Absolutismus statt Demokratie. Was wir von der EU-Verfassung zu erwarten haben.

von Angela Klein

Nach den Wahlen in Spanien stehen die Chancen hoch, dass der EU-Verfassungsentwurf noch im 1.Halbjahr 2004 zwischen den Staats- und Regierungschefs beschlossen wird.

Der Begriff Verfassung ist bei dem vorliegenden "Verfassungsvertrag" irreführend. Es handelt sich um einen Staatsvertrag wie die vorherigen EU-Verträge auch. Diese sind in Teil III übersichtlich zusammengefasst. Die EU bleibt damit, was sie war - ein Geflecht politischer Institutionen zwischen Staatenbund und Bundesstaat, das nach dem 2. Weltkrieg von den Regierungen zum Zweck der Schaffung erst einer Zollunion, dann eines Binnenmarkts eingerichtet und seither gemäß den Bedürfnissen des (west)europäischen Kapitals fortentwickelt wurde. Dem Teil III vorangestellt sind eine Charta der Grundrechte (Teil II) und im Teil I eine Fomulierung der Werte und Ziele der Union, die den Vertrag als Verfassung ausweisen sollen. Zu einem Verfassungsprozess fehlen allerdings alle äußeren Bedingungen: Weder kann man den Konvent, der den Verfassungsentwurf ausgearbeitet hat, als verfassungsgebende Versammlung anerkennen, noch werden in allen Mitgliedstaaten die Bevölkerungen über den Entwurf entscheiden. Der wichtigste Sinn und Zweck der EU-Verfassung besteht darin, unter den Bedingungen des Beitritts zehn neuer Länder zur Union am 1.Mai 2004 die Zuständigkeiten zwischen den bestehenden EU-Institutionen neu zu regeln. Natürlich sind die Bevölkerungen auch nicht befugt, die Verfassung zu ändern. Das dürfen nur die Regierungen, einstimmig und nur, nachdem ein neuer Konvent einberufen wurde.

Eine Union der Wirtschaft
Auf Schritt und Tritt stößt man in dem Verfassungsvertrag auf die grundlegenden Konstruktionsfehler der EU. Ihr erster und wichtigster Fehler ist, dass sie als Wirtschaftsunion entstanden und dies bis heute geblieben ist. Der Verfassungsvertrag korrigiert das nicht, enthält z.B. nicht das Ziel, die Lebensverhältnisse in Europa auf hohem Niveau anzugleichen, oder eine Produktionsweise zu entwickeln, die ökologisch verträglich und dazu angetan ist, in den Regionen des Südens eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung zu befördern.

Seit dem Beschluss, die Wirtschaftsunion durch eine Politische Union zu ergänzen (Vertrag von Maastricht), sind wichtige Bereiche der Innenpolitik (Asyl, Niederlassung, Aufenthalt, Visum etc.) zu Bereichen europäischer Politik geworden. Das schlägt sich u.a. in der Schaffung einer Europäischen Polizeibehörde (Europol) und einer Europäischen Staatsanwaltschaft (Eurojust) nieder. Der wichtigste weitere Integrationsschub für die Union geht aber nach der Einführung des Euro vom Drängen auf eine Militärunion aus. Der neu zu schaffende EU-Außenminister soll zugleich die Aufgaben des bisherigen Außenkommissars und des Hohen Vertreters des Rates für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wahrnehmen. Die Mitgliedstaaten sollen auf gemeinsame sicherheitspolitische Leitlinien festgelegt werden; ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten soll die europäische Rüstungsproduktion koordinieren.

Allen Unkenrufen zum Trotz treibt der Verfassungsvertrag den Prozess der europäischen Integration (verstanden als Europäisierung von Politik) erneut ein Stück voran, nicht nur im Bereich der Außen- und Militärpolitik, auch über die weitere Harmonisierung von Rechtsvorschriften, die Anbahnung eines einheitlichen Mehrwertsteuersatzes bis hin zu einem europäischen Arbeitsmarkt.

Dabei entsteht jedoch nach und nach ein Staatsgebilde, das mehr Änlichkeit mit den absolutistischen Staaten vor der Französischen Revolution hat als mit den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts. Es hat ein Kabinett, das niemandem verantwortlich ist (Kommission); einen Hohen Rat, in dem die Fürsten Wohlstand und Besitz ihrer Untertanen verschachern; ein Parlament, in dem die Notablen um das Recht streiten, die Gesetzesakte zu zeichnen, bevor sie in Kraft treten können; und eine königliche Doppelspitze, deren bevorzugtes Spielzeug ein Söldnerheer ist, das marodierend durch fremde Länder ziehen darf. Unterhalb dieser Ebene, in den Fürstentümern, spielen sich noch die letzten Reste bürgerlich-demokratischen Staatslebens ab, in den engen Grenzen, die ihnen die Beschlüsse vom Brüsseler Hof lassen und abhängig von den Geldern, die die Königliche Münze (EZB) ihnen gnädig einräumt. Die Fürsten haben das Recht, ihre Untertanen auszunehmen, wie es ihnen gefällt. Sie wachen eifersüchtig über ihren Kleinstaat und seine Besonderheiten und bringen ihn immer wieder gegen das Kabinett in Stellung. Unter diesen Bedingungen ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch hier die letzten Reste bürgerlicher Demokratie verschwinden und einem neuen Absolutismus weichen.

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Angela Klein ist Redakteurin der "Sozialistischen Zeitung" in Köln.