Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Ukraine - Vor Verhandlungen?
„America First“ als Grundlage eines realistischen Friedensplans?
von
Vollmundig tönte Donald Trump im Wahlkampf: Er werde den Ukraine-Krieg „innerhalb von 24 Stunden beenden“. Es sei ein einfacher Deal. „Es hat viel zu tun mit Geld, es hat viel zu tun mit Militärhilfe, die wir liefern." (1) Zum Zeitpunkt, als dieses Friedensforum in die Produktion ging, Ende Januar 2024, war der Krieg natürlich noch nicht zu Ende, und wir können nur spekulieren, was in den kommenden Wochen passieren wird.
Schon letzten Herbst designierte Trump einen Beauftragten: Keith Kellogg, einen pensionierten Generalleutnant und Stabschef des Nationalen Sicherheitsrats während Trumps erster Amtszeit. Dieser sprach von 100 Tagen, die es brauchen würde, den Krieg zu beenden. (2) Kellogg scheint auf einen Plan zur Beendigung des Kriegs zurückzugreifen, den er im April 2024 mit skizzierte. (3) Kernelemente sind Einfrieren der Fronten, ein Waffenstillstand und weitere Hilfe an die Ukraine, sofern diese zu Verhandlungen bereit ist, um einen neuen Angriff abzuschrecken. Das Papier, das sich eher wie eine Wahlrede unter dem Motto „America First“ als wie ein seriöser Aufsatz liest, behauptet u.a., dass die Invasion Russlands hätte vermieden werden können, denn:
„Erstens lag es im Interesse Amerikas, den Frieden mit Putin zu wahren und ihn nicht zu provozieren und zu verprellen, indem man aggressive globalistische Menschenrechts- und Demokratiekampagnen durchführte oder sich für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine einsetzte. …
Zweitens … Ein Angebot der USA, die Aufnahme der Ukraine in die NATO um ein Jahrzehnt zu verschieben, hätte ausreichen können, um Putin davon zu überzeugen, die Invasion abzusagen …
Drittens hätten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Herbst 2021 umfangreiche tödliche Hilfe in die Ukraine schicken sollen, um eine russische Invasion zu verhindern.“ (4)
Der eigentliche „Friedensplan“ umfasst zwei dünne Absätze:
„Konkret würde dies bedeuten, dass die USA offiziell eine Waffenruhe und eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Konflikt anstreben. Die Vereinigten Staaten würden die Ukraine weiterhin aufrüsten und ihre Verteidigung stärken, um sicherzustellen, dass Russland keine weiteren Vorstöße unternimmt und nach einem Waffenstillstand oder einem Friedensabkommen nicht erneut angreift. Künftige amerikanische Militärhilfe wird jedoch voraussetzen, dass die Ukraine an Friedensgesprächen mit Russland teilnimmt.
Um Putin davon zu überzeugen, sich an Friedensgesprächen zu beteiligen, sollten Präsident Biden und andere NATO-Führungskräfte anbieten, die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für einen längeren Zeitraum aufzuschieben, im Gegenzug für ein umfassendes und überprüfbares Friedensabkommen mit Sicherheitsgarantien.
In ihrem Artikel in „Foreign Affairs“ vom April 2023 schlugen Richard Haass und Charles Kupchan vor, dass Russland im Gegenzug für die Einhaltung eines Waffenstillstands, einer entmilitarisierten Zone und der Teilnahme an Friedensgesprächen eine begrenzte Lockerung der Sanktionen angeboten werden könnte. Die Ukraine würde nicht aufgefordert werden, das Ziel der Rückeroberung ihres gesamten Territoriums aufzugeben, sondern würde sich bereit erklären, Diplomatie statt Gewalt anzuwenden, mit dem Verständnis, dass dies einen zukünftigen diplomatischen Durchbruch erfordern würde, der wahrscheinlich nicht vor Putins Amtszeit eintreten wird. Bis dahin würden sich die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verpflichten, die Sanktionen gegen Russland erst dann vollständig aufzuheben und die Beziehungen zu normalisieren, wenn es ein für die Ukraine akzeptables Friedensabkommen unterzeichnet hat. Wir fordern außerdem die Erhebung von Abgaben auf russische Energieverkäufe, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.“ (5)
Die Reaktion der Ukraine
Als im letzten Herbst noch vor Trumps Amtsübernahme diese Überlegungen bekannt wurden, reagierte die ukrainische Regierung auf recht überraschende Weise, wenn man daran denkt, dass man noch ein Jahr zuvor von Sieg und Rückeroberung aller russisch kontrollierten Gebiete sprach und Selenskyj im Oktober 2024 noch seinen „Siegesplan“ mit den Alliierten besprach und anschließend (ohne einige geheime Anhänge) veröffentlichte. Er umfasst:
- Bedingungslose Einladung in die NATO
- Verteidigung: Umfassende militärische Unterstützung der Ukraine.
