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Es liegt auch an uns, uns zu verändern
Aktivismus anpassen, Bewegung weniger starr denken, Anliegen breit vertreten
vonEs ist ein viel vernommenes Leid: Die überalterte deutsche Friedensbewegung ist nicht attraktiv für jüngere Menschen und kann daher aus ihrem Erstarrungsmoment nicht herauskommen, den politischen Druck nicht entfalten und schafft sich immer mehr selbst ab. Ich kenne dieses Leid, und auch ich habe meinen Anteil an der Klage. Doch ich meine, es ist möglich, anders zu agieren.
Manchmal ist es zum Verzweifeln: Wo sind die vielen kriegskritischen Menschen meiner Generation oder jüngerer? Weshalb machen sie nicht auch da mit, wo ich aktiv bin? Weshalb ist es nicht ansprechend für jüngere Menschen? Weshalb aktiviert es sie – wenn – nur temporär, eher zufällig und in extremen Situationen?
Sehr oft ist es die Selbstreflexion fordernd: Bin ich denn auch in anderen Bewegungen aktiv? Wieso sollte denn „Frieden“ wichtiger sein als „Klimagerechtigkeit“, „Mietkämpfe“, antifaschistischer Widerstand oder migrationspolitisches Eintreten für Bewegungsfreiheit? Weshalb denken wir das überhaupt in solchen getrennten Kategorien?
Strategien und Organisationsweisen erkennen und überdenken
Wir müssen erkennen und akzeptieren, dass bspw. die DFG-VK als mitgliederstärkste Friedensorganisation im Bundesgebiet vor allem als Fachorganisation in friedenspolitischen Belangen verstanden wird, nicht als bewegungsmotivierende Aktionsgemeinschaft. Dies gilt meines Erachtens für eine Reihe von Friedensorganisationen in Deutschland und darüber hinaus. Nicht notwendigerweise finde ich das schlimm, ich habe nur begrenzt Einwände gegen eine NGO-isierung unserer Organisationen. Denn ich denke, dass es diese braucht. Als Fachberatung gegen den Kriegsdienst wird es ohnehin wieder nötig sein.
Für eine aktive Bewegung allerdings braucht es Keimzellen des friedenspolitischen Engagements – in kleineren Ortsgruppen, in bundesweiten Kampagnen. Hören wir auf, nur als Friedensbewegung zu erkennen, was sich selbst diesen Titel gibt – auch aktiver Widerstand gegen Polizeikongresse ist Friedensarbeit.
Zweitens gehört zur Einsicht die Flexibilität der Arbeitsweisen: Wenn wir uns die Organisationsformen von Bewegungen wie Fridays for Future (FFF) oder Letzte Generation vor den Kipppunkten (LG) ansehen, so entstand deren Stärke auf der Straße aus einer Aktionsform, die der Handlungsweise und den Handlungsmöglichkeiten der von ihr bewegten Generation entsprach (Schulstreik, Kreuzungsblockaden), wenig Mittel benötigte, den Überraschungsmoment besaß, im Repertoire erprobter Aktionsformen als effektiv galt und den für die Handelnden größtmöglichen Druckmoment formulierte.
Es gehört also dazu, sehen zu wollen, worin organisatorische Probleme bestehen und welche Ortsgruppen-Selbstorganisation am besten funktioniert, wieso zeitkritische, gezielte und auf konkrete Veränderung gerichtete Kampagnen mehr Menschen anziehen (bspw. Tesla-Blockade) und dass es ein statisches Überdauern von sozialen Bewegungen nur begrenzt gibt. Denn auch die Repressionsorgane lernen. Auch die jüngeren Bewegungen haben das erfahren – sind aber bereit zu verstehen: Wenn der Druckmoment der Massenverweigerung des Schulbesuchs wie bei FFF nicht mehr zieht, weil er von Rektor*innen bundesweit strategisch wegtoleriert wird, so braucht es neue Aktionsformen. Dies gilt auch für die Friedensbewegung.
Bündnisse ohne Querfront
Die Mosaiklinke bearbeitet als gesellschaftliches Gesamtunterfangen eine Vielzahl an dringlichen Baustellen für die Transformation hin zu gerechteren Welten. So stark wir individuell zentrale Themen haben, so sehr gehört ein Agieren in Solidarität mit der Vielzahl der Bewegungen mit zu einer gelingenden Friedensarbeit.
In Solidarität mit von Repression betroffenen Menschen (von Sozialhilfe-Sanktionen bis hin zur „Erschleichung von Leistungen“) zu agieren oder sich gegen Ausbeutung zu wehren (in extraktiven Industrien weltweit) bearbeitet effektiv strukturelle Gewalt. Aufmerksam zuzuhören und reflektiert zu agieren in den Kämpfen für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung (vom Verbündeten für ein Ende der Femizide bis hin zum Personenstandsgesetz) ist ein Beitrag zum Ende direkter, sozialer und symbolischer Gewalt, usw.
Das Gelingen einer Erneuerung der Friedensbewegung liegt nicht in der breiten politischen Querfront – es liegt in der bewussten internationalistischen Bündnisarbeit zu mosaiklinken Anliegen.
Themen setzen – in der Breite der Bewegungen
Das bringt mit sich, friedenspolitische, antimilitaristische und auch pazifistische Anliegen in der Breite der Bewegungen aktiv thematisieren zu müssen. Anlässe dazu bietet die Welt derzeit mehr als genug. Als Beispiel: In etwas mehr als einem Jahr sollen auf dem Boden der Bundesrepublik erneut Mittelstreckenwaffen stationiert werden. Es ist klar, dass es Widerstand geben muss: juristisch, politisch und ganz praktisch. Zu Land, zu Wasser, hier und in den USA, in Russland und in China.
Gerade hier sind wir als Friedensaktive aufgerufen, das taktische Repertoire von „Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ (1) in Erinnerung zu rufen, die politischen Argumente gegen Raketenabwehr, Abschreckung und Militarisierung lautstark zu benennen und zu überzeugen, jede antikapitalistische, antifaschistische, feministische und gegen Antisemitismus und Rassismen arbeitende Bewegung antimilitaristisch zu bewegen und die Überschneidungen zu benennen. Aber lassen wir auch zu, dass bei Dringlichkeit neue Bewegungen entstehen, neue Gruppen sich bilden werden, auch gemeinsam Fehler gemacht werden und – hoffentlich – daraus gelernt werden wird. Davon gibt es einige Beispiele auch aus jüngerer Vergangenheit, wie bspw. das Climate Camp against Nukes.
Es kann auch bedeuten, dass diese Neuentwicklungen ohne „mich“ passieren oder meine Kritik an friedenspolitischen Irrungen nicht direkt aufgenommen wird. Gestehen wir jüngeren Generationen ihren je eigenen Weg zu, bringen unsere Themen ein und verstehen nicht jedes Ignoriertwerden als Angriff auf uns selbst. Diesen Narzissmus hat das Streben hin zu gewaltfreien Gesellschaften und für den Frieden nicht verdient. In der Sache harte Diskussionen dürfen durchaus sein.
Es ist kein Widerspruch, dass die Klimakrise viele jüngere Menschen dringlicher mobilisiert und dass gleichzeitig Frieden als ein zentral wichtiges Thema für die Erhaltung einer lebenswerten Zukunft für die Menschheit gelten muss. Wichtig ist, diese Überschneidung friedenspolitisch zu wenden, in klugen Bündnissen zu nutzen und an der Selbsttransformation der Friedensbewegung zu arbeiten. Das sind wir unserem geteilten Anliegen gerade in militaristischen und zunehmend regressiven Zeiten wie diesen auch schuldig: Frieden ist kein Selbstzweck, er muss gerecht, umfassend und prozessual entfaltet werden.
Dafür braucht es gesellschaftlich auch das Agieren und die Kritik der Klimagerechtigkeitsbewegungen und anderer progressiver Bewegungen – und eine in Solidarität gelebte Bündnisarbeit aus der Friedensbewegung heraus, die an sich selbst arbeitet, ihre Themen setzt und so erneut gesellschaftliche Relevanz zu entfalten beginnen kann.
Hier beginnt die Arbeit – und die Klage muss enden.
Anmerkung
1 https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/ziviler-ungehor...