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Abschied in Stille - Das Ende der Strategie der Flexiblen Antwort
vonIn der letzten September-Woche wurde im Brüsseler NATO-Hauptquartier eine lange überfällige Konsequenz gezogen: Das Ende der seit Jahren umstrittenen NATO-Strategie der flexiblen Antwort wurde besiegelt. Schlicht teilt NATO-Oberfehlshaber John R.Galvin seinen Spitzenmilitärs mit, die Regierungen der Nato-Länder hätten offiziell beschlossen, die flexible Antwort abzuschaffen. Keine politische Gremien-Sitzung, kein öffentliches Statement, keine Presseerklärung.
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, das Ende der Vorneverteidigung und die offensichtlich erforderlichen Änderungen im Bereich der nuklearen Teile der NATO-Strategie, dies alles machte den Abschied nach fast 23 Jahren unausweichlich. Schon als die Regierungschefs der westlichen Allianz während des NATO-Gipfels 1990 atomaren Waffen die Rolle des "wirklich letzten Mittels" zuordneten, hatte sich das Ende nach Jahrzehnten des Streites über die Interpretation dieser Strategie angekündigt. Das flexibelste und jedweder umstrittenen Interpretation offenstehende Element der Strategie, die vorbedachte Eskalation, wurde fallen gelassen. Am 3. Oktober nun, dem Tag der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, wurden auch die in der NATO vereinbarten "General Defense Plans", die vorbereiteten Ernstfallplanungen für die den NATO-Befehlsstellen unterstellten Militärverbünde, außer Kraft gesetzt. Sie wurden vorerst durch allgemein gehaltene vorläufige Aufträge und die Zuweisung von Verfügungsräumen als Übergangslösung abgelöst.
Eine neue Strategie für die Allianz und deren Atomwaffen wurde dagegen von den NATO-Staaten noch nicht in Kraft gesetzt, auch nicht interimsweise, bis zur Verabschiedung einer Nachfolgekonzeption. Ebenso wurde ein Abzug der in Europa stationierte Atomwaffen bislang nicht beschlossen.
Dies allerdings stimmt bedenklich. Denn sollte - wider alles Erwartungen - die NATO vor der Frage eines Atomwaffeneinsatzes stehen, so könnte sie nur auf die unterschiedlichen nationalen Konzeptionen der Atommächte zurückgreifen, Konzeptionen, die die Interessen der Mehrheit aller NATO-Länder nicht berücksichtigen.
Im Blick auf eine kurze Übergangszeit mag dies den Mitgliedern erträglich erscheinen. Mittelfristig aber ist es unakzeptabel. Da kann es nur zwei Alternativen geben: Die Denuklearisierung zunächst aller Nicht-Atomwaffenstaaten in Europa oder die Vereinbarung einer neuen Nuklearstrategie. Würde Letztes versucht, so stünden die NATO-Staaten erneut vor all den alten bekannten legitimen Interessensgegensätzen, die den Streit über die flexible Antwort zur Natur dieser Strategie machten. Würde Ersteres in Angriff genommen, so wäre es dagegen ein wesentlicher Schritt hin in Richtung auf eine neue gesamteuropäische Friedensordnung - und ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Auflösung des Militärblocks West. Doch daran haben Brüsseler Generale berufsbedingt wohl eher wenig Interesse.