Plädoyer für eine Zivil- und Friedensklausel

Aktuelle Absicht: Streichung aus dem Hochschulgesetz

von Arnold Köpcke-Duttler
Hintergrund
Hintergrund

Die Forschung an neuen Waffensystemen und Rüstungsgütern soll nach den politischen Plänen der seit einigen Monaten amtierenden Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen wieder möglich sein. Die Wissenschaftsministerin Isabel Pfeifer-Poensgen hat vor, das im Jahr 2014 von dem vorhergehenden Landtag beschlossene, eine Zivilklausel enthaltende Hochschulgesetz wieder zu ändern. Nach dieser Klausel entwickeln die Hochschulen ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie seien friedlichen Zielen verpflichtet und sollten ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nachkommen. Das Nähere zur Umsetzung dieses Auftrags regle die Grundordnung der Hochschulen.

Die Ministerin begründet ihre Pläne damit, dass den Hochschulen mehr Autonomie zuzugestehen sei. Gute Forschung lasse sich nicht staatlich verordnen, Bürokratie sei abzubauen.  Die Hochschulen bestünden nicht aus Militarisierten, die nichts Besseres zu tun hätten, als Rüstungsforschung zu betreiben. Zudem werde keine Hochschule gezwungen, eine Friedens- oder Zivilklausel aus ihrer Grundordnung zu entfernen, wenn die Klausel im neuen Hochschulgesetz gestrichen werde.

Was als Eintreten für die Autonomie der Hochschulen verbrämt wird, erscheint KritikerInnen der beabsichtigten Novellierung als Öffnung eines Freiraums für militärische Forschung und Lehre. In einer waffenstarrenden Welt, in der sich Staaten mit der wechselseitigen völligen Vernichtung bedrohen, die Menschheit sich selbst vernichten könne, verstoße die beabsichtigte Änderung gegen die verfassungsrechtlich gebotene Verantwortung für die Erforschung der Bedingungen des inneren und äußeren Friedens. Die Initiative „Hochschule für den Frieden“ kritisiert die Begründung der Ministerin, mit der Beseitigung der Zivilklausel werde die Autonomie der Hochschulen gestärkt, als Farce. Denn Drittmittel spielten bei der Finanzierung der Hochschulen eine tragende Rolle. Der Wegfall der Zivilklausel stärke nicht die Selbstbestimmung der Hochschulen, sondern im Gegenteil deren Abhängigkeit von finanziell potenten Drittmittelgebern, Rüstungsunternehmen und Bundeswehr eingeschlossen.

Ein Antrag der Fraktion der Grünen, die Landesregierung solle von ihren Planungen Abstand nehmen, wurde im Januar 2018 von der Mehrheit des Landtags abgelehnt. Angesichts dieser Entscheidung sind alle Initiativen „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel!“ in ihren Anstrengungen zu verbinden und zu stärken. Dazu gehört auch eine Antwort auf die Frage, wie die verfassungsrechtlich verbürgte Wissenschafts- und Forschungsfreiheit zu verstehen ist.

Ich möchte hier mittels einiger Beispiele zeigen, dass die Freiheit des Wissens und der Wissenschaft zu verbinden ist mit der Suche nach dem Frieden.  

Klage des Friedens (Erasmus von Rotterdam)
Bereits in seiner Klage des Friedens, verfasst im Jahr 1517 von Erasmus von Rotterdam, einem der ersten streitbaren Friedensfreunde des Abendlandes (Stefan Zweig), kritisiert dieser den Krieg als Lehrmeister der Mordverbrechen, der Raubüberfälle, aller Schändlichkeiten, die Menschen einander zufügen können. Der Friedensstifter und Humanist nahm auf der Suche nach der Urteilskraft des Geistes seine Zuflucht zur Philosophie und Theologie. Doch auch dort entdeckte er den Krieg, freilich nicht den blutdürstigen, sondern den der Uneinigkeit, des eifernden Streitgesprächs, der Schmähungen bis hin zur Handgreiflichkeit. Gleichwohl hat Erasmus nie die Hoffnung aufgegeben, dass das große Unheil des Krieges durch das natürliche Mitempfinden und durch die Humanität der Menschen, und seien es auch wenige, überwunden werde. Denn der größte Teil des Volkes verfluche den Krieg und suche den Frieden, gehalten und geschützt von dem Geist Christi, dem zu gefallen das höchste Glück sei.

Das Russell-Einstein-Manifest
Jahrhunderte später unterzeichneten 1955 viele hervorragende WissenschaftlerInnen in verschiedenen Teilen der Erde das Einstein-Russell-Manifest, gerichtet gegen die Gefahr eines Kernwaffenkriegs. In dieser Erklärung betonten die UnterzeichnerInnen ihre Pflicht, eine Konferenz einzuberufen, um die unheildrohende Entwicklung der Massenvernichtungswaffen zu erörtern. Sie forderten dazu auf, anders zu denken als bisher. Zu fragen sei, welche Schritte zur Vermeidung eines militärischen Konflikts führen, dessen Ende für alle Beteiligten verheerend sein müsste. Die VerfasserInnen legten eine Frage von harter, unausweichlicher Grauenhaftigkeit vor: Wollen wir die Menschheit oder den Krieg abschaffen? Ein vertraglich festgelegter Verzicht auf Kernwaffen – als Teil einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung -  würde zwar einen Fortschritt bringen; doch die einzige Hoffnung für die Menschheit bestehe in der Verhütung von Kriegen. So sei über die dazu erforderlichen Schritte nachzudenken. Als Menschen - so die WissenschaftlerInnen – riefen sie die Menschen auf, an ihr „Menschentum“ zu denken und alles andere zu vergessen.

