Der Bundestag und seine neuen Gesetze zum Asylrecht

Abschiebebeschleunigung und Diskriminierungsverschärfung per Gesetz

von Thomas Hohlfeld

Mit einer wahren Flut gesetzlicher Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht reagierte die Große Koalition auf die gestiegene Zahl Asylsuchender. Insbesondere mit den Asylpaketen I + II gab es eine Rückkehr zur Politik der Abschreckung: pauschale Leistungskürzungen, verlängerte Lagerunterbringung, Sachleistungsversorgung, Arbeitsverbote und Residenzpflicht, verschärfte Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbote, Asyl-Schnellverfahren, gesetzliche Vorgaben zu Überraschungsabschiebungen und zur Abschiebung (psychisch) Kranker und nicht zuletzt die Einstufung der sechs Westbalkan-Staaten als sichere Herkunftsstaaten – diese Stichworte stehen für massive Einschränkungen des individuellen Asylrechts und für eine Verrohung im staatlichen Umgang mit Schutzsuchenden. Nicht zu Unrecht konnte CSU-Chef Horst Seehofer deshalb im November 2015 konstatieren: „Wir haben die schärfsten Regeln, die es jemals in unserem Lande gab - mit Zustimmung der SPD“.

Leider stimmte nicht nur die SPD, getrieben von den drastischen Forderungen der CSU nach Obergrenzen und Grenzschließungen, dieser Politik der Entrechtung von Geflüchteten zu. Auch die GRÜNEN ermöglichten mit ihrer Zustimmung zum Asylpaket I und zur Einstufung der Westbalkan-Staaten eine Politik, die auf die Abschreckung von Schutzsuchenden setzt – ausgerechnet in dem Moment, in dem die Anerkennungsquoten auf Rekord-Höhen stiegen: Die Anerkennungsquote bei inhaltlichen Asylentscheidungen lag im Jahr 2015 bei über 60 Prozent und steigt 2016 weiter an. Das übliche Legitimationsargument eines angeblich verbreiteten Asylmissbrauchs greift angesichts dieser Zahlen weniger denn je.

Doch der Reihe nach. Die Einstufung der Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina war im Herbst 2014 in Kraft getreten. Schon zuvor gab es rigorose Ablehnungen im Schnellverfahren von Asylsuchenden aus diesen Ländern, darunter diskriminierte und massiv ausgegrenzte Roma. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Lage in den Herkunftsländern nicht ernsthaft geprüft, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies in einem Urteil von 1996 verlangt hatte. Viele SPD-Abgeordnete erklärten im Bundestag offen, dass sie die betreffenden Länder mit Blick auf die Lage der Roma nicht für sicher hielten – dies aber im Koalitionsvertrag nun einmal so vereinbart worden sei.

Die Einstufung bewirkt eine Art Beweislastumkehr: Asylsuchende müssen nachweisen, dass in ihrem Fall die gesetzliche Sicherheitsvermutung nicht zutrifft. Laut Gesetzesbegründung beschleunigen sich dadurch die Verfahren um durchschnittlich 10 Minuten. Wichtiger als diese geringfügige Zeitersparnis ist für die Koalition jedoch der Abschreckungseffekt, der durch weitere Sanktionen verstärkt wird: So kann bei Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten nach einer Ablehnung ein mehrjähriges und EU-weit geltendes Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbot verhängt werden. Zudem ist seit Oktober 2015 für diese Flüchtlingsgruppe eine dauerhafte Unterbringung in Erstaufnahme-Lagern und ein unbegrenztes Arbeitsverbot vorgesehen, was eine Integration wider den gesetzlichen Willen bereits im Ansatz verhindern soll.

 

Das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“

Das erste Asylpaket trug den Titel „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, obwohl in dem Gesetz praktisch keine Maßnahme enthalten war, die die Asylverfahren hätte beschleunigen können. Drei weitere Westbalkanländer wurden als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Dies war hinsichtlich des Kosovo besonders kühn, beschließt doch der Bundestag seit vielen Jahren den Einsatz der Bundeswehr dort mit der Begründung, für Sicherheit sorgen zu wollen. Die Behauptung, die Einstufung habe zum Rückgang der Asylsuchenden vom Westbalkan geführt, ist übrigens falsch. Ende Oktober 2015 trat das Gesetz in Kraft, im Oktober machten Schutzsuchende vom Westbalkan aber gerade einmal noch 2,7% aller neu registrierten Asylsuchenden aus. Auch in absoluten Zahlen gab es einen deutlichen Rückgang bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes. Grund hierfür waren vor allem konsequente Ablehnungen und Abschiebungen im Schnellverfahren.

Weitere Verschärfungen des ersten Asylpakets waren: Asylsuchende sind nunmehr verpflichtet, bis zu sechs – statt zuvor drei – Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu leben. Mit der Zwangsunterbringung in großen Sammellagern gehen ein absolutes Arbeitsverbot und die Fortdauer der Residenzpflicht einher. Außerdem soll es in Erstaufnahmeeinrichtungen kein Geld mehr für den persönlichen Bedarf der Schutzsuchenden, sondern vorrangig Sachleistungen geben – eine Regelung, die in der Praxis schwer umsetzbar ist, weil die individuellen Bedürfnisse im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums höchst unterschiedlich sind. Ausgeweitet wurde die Möglichkeit von Leistungskürzungen, etwa wenn der gesetzte Ausreisetermin abgelaufen ist oder  unterstellt wird, die eigene Abschiebung zu verhindern (z.B. weil kein Reisepass vorliegt). Dann sollen in der Regel nur noch Sachleistungen für Ernährung, Unterkunft und Körperpflege gewährt werden - Bargeld und Hilfen für persönliche Bedürfnisse sind gar nicht mehr vorgesehen. „Wer nicht geht, wird ausgehungert“, so lässt sich die gesetzliche, aber rechtsstaatswidrige Botschaft zusammenfassen, die mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum menschenwürdigen Existenzminimum unvereinbar ist.

