Amnestie für Friedensstraftäter? - Nein danke!

von Wolfgang Sternstein

 

Ich bin nicht gegen eine maßvolle Amnestie für Straftäter, ich bin je­doch gegen eine Amnestie für FriedensstraftÑter. Selbstverständlich kann ich nicht für die FriedensstraftÑter als Gruppe sprechen. Ich spre­che nur für mich selbst. Ich weiß· aber von einigen, die so denken wie ich.

Eine Amnestie mag angezeigt sein, wenn ein freudiges Ereignis, wie die Vereinigung der beiden Deutschländer, Anlass· zum Jubel gibt und auch die ärmsten und Elendesten Grund haben sollen, darin einzustimmen. Weiterhin mag eine Amnestie gerechtfertigt sein, wenn nach schwerem innenpolitischen streit Frieden geschlossen und die im Kampf geschlagenen Wunden geheilt werden sollen. das Ende des Kalten Krieges und seiner innenpolitischen Folgewirkungen könnte ein solcher Anlass· sein.

Für eine Amnestie von Friedensstraftätern besteht jedoch kein Anlass·, denn wir sind mitten drin in der Auseinanderset­zung. Die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands ist gewiss· Grund zur Freude und wir freuen uns mit - auch ohne Amnestie.

Wir haben einen Streit mit der Bundes­regierung und den sie tragenden Par­teien: sie werfen uns kriminelle Hand­lungen vor und wir werfen ihnen ein Verbrechen gegen die Menschheit vor, das Verbrechen nämlich, die Aufstel­lung von Massenmordinstrumenten (Atomwaffen) auf deutschem Boden zu­zulassen sowie an deren Einsatzplanung und evtl. Einsatz mitzuwirken. über die Härte dieses Kampfes, der von unserer Seite mit gewaltfreien Methoden geführt wird, sollten wir uns keine Illusionen machen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den Kampf zu beenden und Frieden zu schließen, der dann auch eine Amnestie rechtfertigte: Erstens, den Befürwortern der atomaren Abschreckung gelingt es, uns durch Argumente zu überzeugen, da· wir im Unrecht sind. Wir sind nicht nur für solche Argumente offen, wir sind geradezu begierig darauf und laden herzlich ein zum Dialog. Zweitens, die Regierung erklärt sich bereit, das in un­seren Augen unerträgliche, nicht hin­nehmbare Unrecht der Aufstellung von Atomwaffen auf deutschem Boden zu beseitigen bzw. sie wird von einer Re­gierung abgelöst, die bereit ist, es zu be­seitigen.

Was könnte angesichts dieser Situation eine Amnestie bringen? Wir müßten ge­nau an dem Punkt weitermachen, an dem wir aufgehört haben, mag unsere Sympathie für Parlament und Regierung auch noch so groß· sein.

Wenn beide Seiten behaupten, sie hätten recht, wer entscheidet dann, welche recht hat? das ist eine gute Frage, die nach einer guten Antwort verlangt. Der Staat beruft sich auf das Straftrecht und wir berufen uns auf die Verfassung (z.B. das  Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das in seinem Wesens­gehalt nicht angetastet werde darf), auf das Völkerrecht (z.B. die All­gemeine Erklärung der Menschenrechte der Ver­einten Nationen), auf die unver­äußerlichen und jeder staatlichen Ge­setzgebung vorgegebenen Menschen­rechte und letztlich auf unser Gewissen. Selbstverständlich können wir nicht ausschließen, da· wir uns irren, so wie die Regierung nicht grundsätzlich aus­schließen sollte, da· sie sich irrt. Alles menschliche Handeln ist fehlbar. Wo das vergessen wird, wo der Anspruch auf Unfehlbarkeit erhoben wird, beginnt das Grauen. Die grundsätzliche Fehlbarkeit alles menschlichen Denkens und Handelns ist einer der Gründe, weshalb wir in unserem Kampf bewußt auf Ge­walt im Sinne menschenverletzender Handlungen verzichten. Wir fühlen uns jedoch verpflichtet, einer Regierung, die unerträgliches, nicht hinnehmbares Un­recht tut, den Gehorsam und die Zu­sammenarbeit zu verweigern, und wir sind bereit, die Folgen zu tragen.

Wir appellieren mit Argumenten an den Verstand und mit unserer Bereitschaft, die staatliche Sanktion hinzunehmen (sofern sie rechtsstaatlich korrekt ist, was bei den Verurteilungen wegen Nö­tigung u.E. nicht der Fall ist), an das Herz des politischen Gegners und der Öffentlichkeit. Es ist unser erklärtes Ziel, die Mehrheit der Bevölkerung für uns zu gewinnen. Ziviler Ungehorsam ist folglich nicht undemokratisch oder antidemokratisch, kein Versuch einer kleinen, radikalen Minderheit, der de­mokratisch legitimierten Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen, ganz im Gegen­teil, ziviler Ungehorsam ist eine Me­thode, die Mehrheit durch Argumente und die Bereitschaft, Nachteile und Strafen hinzunehmen, für sich zu ge­winnen.

Alle Meinungsumfragen bestätigen, dass es der Friedensbewegung tatsächlich gelungen ist. Es gibt heute eine solide Mehrheit in der Bevölkerung gegen Atomwaffen auf deutschem Boden. Doch damit sind wir noch nicht am Ziel. Es gilt nämlich, diese noch druckschwa­che und oberflächliche Mehrheitsmei­nung zu verstärken, um sie in politische Entscheidungen umzusetzen, sei es in dem die Regierung dem Druck der Mehrheitsmeinung nachgibt, um an der Regierung zu bleiben, sei es indem sie von einer Regierung abgelöst wird, die im Wahlkampf versprochen hat, der Mehrheitsmeinung Rechnung zu tragen. Eine Garantie, da· sie es auch wirklich tut, gibt es natürlich nicht. So manches Wahlversprechen wurden nach gewonne­ner Wahl "vergessen" oder für nicht durchsetzbar erklärt. Doch gibt es ja noch die Möglichkeit massenhafter Verweigerung der Zusammenarbeit und des Gehorsams, um einer solchen Re­gierung auf die Sprünge zu helfen. Naivität, Wunschdenken, Illusion, poli­tischer Masochismus? Mag sein. Viel­leicht gibt es noch andere Wege, das Ziel zu erreichen. Darüber Mate gere­det werden. Noch sehe ich keinen ande­ren Weg. Möglich, da· wir das Ziel nie erreichen. Dann haben wir wenigstens uns selbst verändert, sind ein wenig mutiger, freier, gewaltfreier geworden. Ich glaube jedoch daran, da· veränderte Menschen auch auf ihr soziales Umfeld verändernd einwirken.

Solange der Streit um die Atomwaffen auf deutschem Boden nicht beendet ist, gilt: Amnestie für Friedensstraftäter? - Nein Danke!

Wolfgang Sternstein ist gewaltfreier Kämpfer und zurzeit in der Kiste

Klaus Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie hat eine umfassende Auseinanderset­zung "Sitzblockaden und  240: Amnestie - Nein Danke! Rehabilitie­rung - Ja bitte!" vorgelegt, die sich kritisch mit dem Bundesratsge­setzentwurf zur Amnestie, der Ge­nese des  240 StGB und der Forde­rung nach Rehabilitation auseinan­dersetzt. Der 10-seitige Text kann gegen DM 2.- im Netzwerk-Büro angefordert werden.

aus: Pirmasenser Zeitung - Leitkommentar- Mittwoch, 31. Oktober 1990

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Hintergrund
Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.