Von guten und schlechten Angriffskriegen

Aggressionsverbrechen stehen jetzt unter Strafe – außer denen des Westens

von Ulla Jelpke

Der Bundestag hat im Dezember 2016 beschlossen, dass Angriffskriege endlich strafbar sein sollen. Damit wurde eine paradoxe Gesetzeslücke geschlossen, denn bisher war lediglich das „Vorbereiten“ eines Angriffskrieges strafbewehrt, nicht aber seine Führung bzw. die Beteiligung daran. Jetzt sieht § 13 Völkerstrafgesetzbuch („Verbrechen der Aggression“) auch hierfür eine lebenslange Freiheitsstrafe vor.

Eigentlich eine gute Sache – doch ausgerechnet die Fraktion DIE LINKE, die Kriegseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich ablehnt, hat dagegen gestimmt (die Grünen haben sich enthalten). Denn das Gesetz stellt keineswegs, wie Bundesjustizminister Maas behauptete, den Angriffskrieg „als schwerstes Verbrechen gegen den Frieden im deutschen Recht umfassend unter Strafe“. Vielmehr wird die bundesdeutsche und NATO-Kriegspolitik geradezu legitimiert.

Auf das ansonsten im Völkerrecht geltende Weltrechtsprinzip wird verzichtet. Üblicherweise können die Verantwortlichen für schwerste Völkerrechtsverbrechen – Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen – überall auf der Welt vor Gericht gestellt werden. Es soll keine „sicheren Häfen“ für solche Täter geben. Auf dieser Grundlage hat beispielsweise im Jahr 2015 das Oberlandesgericht Stuttgart einen der Verantwortlichen für den Völkermord an ruandischen Tutsi zu 13 Jahren Haft verurteilt. In Bezug auf Angriffskriege aber beschränkt sich die Zuständigkeit der deutschen Justiz auf Fälle, in denen „der Täter Deutscher ist oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet“.

Mit dieser Einschränkung werden die Verbündeten aus EU und NATO aus der Schusslinie genommen. Denn zumindest einige von diesen verzichten manchmal ganz gerne auf ein UN-Mandat für ihre Kriegseinsätze. Sowohl die USA als auch Großbritannien verfügen über mehrere Stützpunkte in Deutschland (wobei die Bedeutung der Airbase Ramstein für den US-Drohnenkrieg mittlerweile auch amtlich ist). Da war es der Bundesregierung natürlich wichtig, zu vermeiden, dass BürgerInnen unter Berufung auf die neue Bestimmung des Völkerstrafgesetzbuchs die Festnahme führender NATO-Militärs auf deutschem Boden verlangen.

Der Begriff Angriffshandlung wird im Gesetz als „gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat“ definiert. Diese durchaus korrekte Begriffsbestimmung wird aber durch die sogenannte Erheblichkeitsschwelle aufgeweicht: Unter Strafandrohung stehen nur solche Fälle, „die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung“ der UN-Charta darstellen. Was damit gemeint ist, wird in der Gesetzesbegründung präzisiert: „Rechtlich umstrittene Einsätze, wie im Rahmen humanitärer Interventionen, und Fälle von nicht hinreichender Intensität sollen davon gerade nicht erfasst werden und damit nicht als Aggressionsverbrechen strafbar sein.“

Und damit wird eine ganze Kategorie von Kriegen komplett aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen. Denn welcher Krieg wird heute nicht als „humanitäre Intervention“ bezeichnet?

An sich wäre es ja eine schöne Vorstellung, dass PolitikerInnen, wie weiland Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein grüner Außenminister Joseph Fischer, für ein Verbrechen wie den Überfall auf Jugoslawien im März 1999 lebenslänglich weggesperrt würden. Schließlich gab es damals kein UN-Mandat, Jugoslawien hatte niemanden angegriffen, und zweifellos war der Krieg der NATO gekennzeichnet von „Gewalt in größerem Umfang, die hinreichend schwerwiegend und von einem evident aggressiven Element geprägt“ war (so die in der Gesetzesbegründung aufgelisteten Markenzeichen eines Angriffskrieges). Aber die NATO hatte auch damals nicht vergessen, den Etikettenschwindel vom humanitären Einsatz zu betreiben. Der Irakkrieg 2003 wäre ein anderes Beispiel. Im Wiederholungsfall würde den Verantwortlichen dafür Knast drohen, und zwar den amerikanischen Offizieren genauso wie jenen deutschen PolitikerInnen, die die Angriffshandlungen von deutschem Boden aus zulassen. Jedenfalls theoretisch. Denn in der Praxis nennt die Bundesregierung den Irak-Krieg völkerrechtlich „umstritten“, und was umstritten ist, geht die Gerichte ja per Gesetzesdefinition nichts an. Im Zweifelsfall genügt es, eine Handvoll williger JuristInnen aufzutreiben, die einen Krieg schönschreiben.

Im Ergebnis hat sich die Bundesregierung damit einen Freibrief für alle ihre Militäraktionen und die ihrer Verbündeten geben lassen. Die aggressive Politik des Westens ist legalisiert, verboten sind nur noch die Kriege der Anderen. Die Bestimmung des Grundgesetzes, von deutschem Boden solle Frieden ausgehen, ist ein weiteres Mal pervertiert worden.

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Hintergrund
Ulla Jelpke M.d.B ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.