Neue Serie im Friedensforum

Aktuelles aus bisher unveröffentlichten Tagebüchern von Politikern - Heute Rudolf Scharping: Ich bin ein Blauhelm

von Martin Singe

(Man lese  den Text leicht pfälzisch-singend und vermeide überschwängliche Betonungen.)

Also neulich, da träumte ich, ich bin ein Blauhelm. Und dann war ich auf einmal in einer großen Wüste - mein Gott, war das da trocken. Erst lief ich ganz einsam durch die Wüste, aber darin fand ich ein Camp mit Deutscher Flagge -  oh, Deutsch-Süd-West, gibt's ja doch noch! Dann der nüchterne Blick auf den Kom­paß - als Radfahrer hat man sowas auch in der Wüste bei -nein, ich bin nicht in Deutsch-Süd-West, nein, das hier ist Deutsch-Nord-Ost. Auf einmal kommen mir ganz viele Blauhelme entgegen mit deutschen Fahnen auf den Bundeswehrjacken. Ich bin ergriffen, eine Träne der Rührung fließt mir trotz der Trockenheit aus dem rechten Auge. Deutsche Soldaten in Afrika - und alles so friedlich. Später erst hörte ich, daß es hier so friedlich ist, weil es - welch bö­ser Spott! - von anderen das "Feiglingscamp von Belet Huen" ge­nannt wird. Allerdings wird in diesen Tagen bekannt, daß sich auch der Italie­ner ins Feiglingscamp zurückziehen will (naja, mein Vater hat ja schon damals von den italienischen Panzern aus dem Krieg erzählt - einen Vorwärts- und neun Rückwärtsgänge haben die Din­ger). Aber Feigheit hat noch nie eine Idee weitergebracht - und die Idee Blauhelm muß weitergebracht werden. Übrigens ging mein Traum noch weiter, es war eine Vision der Multifunktionalität von Blauhelmen. Es ist viel mehr drin in der Idee als man bisher denkt. Mein Konzept ist folgendes: Wenn ein zu befriedendes Gebiet auf dem Globus gefunden ist, müssen erst einmal Blau­helme abgeworfen werden. Die ausgemergelten Gestalten, deren Rettung das später folgende peacemissionkeepingdefenseurgentactionbombardement gilt, können nun diese Blauhelme erst mal als Reisschalen benutzen und UNO-Güter sammeln (wir kennen das ja von der Määnser Fassenach). Und wenn sie dann erst mal wieder ein bißchen besser drauf sind, na ja, dann fängt die interna­tionale Verantwortungsgemeinschaft einen Irren, der alles schuld ist. Nur sind solche Irrenfangmissions not so easy. Wo gehobelt wird, ... Nun ja, aber ge­rade da kommt nun der Blauhelm wie­der zum Tragen. Der gemeine Afrikaner (Inder, usw. ...) kann nun den Blau­helm, aus dem er gerade noch NATO-­Speisen verzehrte, nun umkehren und als Schutzhelm auf den Kopf setzen. Er macht damit sozusagen eine individual­self-defence against our international mission-defence. Isn't it great?

Mit diesem neuen Doppelbeschluß (von Helmut Schmidt lernen, heißt siegen lernenl) - oder sagen wir dual-use-capacity for BLUEHELMS - krieg ich vielleicht auch wieder meine Partei in den Griff. Die alte rote Heidi hat ja beim außenpo­litischen Leitantrag zugeschlagen und meine Regierungsunfähigkeit damit ma­nifestiert. Das hat mir zum Glück der alte Egon (Bahr) bestätigt, beim Bun­desparteitag neulich; der sagt jetzt auch, was alle sagen: wirmüssenwiederausunserersonderrolleherauskommen, wir­müssenendlichwiedereinenormalenationwerden, wirmüssenderverantwortungdesgrößergewordenendeutschlandswiedergerechtwerden.

Aber ich muß auch taktisch bleiben. Paar Leute haben ja schon in der Partei gecheckt, daß ich schon ganz anders ge­redet habe und schon eine klare Option für die Kriegsmitmischer Klose-Votgt­-Bahr&Co gewählt habe. Aber ich kann mir jetzt kein Petersberg leisten - von Engholm lernen heißt siegen lernen! Die Parteistimmung muß ich noch eine Weile berücksichtigen. Beim Asyl ha­ben wir den Dreh ja zum Glück schneller hingekriegt. Bei out-of-area wird's noch ein bißchen dauern - also gut - eine Wahlperiode soll der Dicke noch ma­chen, dann komm ich erst - oder koalier' ich doch mit dem Dicken? Dann hätte ich Super-Sachzwänge und alles ginge viel schneller.

Zum Glück hat unsere Basis ja eine Rie­sentoleranzschwelle - ich wüßte nicht, was man denen letztlich nicht zumuten könnte, man kann machen was man will, die bleiben in der Partei. Super finde ich, daß  wir als erstes in  der klammheimlichgroßenkoalition  den großen Lauschangriff durchkriegen - das war ja auch mit ein persönliches Anliegen - endlich kann ich direkt mit­hören, wenn die rote Heidi mit der Frie­densbewegung diskutiert. Aber es geht mir dabei um mehr. Ich habe ja auch ein gewisses spirituelles Gefühl und ich glaube, daß ich mit der Lauschnummer auch besseren Kontakt zu Willy Brandt ganz droben kriege - jedenfalls kommen die Anträge, die ich mit ihm lauschhörflüstermäßig abgestimmt habe, bes­ser an der Basis an. Seit wir in unseren Parteitagsanträgen den Geist Willys zi­tieren, läuft die Sache viel besser. Je­denfalls eins weiß ich: Meine Regierungserklärung fängt einmal so an: "Im Geist von Willy Brandt stehe ich heute mit einem olivgrünen Blauhelm vor diesem Parlament des größer ge­wordenen Deutschlands, das endlich aus dem dunklen Schatten der ewigen So­nderrolle in eine gewohnte helle Norma­lität von Nationen treten muß, die alle­samt bereit sind, jederzeit die Welt-, Werte-, und Geschäftsordnung der Er­sten Welt auch im sonnigen Süden mit Farbhelmen aller Art zu verteidigen. Auch wir als Sozialdemokraten können nicht länger eine Sonderrolle der ewiggestrigen Besserwisser spielen. Auch von uns wird erwartet, daß wir uns ein wenig mehr in das internationale Ge­flecht der weltwirtschaftlichmilitäri­schen Gepflogenheiten fügen statt sozialistisches Geschwätz von vorgestern nachzuplappern. Unsere sich umbenen­nenden JUSOS in Rheinland-Pfalz wei­sen den Weg! Die Zukunft der Welt steht denen offen, die Mut zur Umkehr haben: zur Normalität allzeit schießbe­reiter Nationen. Das Elend der Welt ist für uns Sozialdemokraten eine Heraus­forderung: wir können uns neuen Ant­worten - auch im Geiste Willy Brandts - heute nicht mehr verschließen, wollen wir auch morgen noch regierungsfähig sein! Heitmanns Heil!"            

Oh - war das eine schöne Rede - jetzt kann ich nicht mehr und für heute beende ich meinen Tagebucheintrag. Auch Enkel brauchen Schlaf. Morgen früh nämlich muß ich schon wieder mit Klose eine letzte cducsufdpspdpartei-tagsfähige Textfeinabstimmung out-of­-area-mäßig ausformulieren - im Geiste von Willy, Björn und Helmut versteht sich. Gute Nacht, Deutschland

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".