Abschiebung ins friedliche Kroatien?

von Bodo Weber

Seit Mitte Januar geistert sie durch die deutsche Öffentlichkeit: die Diskussion um die für Ende April geplante Abschiebung der nach Deutschland geflohenen kroatischen Bürger. Eine Debatte, die symptomatisch ist für den Umgang unserer Republik mit den Geschehnissen auf dem Balkan, und zwar nicht nur bezüglich ihres Inhalts und der Art und Weise, wie sie geführt wird, sondern auch im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet.

Doch zuerst zur Sache selbst: Als 1991 der Krieg in Kroatien ausbrach, flohen Hunderttausende ins Ausland, ein großer Teil davon nach Deutschland. Sie bekamen problemlos Duldung, viele fanden Arbeit und Wohnung. Nachdem es Anfang 92 zum Waffenstillstandsabkommen kam, beschlossen die Innenminister der Länder und des Bundes auf ihrer ständigen Konferenz, daß Kroaten, die nach dem 22.5.1992 in die Bundesrepublik einreisten, keine Duldung mehr gewährt würde. Die bestehenden Duldungen wurden weiterhin alle drei Monate verlängert bis zum September 93, als die Innenminister entschieden, daß der Abschiebestopp (d.h. die Duldungen) zum 30. April diesen Jahres endgültig ablaufen solle. Die danach drohende Abschiebung ist nicht nur zutiefst inhuman, sondern auch politisch eine Fehlentscheidung.

Es gibt unter den Flüchtlingen Personen, die aus ganz zwingenden. Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren können; das sind:

  1. Kroaten, die aus den serbisch beherrschten Gebieten stammen. Eine Rückkehr ist derzeit unmöglich.
  2. Kroaten, die aus weiterhin umkämpften Gebieten stammen (Karlovac; Sibenik; Zadar; etc.)
  3. Bosnische Kroaten, die sich einen kroatischen Paß besorgt haben, um überhaupt Bosnien verlassen zu können.
  4. Ethnische Minderheiten, wie Serben, Albaner, Roma, die am meisten unter der sich eher verschlechternden Menschenrechtssituation in Kroatien leiden.
  5. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. Sie würden nach ihrer Rückkehr sicherlich bevorzugt einberufen. Erst Ende Dezember  wurden in Kroatien mehrere tausend in Bosnien geborene Kroaten mobilisiert und an die Front nach Bosnien geschickt.
  6. Aus politischen Gründen geflohene Personen. Nicht zufällig befindet sich unter den für den Kampf in Bosnien mobilisierten Männern auch Viktor Ivancic, Chefredakteur von Feral Tribune, einer der wenigen unabhängigen und gegenüber dem Regime kritisch eingestellten, kroatischen Zeitungen.

Aber auch die Rückkehr der restlichen Flüchtlinge würde sich katastrophal auswirken: Die kroatische Wirtschaft ist am Boden, weitere Flüchtlinge würden die sozialen Spannungen erhöhen. Außerdem ist Kroatien bereits jetzt schon überfüllt mit Flüchtlingen, die zum Teil in Behelfsunterkünften hausen. Zusätzliche 100.000 (die kroatische Botschaft in Bonn spricht nur von 60.000) würden den ohnehin zunehmenden Druck auf die moslemischen Flüchtlinge verstärken und deren Vertreibung nach Bosnien unterstützen.

An einigen dieser Punkte hat sich jetzt die öffentliche Diskussion entbrannt. Von den Medien ins Spiel gebracht, fordern mittlerweile Politiker mehrerer Parteien, Kirchen und einige Innenminister, einen Teil der oben genannten Personengruppen von der Aufhebung  des Abschiebestopps auszunehmen, vor allem Kroaten aus serbisch beherrschten Gebieten. Wer und wie ausgenommen werden wird, wird zur Zeit noch verhandelt. Eine allgemeine Verlängerung aber scheint höchst unwahrscheinlich, sie scheitert wohl in erster Linie an der Verweigerungshaltung Baden-Württembergs und Bayerns, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, sowie am Bundesinnenminister. Lediglich Sachsen hat bisher erklärt, seine rechtlieben Möglichkeiten voll ausschöpfen zu wollen, und auch ohne eine bundesweite Regelung die Duldungen einmalig um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Danach bliebe der Mehrzahl kroatischer Flüchtlinge nur die Möglichkeit, Widerspruch gegen die erhaltene Ausreiseaufforderung einzulegen und eine Einzelfallprüfung nach § 53 Abs. 6 zu beantragen, in der sie darlegen müßten, daß sie bei einer Rückkehr nach Kroatien konkret an Leib und Leben gefährdet wären. Ob dieser Weg Erfolg hat, läßt sich bisher nicht abschließend beurteilen, muß jedoch bezweifelt werden. Man sollte ihn aber auf jeden Fall voll ausschöpfen.

Politisch paßt diese Entwicklung hervorragend ins aktuelle Bild. Während sich die Koalitionsparteien durch die Abnahme der Flüchtlingszahlen im 'Superwahljahr eine Stärkung ihrer Position auf Kosten von Rechts-Außen erhoffen, dürfen sich Länder und Kommunen auf erhebliche  Kosteneinsparungen freuen; dabei spielt die Frage, was mit den Flüchtlingen nach ihrer Heimkehr passiert, und welche politischen Folgen das haben könnte, eine relativ untergeordnete Rolle. Womit wir schon beim zweiten Grund wären: Nach den zahllosen fehlgeschlagenen Friedensverhandlungen tendiert man in der westlichen Welt nun eher dahin, den Balkan sich selbst zu überlassen und ihn als eine Art „unerwünschtes Gebiet“ vom Rest Europas und der Welt zu isolieren.

Daß sich dagegen jetzt Protest regt, ist positiv, es zeigt aber auch, wie abhängig moralische Entrüstung in diesem Land von der Presse ist. Als letzten September die Abschiebungen drohten, ignorierten dies die Medien. Es gab kaum Proteste aus Politik und Kirche, und nur der Ausbruch heftiger Kämpfe in Kroatien bewegte schließlich die Innenministerkonferenz zum Einlenken.

Ein verstärktes Engagement der Friedensbewegung auch in der Flüchtlingspolitik ist dringend notwendig, um den momentanen Entwicklungen entgegenzuwirken.

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Rubrik

Krisen und Kriege
Bodo Weber ist Mitarbeiter des AK Mir Stuttgart, der der Organisation "Ohne Rüstung Leben" angegliedert ist.