6x jährlich erscheint unser Magazin "FriedensForum" und berichtet über Aktionen, Kampagnen und Themen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu. Die nächste Ausgabe erscheint Ende April mit dem hochaktuellen Thema "Entspannungspolitik".
"Alle Soldaten sind potentielle Mörder"
vonDer Frankfurter Arzt Peter Augst ist ein sanfter Mann mit freundlichen blauen Augen. Nur manchmal regt er sich auf. Eben darum hat er im Sommer 1984 während einer Podiumsdiskussion vor Schülerinnen und Schülern der Friedrich-Ebert-Schule gesagt: "Alle Soldaten sind potentielle Mörder!" Seither fühlen sich die "Bürger in Uniform" und ihre obersten Dienstherren schwer beleidigt durch den Pazifisten und prozessieren. Die moderate Sprache allerdings, den Dialog mit der Bevölkerung, den gesellschaftlichen Diskurs, mit dem die Bundeswehr hinter dem Abrüstungswunsch der Bevölkerung hinterherhinkt, verlangte sie nur dem aufmüpfigen Mediziner ab. Für sich selber sah sie keine Notwendigkeit, sich mit dem Vorwurf, sie bilde Menschen zum Töten aus, auseinanderzusetzen.
So wurde der Saal des Frankfurter Landgerichtes zur Bühne für ein Lehrstück dessen, daß die Offiziere des bundesdeutschen Teilstücks des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO nicht nur einen Doppelbeschluß haben, sondern zur Selbstverteidigung auch eine Doppelstrategie praktizieren, wenn sie sich angegriffen fühlen. Die Militärs gaben sich offen und gesprächsbereit. Sie mahnten den Pazifisten Augst, seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden und die harschen Worte zurückzunehmen. Eine nachgerade preußische Ehrenerklärung und Entschuldigung forderten sie. Den Jugendoffizier, Hauptmann Witt, der bei der inkriminierten Podiumsdiskussion dabei war und der sich persönlich getroffen fühlte, schauerte es im Vorfeld des Freispruchs geradezu: "Ich möchte nicht, daß dann auf einem Plakat mein Name in Zusammenhang mit Mord erscheint!" Die Sprache der Militärs gerann immer wieder an der dead-line ihrer eigenen Toleranz. Wir sind doch keine Mörder! Hier setzte die Sprachlosigkeit ein zwischen den Prozeßbeteiligten, eine Verständigung war nicht mehr möglich.
Die Hamburger Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach versuchte in ihrem Gutachten vor Gericht zu klären, warum der von Richter Gehrke immer wieder angemahnte Diskurs nicht führbar ist. Der strategische Jargon ist eine Voraussetzung dafür, daß intelligente, sympathische und auch liebenswerte Menschen das Undenkbare denken (Hermann Kahn) können." Sie zitiert die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Carol Cohn: "Wer selbst die Sprache lernt, bemerkt zwangsläufig, wie abstrakt Denken werden kann - so abstrakt, daß das Überleben von Waffen das Überleben von Menschen dominiert."
Dies allerdings war im Gerichtssaal nur zu augenfällig. Generalleutnant Rolf Hüttel versicherte immer wieder, fast verzweifelt, er wolle ganz gewiß niemanden ermorden. Und die Bundeswehr, geschweige denn die NATO, wolle dies schon gar nicht. Wer ihn hörte, hätte ihm fast glauben mögen. Umso erschreckender entdeckten alle Prozeßbeteiligten, daß seine persönliche Glaubwürdigkeit ihn nicht in die Lage setzte, überhaupt, geschweige denn "das Undenkbare", zu denken. Vorsitzender Richter Gehrke balancierte am Rande der Fassungslosigkeit, als er - immer wieder nachfragend - feststellen mußte: die Bundeswehr schließt den "Erstschlag im Verteidigungsfall" nicht aus, er gehört im Gegenteil zum Verteidigungskonzept. Aber: Es gibt keinen noch so bescheidenen Plan für den Schutz der Zivilbevölkerung, wenn die Bombe gefallen ist. Dies mag neu gewesen sein für jene aus der Friedensbewegung, die die finstersten Horror-Szenarien für diesen Ernstfall in den tiefsten Tiefen geheimer Schubladen verborgen wähnten. Umso erschütternder für sie die - ihm vom Gericht abgerungene Erkenntnis des Praktikers Hüttel: "Das ist nicht händelbar"!
Daß die Konsequenz von Massenpanik, Tod und Entsetzen im Vokabular der Bundeswehr ausgeklammert ist, versucht Birckenbach zu erklären: "Diese Tabuisierung ist ... auch eine psychologisch verständliche Abwehrhaltung gegenüber dem auch im Militär vorhandenen Unbehagen am Auftrag der Institution. Schon das Reden über den Gewalteinsatz löst auch bei Soldaten meist heftige Ängste aus." Der Prozeß zeigt eindringlich, daß dies auch auf Führungsoffiziere zutrifft, die sich - auch ein Selbstschutz - lieber den friedensschützenden, väterlichen Gestus zuschreiben möchten. Dagegen steht die unversöhnliche Abwehr, sich mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen. So empfahl sich Generalleutnant Rolf Hüttel für den Ernstfall eher in Gottes Hand als sein Wirken hinieden in Frage zu stellen.
Das Maß von Verdrängung und Aggression, das das Frankfurter Urteil trotz der im Verfahren nachgerade mit Friedenstauben und nicht mit Atomsprengköpfen bewehrten NATO freisetze, steht dazu nicht im Widerspruch. Krebs, Tod, Verdammnis, ewiges Fegefeuer beschworen Briefschreiber und anonyme Anrufer und Anruferinnen inzwischen vor allen auf Richter Gehrke und auch auf den freigesprochenen Arzt herab. Hanne-Margret Birckenbach: "Die Tabuisierung des eigentlichen Problems ist also selbst dann, bzw. gerade dann, gewährleistet, wenn es unübersehbar ist. Auf diese Weise werden Soldaten unempfindlich für ihre eigenen Gefühlslagen." Im Krieg steigert sich diese Unempfindlichkeit zu einer Überlebenstechnik."