Eine weitere für die Praxis sehr bedeutende Verschärfung des ersten Asylpakets war, dass Abschiebungen nach Ablauf der Ausreisefrist nicht mehr angekündigt werden dürfen. Dies gilt auch bei Menschen, deren Aufenthalt zuvor jahrelang geduldet wurde. Für sie bedeutet dies eine enorme Unsicherheit und Unberechenbarkeit. Die Pflicht zur Überraschungsabschiebung ist in vielen Fällen mit dem Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar. Ein Vertreter des Bayerischen Innenministeriums brachte es im Rahmen einer Sachverständigen-Anhörung im Bundestag hingegen so auf den Punkt: Der Gesetzentwurf erfreue das Herz des für den Vollzug von Abschiebungen Zuständigen. Mit den Stimmen der Grünen im Bundesrat traten die Änderungen im Oktober 2015 in Kraft.

Das „Asylpaket II“

Ende Februar 2016 wurde dann das so genannte Asylpaket II verabschiedet. Statt der von der CSU geforderten Transitzentren an den Grenzen soll es „besondere Aufnahmeeinrichtungen“ geben, in denen Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten, so genannte Folgeantragsteller oder Asylsuchende, die über ihre Herkunft oder Identität getäuscht oder Dokumente unterdrückt oder vernichtet haben, ein Asylverfahren zweiter Klasse betreiben müssen. Das gesamte Verfahren, inklusive gerichtlicher Prüfung, soll in diesen Fällen nur noch drei Wochen dauern. Es gilt zudem eine verschärfte Residenzpflicht, Verstöße hiergegen führen zur Verfahrenseinstellung bzw. zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Dieses rigorose Schnellverfahren verstößt sowohl gegen das Grundrecht auf Asyl als auch gegen EU-Recht.

Beim monatelangen Koalitionsstreit um die Einschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (dies betrifft vor allem anerkannte Bürgerkriegsflüchtlinge, bei denen keine individuelle Verfolgung vorliegt) setzte sich die Union gegen die SPD durch. Diese hatte zunächst versichert, syrische Flüchtlinge und der Nachzug von Eltern zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sollten nicht betroffen sein – beides ist nicht der Fall. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird für zwei Jahre komplett ausgesetzt, Kinder im Alter von 16 oder 17 Jahren werden dadurch dauerhaft von ihren Eltern getrennt, denn der Anspruch auf Nachzug erlischt mit dem 18. Geburtstag. Das Menschenrecht auf Familienzusammenleben und die UN-Kinderrechtskonvention werden damit offenkundig verletzt.

Eine besonders drastische Verschärfung wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Nunmehr gilt eine pauschale gesetzliche Vermutung, dass generell keine gesundheitsbedingten Abschiebungshindernisse vorliegen. Zur Widerlegung müssen qualifizierte ärztliche Atteste „unverzüglich“ (zwei Wochen) vorgelegt werden, sonst dürfen sie nicht mehr berücksichtigt werden. Nur lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen sind relevant - bei einer Traumatisierung soll dies jedoch regelmäßig nicht der Fall sein. Es werden auch nur ärztliche Atteste berücksichtigt, keine qualifizierten Stellungnahmen von psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Erkrankungen, die bereits bei Einreise bestanden, sollen einer Abschiebung nicht entgegenstehen. All dies ist mit den grundgesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Leib und Leben offenkundig nicht vereinbar.

Schließlich wurden auch die Sozialleistungen für Asylsuchende für die ersten 15 Monate pauschal um bis zu 10 Euro im Monat gekürzt. Angeblich sei für diesen Zeitraum von einem nur kurzfristigen Aufenthalt auszugehen – eine Begründung, die weder mit der Realität noch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist.

Menschenrechte ohne FürsprecherInnen

Trotz der erheblichen menschenrechtlichen, EU-rechtlichen und verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Gesetzespaket gab es keine Zeit, diesen in einem sorgfältigen Gesetzgebungsverfahren nachzugehen. In der Rekordzeit von nur fünf Werktagen wurde das Gesetz eingebracht und verabschiedet, inklusive einer pro forma abgehaltenen Sachverständigen-Anhörung. Nur DIE LINKE im Bundestag hatte dieser Farce eines Gesetzgebungsverfahrens widersprochen. Unmittelbar vor der Abstimmung im Bundestag trat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), mit Hinweis auf die Flüchtlingspolitik der Regierung zurück. Wie symbolträchtig: Die Menschenrechte haben in der Koalition keine FürsprecherInnen mehr.

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Thomas Hohlfeld ist Politikwissenschaftler und seit 2006 Fachreferent der Bundestagsfraktion DIE LINKE für die Themen Migration, Integration und Flüchtlinge, zudem langjähriges Mitglied im Arbeitsausschuss des Komitees für Grundrechte und Demokratie. 2006 promovierte er zur Verwaltungspraxis des Umgangs mit Flüchtlingen („Strategien der Ausschaffung – Eine Archäologie der Flüchtlingsbürokratie“). Von 1992 bis 2006 arbeitete er in zwei Asylberatungsstellen in Berlin, vorwiegend mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien.