Bühnenwechsel

Abschied von der Friedensbewegung oder Friedenspolitik der dicken Bretter?

von Winni Nachtwei
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Im Mai werden SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Bundeshaushalt 1999 auch einen Militärhaushalt von 58,7 Mrd. (nach NATO-Kriterien) verabschieden, der im wesentlichen dem Waigel-Entwurf entspricht. Ist das der endgültige Abschied von der Friedensbewegung, aus der vor allem die Grünen einmal gewachsen sind?

Kein Zweifel: In den letzten Monaten ist die Kluft zwischen Friedensorganisationen und Rot-Grün spürbar breiter geworden. Für manche stehen wir schon in einer Reihe mit der SPD von 1914 und ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten. Es gibt also erheblichen Klärungs- und sicher auch Streitbedarf.

Der Koalitionsvertrag
Die Reaktionen auf den außenpolitischen Teil des Koalitionsvertrages waren äußerst gegensätzlich: Sie reichten vom Totalverriss über "Enttäuschung mit kleinen Lichtblicken" bis zur ausgesprochen konstruktiven Stellungnahme der Hamburger Friedensforscher.

Erhebliche Fortschritte bringt der Vertrag für die präventive Friedenspolitik, vorläufig ein Weiter-So bei der militärischen Sicherheitspolitik: von grünen Abrüstungsforderungen zur Bundeswehr kam nichts durch, statt dessen eindeutige Bekenntnisse zur NATO und zur Bundeswehr und die ungewisse Perspektive einer Wehrstrukturkommission. Angesichts der enormen Macht der militärisch-industriellen Interessen, der Zwänge durch internationale Einbindungen und der Schwäche abrüstungspolitischer Positionen konnte das kaum überraschen - außer man machte sich Illusionen über die Kräfteverhältnisse hierzulande.
 

Erste Grunderfahrungen
Mit dem Wechsel aus der Opposition in die Regierungsfraktion gab es nicht einen Rollen-, sondern einen Bühnenwechsel: mit anderem Drehbuch, anderen Kulissen, internationalen Mitspielern, erheblich erweitertem Publikum. In der Opposition kann man sich gegebenenfalls damit begnügen, selektiv Einzelaspekte zu kritisieren und ansonsten das Wünschenswerte zu fordern. In der Regierung dagegen müssen wir uns mit unseren Zielen immer im Hier und Jetzt unter den gegebenen Bedingungen und angesichts realer Alternativen verhalten. Eine parlamentarische Mehrheit allein macht noch keinen politischen Frühling. Vorhaben müssen intern abgestimmt und durch den Dschungel widerstreitender Interessen und durch die Öffentlichkeit gebracht werden.

Kriegspolitik?
Sofort war die neue Regierung mit zugespitzten Krisen konfrontiert. Beim Kosovo befand sie sich im Oktober im Mehrfachdilemma zwischen drohender humanitärer Großkatastrophe, der NATO als zur Zeit einzig handlungsfähigem "Nothelfer", dem fehlenden UN-Mandat, dem Bündnisdruck und der damit verknüpften rot-grünen Koalitionsfrage. Die Katastrophe konnte vorläufig abgewandt werden - auf Kosten des Völkerrechts. Eine OSZE-Mission völlig neuer Dimension wurde in Gang gesetzt. Nach erneuter Zunahme der Kämpfe zwischen UCK und serbischen Kräften kam es nicht zu den von den USA gewollten NATO-Luftschlägen, sondern zu einem von der Kontaktgruppe getragenen multilateralen Verhandlungsprozess unter Einschluss Russlands. Damit wurde eine große Chance zum Frieden im Kosovo eröffnet, (vorläufig) ein Luftkrieg gegen Serbien verhindert und wichtige Schritte zurück zum Multilateralismus getan. Hierbei hat Joschka Fischer eine Schlüsselrolle gespielt und damit hervorragend praktische Friedenspolitik betrieben.

Beim amerikanisch-britischen 70-Stunden-Krieg gegen den Irak hingegen ließ die neue Regierung kaum Distanz erkennen, obwohl die Begründung der Angriffe äußerst zweifelhaft, ihre völkerrechtliche Legitimation nicht vorhanden und ihre Wirkung in jeder Hinsicht kontraproduktiv waren. Unsere Kritik daran war viel zu leise.

NATO wohin?
Der öffentliche Vorstoß des Außenministers gegen den atomaren Ersteinsatz durchbrach ein Tabu, scheiterte aber im ersten Anlauf an der Betonhaltung vor allem der USA, aber auch an der mangelnden Unterstützung durch andere NATO-Staaten. Damit ist das Thema keineswegs vom Tisch. Im Dokument des Strategischen Konzepts wird dieser Aspekt wahrscheinlich gar nicht auftauchen. Auf der Münchener Tagung für Sicherheitspolitik bekräftigten Fischer und Schröder, dass die Diskussion über den Stellenwert des Nuklearen in der NATO fortgeführt werden müsse.

Die Bundesregierung lehnt eine globale Rolle der NATO ab, sieht ihre Aufgaben nur in Europa und seiner Peripherie. Wo aber deren Grenzen verlaufen, ist ungeklärt.
 

Ebenso abgelehnt wird eine Selbstmandatierung der NATO bei Einsätzen jenseits der Bündnisverteidigung, weil damit das Völkerrecht zerstört würde. Die NATO-Drohung gegen Serbien wird weiterhin als absolute Ausnahme und nicht als Präzedenzfall gesehen. Zugleich ist klar, dass das Völkerrecht für Fälle von extremen innerstaatlichen Konflikten weiterentwickelt werden muss.

Höchst missverständlich war allerdings die Äußerung von Kanzler Schröder, die Bundesrepublik sei künftig bei allen NATO-Einsätzen dabei. Was einerseits selbstverständlich ist - Bündniseinsätze gibt es nur im Konsens oder gar nicht -, klingt wie der Abschied von jeder außenpolitischen Zurückhaltung und wie ein Blankoscheck. Das kann und darf nicht die Politik der neuen Regierung sein!

Vorbeugen ist besser
Das Vorantreiben der europäischen Integration und der EU-Erweiterung ist ebenso wie Entwicklungszusammenarbeit langfristige und strukturelle Friedenspolitik. Dabei kommt es entscheidend darauf an, die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU vor allem im präventiven Bereich und das Gewicht und die Kohärenz der Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Hierzu wurden erste wichtige Schritte getan. Erste Fälle von Kontinuität in der Rüstungsexportpolitik konterkarieren diese Bemühungen allerdings!

Der Aufbau einer Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung hat begonnen. Mit der Kosovo-Mission der OSZE ist der Nachholbedarf beim zivilen Peacekeeping und -building überdeutlich geworden. Im Auswärtigen Amt ist der Aufbau entsprechender Fähigkeiten zur strategischen Aufgabe erklärt worden. Der Planungsstab lud Fachleute und NGO`s zu einer ersten Anhörung ein. Für Maßnahmen der OSZE stehen nun 10,9 statt 4 Mio. DM zur Verfügung. Fischer kündigte auf der OSZE-Außenminister-Tagung eine Ausbildungsein-richtung für internationale Missionen an.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist federführend in Sachen Ziviler Friedensdienst (ZFD), wofür jetzt 6 Mio. DM in den Haushalt eingestellt werden. Bestrebungen seitens des DED-Geschäftsführers, den ZFD für sich zu vereinnahmen und somit das Forum ZFD als Pionier des Projekts auszubooten, lehnen die FachpolitikerInnen der Koalition vehement ab. Bei der Förderung der Friedensforschung bahnt sich mit der Bereitstellung zusätzlicher Mittel ein Kurswechsel an. Nach Jahren friedenspolitischer Dürre sind diese neuen Ansätze ausgesprochen hoffungsvoll. Im Haushalt 2000, dem "ersten" von Rot-Grün, können und müssen die Mittel für dieses Politikfeld aber deutlich höher ausfallen.