Abschaffung der Atomwaffen und Hoffnung auf Frieden
Fünfzig Jahre später hieß es in dem Aufruf zur Unterstützung des Internationalen Einstein-Jahres 2005, die Abschaffung der Atomwaffen sei der erste und wichtigste Schritt, um eine Welt zu schaffen, in der Krieg als Mittel der Konfliktlösung keine Rolle mehr spiele. Mit Einsteins Worten wurde hervorgehoben, den Krieg könne man nicht humanisieren; er können nur abgeschafft werden. WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt wurden aufgerufen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und sich auch dafür einzusetzen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse als gemeinsames Kulturerbe aller Menschen genutzt werden, Armut, Unterentwicklung und Umweltzerstörung friedlich entgegenzutreten. Aus einem im Jahr 1929 geführten Gespräch wurde Einstein mit der Hoffnung zitiert, vielleicht könne seine Stimme der größten Sache dienen: der Eintracht unter den Menschen und dem Frieden auf Erden.

Initiative Hochschulen für den Frieden: Zivilklauseln stärken
In seinem Aufruf „Für einen militanten Pazifismus“ forderte Einstein, Waffen des Geistes, nicht Panzer und Geschosse zu verwenden. Die einzige Hoffnung für die Menschheit bestehe in der Verhütung von Kriegen. Während des Zivilklausel-Kongresses im Oktober 2014 in Hamburg wurde Einsteins Gedanke erneuert, das Denken der Zukunft müsse Kriege unmöglich machen. In der Eröffnungsrede wurde verlangt, das Grundgesetz müsse  wieder Geltung erlangen, das als antifaschistische Errungenschaft die Freiheit der Wissenschaft und Forschung in Einheit mit der Würde des  Menschen und dem Ziel eines friedlichen Miteinanders verstehe. Niemals bedeute die Freiheit der Wissenschaft Freiheit zu Krieg und Unmenschlichkeit. Friedensstiftende Wissenschaften und Universitäten hätten die Aufgabe, die drängenden epochalen Fragen zu bearbeiten: Weltweite Abrüstung, Ernährungssicherheit für alle Menschen, Überwindung von Armut, Versorgung aller Menschen mit Strom und  Wasser, Gesundheit, Kultur und Bildung für alle. Zivile statt militärische Konfliktlösungen seien zu entwickeln, die Produktion von Waffen zu konvertieren, menschenfeindliche Haltungen zu überwinden. Die Zivilklausel-Bewegung müsse im Bündnis mit Personalräten, Gewerkschaften und der Friedensbewegung für eine gesellschaftlich verantwortliche Wissenschaft streiten und dafür sorgen, dass Zivilklauseln und Friedensklauseln in allen Hochschulen und Landeshochschulgesetzen verankert werden. Mit Hilfe einer Zivilklausel als Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen soll die Verantwortung dafür gestärkt werden, für menschenwürdige Lebensbedingungen und Frieden weltweit zu forschen. Die Freiheit der Wissenschaft binde sich selber an die Würde des Menschen, die Friedens-Finalität und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Frieden und eine zivile Orientierung der Wissenschaften beugen sich nicht unter partikulare Interessen, sondern liegen im Interesse der Menschheit. So stellen sie keine Einschränkung der Freiheit von Forschung, Lehre und Wissenschaft dar.

Zu bedenken bleibt, dass die neuzeitliche Wissenschaft und die Forschung sich selbst in den Horizont einer Verantwortung gestellt haben, den Horizont der Verantwortung für eine friedliche, gerechte und nachhaltige Welt. Freiheit ist damit nicht beschränkt auf die Beliebigkeit des einzelnen Wissenschaftlers, sondern zu verstehen als Freiheit zur Schaffung und  Bewahrung von Frieden. Friede ist der „Leib einer Wahrheit“ (Carl Friedrich von Weizsäcker), eine Möglichkeit, ohne existenzgefährdende Konflikte zu leben.

Von daher hat die sich erneuernde Zivilklausel-Bewegung jeder „Vernichtungswissenschaft“ (Jürgen Schefran) in Freiheit zu widerstehen. Freiheit der Wissenschaft ist keine Freiheit zum Krieg und zur Unmenschlichkeit. Zu bedenken bleibt zudem die „Friedens-Finalität“ (Erhard Denninger) des Grundgesetzes.

Literatur:
Erhard Denninger, Das Staatsziel Frieden, in: Kritische Justiz 2015, S. 134  - 145
Erasmus von Rotterdam, Die Klage des Friedens, Zürich 1998
Albert Einstein, Frieden heute. Visionen und Ideen. Hg. Reiner Braun und David Krieger, Neu Isenburg 2005
Arthur  Kaufmann, Gerechtigkeit – der vergessene Weg zum Frieden, München 1986
Wissenschaft und Frieden – Dossier 78. Zivilklauseln. Lernen und Forschen für den Frieden, Mai 2015
Thomas Nielebock u.a. (Hrsg.) Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium, Baden-Baden 2012
Carl Friedrich von Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen, München / Wien 1977, S. 40
Jürgen Schefran, Militarisierung oder Zivilisierung? Ambivalenz der Wissenschaft in der Krise, in: Wissenschaft und Frieden 2/2018, S. 15 - 20

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Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge. Er hat verschiedentlich zu pädagogischen Themen und zu Gandhi und anderen VertreterInnen der Gewaltfreiheit publiziert.