Historisches

Alfred Hermann Fried (1864-1921) und die Anfänge des Friedensjournalismus

von Guido Grünewald
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Als Alfred Hermann Fried 1911 den Friedensnobelpreis erhielt, hieß es in der Begründung des Nobelpreiskomitees, geehrt werde u.a. der Herausgeber der Friedens-Warte, die er zur „besten Zeitschrift der Friedensbewegung“ entwickelt habe, sowie der Friedensjournalist, der „unzählige Beiträge in der österreichisch-deutschen Presse veröffentlicht“ habe. Fried sei „vermutlich der fleißigste schriftstellerisch tätige Pazifist der letzten 20 Jahre“.

Die Einschätzung war zutreffend. Bereits 1908 konnte Fried ein „Verzeichnis von 1.000 Artikeln Alfred H. Frieds zur Friedensbewegung“ veröffentlichen. Nach einem kurzen, finanziell ruinösen Versuch als Verleger schlug sich Fried, der aus kleinen Verhältnissen stammte, sich umfangreiches Wissen autodidaktisch aneignete und trotz seiner bis zum Friedensnobelpreis prekärer Lebensumstände seine verarmte Herkunftsfamilie unterstützte, seit 1894 als Journalist durch. Anfangs überwiegen Reisebeschreibungen und feuilletonistische Arbeiten, spätestens seit der Jahrhundertwende wird er zum ersten wirklichen Friedensjournalisten im deutschen Sprachraum. Fried berichtet – stets als einziger deutschsprachiger Journalist - für mehrere deutschsprachige Zeitungen von den beiden Haager Friedenskonferenzen, Versammlungen der Interparlamentarischen Union (IPU) und manchmal von Kongressen der Friedensbewegung. Er redigiert die Zeitschrift „Die Waffen Nieder!“ (1892-1899 mit Bertha von Suttner als Herausgeberin) sowie 1896-1900 die „Monatliche Friedenskorrespondenz“ der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) und gibt seit 1899 die „Friedens-Warte“ heraus, deren Auflage 1914 fast 10.000 Exemplare erreicht und die sich eine hohe internationale Reputation erwirbt. Zu seinen weiteren herausragenden Veröffentlichungen zählen das „Handbuch der Friedensbewegung“ (1905, erweiterte Auflage 1911-13), „Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus“ (1908), „Pan-Amerika“ (1910) und das Werk „Mein Kriegs-Tagebuch“ (1918-20). Im Schweizer Exil schrieb Fried während des 1. Weltkriegs regelmäßig in der einflussreichen „Neue(n) Zuercher Zeitung“ und spielte in der dort stattfindenden offenen transnationalen Diskussion eine führende Rolle.

Frieds Verständnis von Friedensjournalismus muss vor dem Hintergrund seiner Theorie des „ursächlichen Pazifismus“ gesehen werden. Die vorherrschende Anarchie zwischen den Staaten, die fehlende internationale Ordnung ist es, die „notgedrungen die Gewalt als Regulator bedingt“. Sie muss durch eine auf einer Rechtsordnung basierende zwischenstaatliche Organisation ersetzt werden, Macht muss in Recht umgewandelt werden, wenn ein stabiler Friede erreicht werden soll. Fried glaubt erkannt zu haben, dass die explosionsartige Weiterentwicklung der Technik, des Verkehrswesens, des Handels und des Wissens nicht nur zur Globalisierung und Herausbildung einer Weltwirtschaft  geführt haben, sondern Ausdruck und Triebkräfte eines natürlichen, „nach ehernen Gesetzen“ sich vollziehenden Prozesses sind, der ungeachtet der Zuspitzung imperialistischer Konflikte und  wachsender Rüstungskonkurrenz in eine internationale Rechtsordnung münden wird.

In seinem Buch „Unter der weissen Fahne! Aus der Mappe eines Friedensjournalisten“ hat Fried 1901 sein Verständnis von Friedensjournalismus dargelegt und den Begriff geprägt. In der Einleitung zu einer Auswahl seiner Artikel zeichnet er „ein recht trostloses Bild“, stehe doch die Presse der Friedensbewegung mit Ausnahme weniger linksliberaler Blätter feindlich oder ignorant gegenüber. Die Friedensbewegung braucht aber die Presse, „um Fühlung zu nehmen mit den großen Massen der Nation“. Dazu ist es notwendig, in den großen Tageszeitungen zu veröffentlichen, auch wenn dazu manchmal eine „Kriegslist“ (sic!) notwendig sei.

Der Friedensjournalismus hat laut Fried drei Hauptaufgaben. Erstens gilt es, der vorherrschenden „Tendenz des Chauvinismus und der Völkerverhetzung“ entgegenzutreten. Zweitens hat er die Aufgabe, falsche Mitteilungen und Tatsachen zu berichtigen, um der Aufstachelung nationaler Leidenschaften entgegenzuwirken. Die Hauptaufgabe besteht darin, die Presse selbst „zu erobern, sie für die Idee zugänglich zu machen“, damit die Zeitereignisse vom Gesichtspunkt des Friedensjournalismus  aus dargelegt und kommentiert werden können.

Fried schreibt aus allparteilich friedensorientierter Perspektive, aber er hat ein (damals verbreitetes) propagandistisches Verständnis von Journalismus. Seine Partei ist die Friedensbewegung; die Grenzen zur PR sind fließend. Sein Optimismus, die Spalten der Tagespresse für die Friedensbewegung öffnen zu können, speist sich aus dem Determinismus seiner Theorie. Tatsächlich konnte die „Friedens-Warte“ nur mittels großzügiger Sponsoren überleben. Frieds Versuch, Friedensjournalisten in einer „Internationalen Union der Friedenspresse“ zu sammeln, scheiterte. Er selbst starb 1921 verarmt in Wien, nachdem seine Reserve aus dem Nobelpreisgeld in der Weltkriegsinflation zerronnen war. Früh die Notwendigkeit und die Möglichkeit von Friedensjournalismus aufgezeigt zu haben, bleibt Frieds Verdienst.

Literatur:
Alfred Hermann Fried, Unter der weißen Fahne! Aus der Mappe eines Friedensjournalisten, Berlin 1901
Andreas H. Landl, Alfred Hermann Fried – Wegbereiter des Friedensjournalismus, in: Guido Grünewald (Hg.), „Organisiert die Welt!“. Der Friedens-Nobelpreisträger Alfred Hermann Fried (1864-1921)  – Leben, Werk und bleibende Impulse, Bremen 2016, S. 100-124
Peter van den Dungen, Alfred H. Fried, Forgotten Peace Journalism Pioneer, in: Peace Review, 29:4, pp. 475-481

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Dr. Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK und Vorstandsmitglied des EBCO.