Bundeswehrpolitik: rot-grün-olivgrün?
Entsprechend der Kontinuitätsvorgabe des Koalitionsvertrages läuft die Einnahme der neuen Bundeswehrstruktur weiter. Dasselbe gilt für vertraglich fixierte Rüstungsvorhaben, darunter auch den von SPD und Grünen in der Opposition bekämpften Eurofighter, aus denen nur unter immensen Kosten rauszukommen wäre.
 

Zugleich gibt es Veränderung: Als erster deutscher Verteidigungsminister besuchte Scharping die UN und stellte eine deutsche stand-by-force von 5.000 Bundeswehrangehörigen für schnelle Peacekeeping-Einsätze in Aussicht. Sein kooperativer Führungsstil hat eine neue Diskussionsbereitschaft in der Bundeswehr angestoßen.

Die vom Minister eingesetzte Expertenkommission "Zukunft der Bundeswehr" soll bis Herbst 2000 Optionen einer künftigen Armee vorlegen und von einer gesellschaftlichen Debatte begleitet werden. Ob es dabei zu qualitativer Abrüstung oder eher zu einer effektiveren out-of-area-Truppe kommt, ist offen. Der viel zu großzügige Zeitplan kommt durch die Verdreifachung (!) des Auslandseinsatzes der Bundeswehr und die Sparzwänge des diesjährigen und vor allem des nächsten Haushalts enorm unter Druck. Schnellere Reformeingriffe werden unvermeidlich.

Aktuell strittig zwischen den Koalitionsparteien ist, welche Themen unabhängig von der Kommission jetzt angepackt werden sollten. Für uns stehen z.B. die Angleichung der Zivildienstdauer an die des Wehrdienstes, der Verzicht auf den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock, die Überprüfung noch nicht per Industrievertrag fixierter Rüstungsvorhaben, die Klärung der militärischen Traditionspflege auf der Tagesordnung. Die Distanz der meisten SPD-VerteidigungspolitikerInnen zur Friedensbewegung erschwert aber die Einigung.

Stürmische Aussichten
In Bundeswehrangelegenheiten sind die Durchsetzungschancen der Grünen z.Zt. weit geringer als unsere 6,7% Wähleranteil. In die Ecke einer Opposition in der Regierung, die alles mit dem Verweis auf den unwilligen "Partner" entschuldigt, können wir uns dennoch nicht zurückziehen. Unsere Arbeitsgrundlage ist der Koalitionsvertrag. Wir sind nun auch mitverantwortlich für die Bundeswehr - und haben damit den Rubikon überschritten, auf dessen anderer Seite ein Großteil grüner Anhänger mit ihrer antimilitärischen bis pazifistischen Einstellung steht.

Wir haben einen Mitgestaltungsauftrag für die Bundeswehr, haben beizutragen zu ihrer Reform im friedens- und abrüstungsförderlichen, demokratie- und sozialverträglichen Sinne. Wir können uns nicht mehr mit selektiven Abrüstungsforderungen begnügen. Nach den Beschlüssen zu den Bundeswehreinsätzen in Bosnien und Kosovo kommen wir nicht mehr herum um die Schlüsselfragen - Bundeswehr wofür, mit welchen Mitteln, in welcher Struktur - und haben dies mit der Perspektive des weiteren Abbaus von Militärpotentialen zu verbinden.

Das bedeutet zugleich den Abschied von Fundamentalpositionen zur Bundeswehr. Konflikte sind damit unausweichlich.

Der Aufbau einer Infrastruktur zivile Konfliktbearbeitung und die Debatte um die Kommission "Zukunft der Bundeswehr" sind enorme Herausforderungen an Friedensbewegte auf allen Ebenen, sich in die Gestaltung wesentlicher Bestandteile deutscher Außen- und Friedenspolitik einzumischen, statt immer nur reagieren zu müssen.
 

Stellungnahmen zum Koalitionsvertrag, zu den Kosovo-Bundeswehreinsätzen und zum letzten Golfkrieg sind erhältlich beim Büro Winni Nachtwei, Bundeshaus HT 201, 53113 Bonn, Tel. 0228/16-82567, Fax 0228/16-86016

Für Diskussionsveranstaltungen zum Thema stehe ich gern zur Verfügung.

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