- Abschreckung: Stationierung eines umfassenden nicht-nuklearen „Abschreckungspakets“ auf dem Boden der Ukraine
- Strategisches ökonomisches Potenzial: Ausbeutung von Rohstoffen (u.a. Uran, Titan, Lithium und Graphit) durch die westlichen Partner
- Nach dem Krieg könnten ukrainische Truppen teilweise die Einheiten der USA in Europa ersetzen, denn sie brächten wirkliche Kampferfahrung mit. (6)
Doch praktisch gleichzeitig war im Oktober zu lesen, dass Selenskyj sich einen Waffenstillstand entlang der derzeitigen Waffenstillstandslinien vorstellen könne. (7) Später konkretisierte er, dass die Ukraine vorübergehend die von Russland besetzten Gebiete aufgeben werde, wenn eine sofortige Nato-Mitgliedschaft seines Landes vollzogen und die Ukraine massive Waffenhilfe erhalten würde. (8) Großbritannien und Frankreich haben zudem im Januar vorgeschlagen, bis zu 200.000 NATO-Truppen als „Friedenstruppen“ in der Ukraine zu stationieren, um den Waffenstillstand abzusichern. (9)
Was spricht dafür, dass es zu einem Waffenstillstand kommt?
- Der Krieg hat sich zu einem Stellungskrieg entwickelt, in dem seit dem Überraschungsangriff der Ukraine auf das russische Kursk keiner Seite mehr entscheidende Fortschritte gelingen, obwohl die Ukraine jetzt immer wieder russisches Territorium angreift.
- Die Zahl der inzwischen getöteten oder verwundeten Soldaten und Soldat*innen. Beide Seiten halten Informationen darüber zurück, aber es gibt inzwischen Schätzungen, dass die Ukraine 400.000 Soldat*innen und Russland 600.000 verloren haben könnten. (10) Im Januar wurde immer deutlicher, dass beiden Seiten die menschlichen Ressourcen ausgehen. Russland hat inzwischen nicht nur tausende nordkoreanische Soldaten, sondern auch jemenitische Zivilist*inne durch Tricks in den Krieg gelockt. (11) In der Ukraine sind zwischen 100.000 und 200.000 Wehrpflichtige desertiert, meist, indem sie von einem Fronturlaub nicht zurückkehrten. (12)
- Die Bereitschaft der ukrainischen Regierung, auf eine Rückeroberung der besetzten Gebiete zu verzichten.
- Mit Trump und seinem wenn auch durch Widersprüche geprägten Verhältnis zu Putin ist ein neuer Vermittler aufgetaucht.
Was spricht gegen einen baldigen Waffenstillstand?
- Eine Aufnahme der Ukraine in die NATO erfordert den Konsens aller NATO-Mitglieder. Ob der erreicht werden kann, ist fraglich.
- Die offen erklärte Absicht der europäischen Staaten, die US-Militärhilfe zu kompensieren, falls sie ausbleiben sollte.
- Russische Eskalationsoptionen, die noch nicht ausgeschöpft wurden, von dem Einsatz noch schwererer Waffen bis hin zur massenhaften Rekrutierung von Soldaten auch im Westen Russlands.
- Russlands Ablehnung von europäischen „Friedenstruppen“ in der Ukraine (s. Fußnote 12)
Fazit
Wie eingangs schon gesagt: Es kann gut sein, dass schon in dem Monat, der zwischen dem Verfassen dieses Beitrags und seinem Erscheinen liegt, sich Entwicklungen auftun, die ihn hoffnungslos überholt erscheinen lassen. Trotzdem: Derzeit, Ende Januar 2025, sieht es der Autorin so aus, als ob der Krieg an einem Punkt angekommen ist, an dem aufgrund der Erschöpfung der Kriegsparteien und fehlenden Erfolgsaussichten sich das unter Konfliktbearbeiter*innen bekannte „Fenster der Möglichkeit“ auftun könnte. Damit es sich nicht direkt wieder schließt, wäre es wichtig, dass die europäischen NATO-Verbündeten über ihren Schatten springen und die USA bei dem Versuch, einen Waffenstillstand auszuhandeln, unterstützen. Das gleiche gilt für China, Brasilien, Schweiz und die anderen Staaten, die in den letzten Jahren Friedensvorschläge gemacht haben.
Anmerkungen
1 Originalzitate gibt es hier: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/trump-verhandlungen-ukrai... (alle Webquellen abgerufen am 24./25.1.25)
2 https://www.fr.de/politik/zweifel-an-trumps-ukraine-beauftragten-wachsen...
3 https://americafirstpolicy.com/issues/america-first-russia-ukraine
4 ebenda, S. 5, Übersetzung durch Autorin
5 ebenda, S. 16. Wie gesagt, das wurde zur Amtszeit von Biden verfasst.
6 https://www.president.gov.ua/en/news/plan-peremogi-skladayetsya-z-pyati-...
7 Siehe den Beitrag von Clemens Ronnefeldt in Friedensforum 1/2025, S. 13f
8 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/selenskyj-trump-frieden-v... (6.1.25)
9 https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/ukraine-krieg-trump-kriegs..., https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/ukraine-krieg-trump-kriegs...
10 https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-krieg-russland-opfer-li.3186... (leider hinter einer Paywall). Ähnliche Zahlen nannte die Frankfurter Rundschau: https://www.fr.de/politik/russland-verluste-ukraine-krieg-putin-militaer...
11 https://www.merkur.de/politik/todeszahlen-von-nordkorea-soldaten-massive..., https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/jemen-russland-ukraine-zw...
12 https://www.berliner-zeitung.de/news/ukraine-beklagt-immer-mehr-deserteu..., https://de.euronews.com/2024/12/08/fahnenflucht-ukrainische-armee