Euro“, heißt es in der Vorlage. Hier enden dann aber die wenigstens halbwegs verlässlichen Schätzungen – völlig unklar ist, auf was das Gesamtvolumen des Projektes hinauslaufen wird. Da ist etwa in dem einen Artikel von insgesamt 100 Mrd. Euro die Rede, im anderen sind es dann gleich 500 Mrd. Euro.

Weil bei einem solch gigantischen Projekt allein schon die Entwicklungskosten enorme Risiken in sich bergen, ist davon auszugehen, dass die beteiligten Länder alles unternehmen werden, um den beauftragten Konzernen so weit als möglich unter die Arme zu greifen. Hierfür dürfte ab 2021 auf den „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) zurückgegriffen werden, ein Budget, das sich bis 2027 auf insgesamt 48,6 Mrd. Euro belaufen soll (davon 13 Mrd. aus dem EU-Haushalt, der Rest wird national zugegeben). Mit ihm soll insbesondere die Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsgroßprojekte im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) finanziert werden. Aus diesem Grund wurde bereits die bewaffnete Eurodrohne im November 2018 in die zweite PESCO-Projektrunde aufgenommen, seither wird ihre Entwicklung mit 100 Mio. Euro aus einem EVF-Vorläufer finanziert (die dann noch einmal durch nationale Beträge ergänzt werden). Deshalb ist davon auszugehen, dass das FCAS Teil der dritten PESCO-Projektrunde werden wird, über die Ende dieses Jahres entschieden werden soll.

Britisch-amerikanische Torpedos
Um die Stückkosten im Rahmen zu halten, muss sich das FCAS möglichst weitgehend als europaweites Standardsystem durchsetzen – doch da haben Berlin und Paris die Rechnung ohne Washington und einige andere europäische Hauptstädte gemacht. So sehen es die USA überhaupt nicht gerne, dass ihnen eine mächtige Konkurrenz auf den Weltexportmärkten erwachsen könnte – und auch der Verlust des bislang überaus lukrativen EU-Marktes droht den US-Unternehmen, die dorthin allein im Zeitraum 2014 bis 2016 Kriegsgerät im Umfang von 62,9 Mrd. Dollar absetzen konnten, während es umgekehrt gerade einmal 7,6 Mrd. waren, wie Mitte Juni 2019 ein Papier des EU-eigenen „Institute für Strategic Studies“ vorrechnete. (1)

Diese Sorge führte Mitte Mai 2019 zu einem Brandbrief zweier US-Verteidigungsstaatsekretärinnen, die für den Fall einer Abschottung des EU-Rüstungsmarktes Sanktionen androhten. Ob Washington tatsächlich so weit gehen wird, darf zwar bezweifelt werden, schon jetzt wird aber massiv versucht, die eigene F-35 gegen das FCAS in Stellung zu bringen. Aussichtsreich ist dieses Unterfangen in all den Ländern, in denen sich die Begeisterung, vor den Karren einer deutsch-französisch dominierten Rüstungsunion gespannt zu werden, in Grenzen hält – Polen etwa orderte im Mai 2019 bis 2026 insgesamt 32 F-35-Kampfflugzeuge von den USA.

Neben Spanien sollten außerdem wohl auch weitere Kooperationspartner ins FCAS-Boot geholt werden – über den Erfolg dieser Bemühungen heißt es allerdings in der Konzeptstudien-Vorlage des Verteidigungsministeriums, dass Schweden, Italien und Großbritannien „bisher für eine Zusammenarbeit nicht zu gewinnen“ waren.“ (2) Das ist besonders bei Italien und Großbritannien auch nicht weiter verwunderlich: Im Mai 2018 kündigte nämlich Großbritannien an, als Nachfolger des  „Eurofighter Typhoon“ mit dem „Tempest“ ebenfalls ein Kampfflugzeug der sechsten Generation bauen zu wollen. Die italienische Firma Leonardo ist neben britischen Firmen ebenfalls am Bau beteiligt, was darauf hindeutet, dass Rom sich gegen FCAS entscheiden könnte.

Während man versucht, eine tragfähige europäische FCAS-Basis zusammenzuzimmern, muss gleichzeitig noch eine weitere Kuh vom Eis – die deutschen Rüstungsexportrichtlinien.

Ohne Exporte kein Kampfflugzeug
Eine der wichtigsten Vorarbeiten für den „Europäischen Verteidigungsfonds“ war der Anfang 2016 veröffentlichte Bericht „The case for an EU-funded defence R&T programme”. Erstellt wurde er von einer von EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska handverlesenen „hochrangigen Gruppe“, die vornehmlich aus Industrielobbyisten bestand, und die wenig überraschend zu dem Ergebnis gelangte, ein solches Budget sei die halbe Miete für eine starke rüstungsindustrielle Basis. Ohne einen zweiten Aspekt, so schon damals eine der zentralen Schlussfolgerungen des Berichts, sei das Überleben der Branche aber kaum zu gewährleisten: „Die Steigerung der Exporte trägt wesentlich dazu bei, die kritische Masse europäischer Rüstungsunternehmen zu erhalten. […] Ohne Exporte würden viele EU-Unternehmen […] ums Überleben kämpfen.“

Seither wird immer vehementer betont, die – scheinbar – allzu restriktiven deutschen Exportrichtlinien würden die Rüstungsindustrie im Allgemeinen, besonders aber die Realisierung der geplanten deutsch-französischen Großprojekte gefährden.

Eine „Lösung“ des Problems ist auf zwei Arten denkbar: Einmal wird derzeit darüber nachgedacht, das Schmidt-Debré-Abkommen aus dem Jahr 1972 wiederzubeleben, wodurch es jedem an einem EU-Rüstungsgroßprojekt beteiligten Staat dann möglich wäre, gemäß seiner lokalen Ausfuhrbestimmungen zu exportieren. Dass es dazu kommen wird, kann als relativ sicher gelten, schließlich soll Deutschland dies in einem Zusatzabkommen zum „Aachener-Vertrag“ am 14. Januar 2019 bereits zugesichert haben: „Die Parteien werden sich nicht gegen einen Transfer oder Export in Drittländer stellen“ (3).

Für den ganz großen Coup wird aber mit Überschriften wie „Deutschland darf sich nicht isolieren“ (Deutschlandfunk) oder „Europa braucht endlich gemeinsame Regeln für Waffenverkäufe“ (Handelsblatt) geworben. Dabei geht es darum, sich mit den europäischen Partnern auf den kleinsten gemeinsamen Nenner in Sachen Waffenexporte zu einigen. Auch die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer stimmte in den Chor mit ein, es bedürfe europäischer Rüstungsexportrichtlinien, die könnten dann aber „nicht so strikt wie die deutschen Vorschriften sein“.

Anmerkungen
1 Fiott, Daniel: The poison pill: EU defence on US terms? EUISS Brief, Nr. 7/Juni 2019
2 Griephan Briefe, Nr. 23/2019
3 Deutsch-französisches Geheimpapier regelt Waffenexporte neu, Spiegel Online, 15.02.2019.

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Özlem Demirel ist Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei Die Linke