An die deutschen Friedensbewegungen

Liebe Freundinnen und Freunde,

auf der kürzlich stattgefun­denen END-Konferenz in Helsinki und Tallinn (3.-7.Juli) wurde viel Be­sorgnis geäußert über die gegen­wärtige Strategie der einseitigen Inte­gration des vereinigten Deutschland in die NATO. Unserer Ansicht nach würde eine solche Lö­sung der „deutschen Frage“ eine ernsthafte Niederlage der Frie­densbewegungen bedeuten. In unse­rem ursprünglichen END Appell wurde festgestellt:

„Wir arbeiten nicht zum Vorteil der NATO oder des Warschauer Pakts. Un­ser Ziel muss die Beseitigung der Block­konfrontation, Entspannung zwischen den USA und der Sowjetunion, und letzt­lich die Auflösung beider Militär­blöcke sein.“

Die Vorstellung, Deutschland nur in die NATO zu integrieren, ist ein Versuch, einen Vorteil gegenüber dem anderen Block zu ge­winnen und die Kämpfe für Demokratie und Menschenrechte im „Osten“ zum Vorteil des „Westens“ auszunutzen. 

In der Tat ist eine solche Lö­sung ist nicht nur weit davon ent­fernt, den Kalten Krieg endlich zu beenden, son­dern sie könnte ihn in anderer Form auf Jahrzehnte hin verlängern. Sie könnte ein „Rollback“ der Sowjets hinter die sowjetische Westgrenze bringen, ohne dass die NATO ver­gleichbare Zugeständnisse machen muss, und dies könnte zu einem Ge­fühl historischer Ungerechtigkeit und einer Art „Versailles-Komplex“ in künftigen Generationen sowjetischer Bürger führen.

Unserer Meinung nach muss die „deutsche Frage“ als europäische Frage betrachtet werden, tatsächlich sogar als Blockfrage. Kann dies nicht so gelöst werden, dass die Vereinigung der beiden deut­schen Staaten einge­bettet in die Überwindung der euro­päischen Tei­lung ist ?

Unsere Besorgnis kommt nicht von „antideutschen Gefühlen“. Aber es muss gesagt werden, dass be­stimmte regierende Kreise in der BRD heute übertrieben selbstbewusst und wirt­schaftlich aggressiv sind. Diese werden mit der NATO-Strategie iden­tifiziert und repräsentie­ren nicht die besten Kräfte in Deutschland, welche viel­mehr mit der Friedensbewegung iden­tifiziert werden. 

Wir haben eine Reihe kon­struktiver Vorschläge für die deutsche Wieder­vereinigung in einem europäi­schen Rahmen zur Kenntnis genom­men. Dazu gehören Vorschläge der tschechoslowakischen Regierung unter Bezugnahme auf den 35-Staaten-KSZE-Prozess; sowjetische Vor­schläge für die symbolische Mit­gliedschaft Deutschlands im politi­schen Bündnis sowohl der NATO wie auch des Warschauer Pakts; Vor­schläge für gegenseitige Sicherheitsab­kommen, die in beiden deut­schen Staaten diskutiert werden; Vorschläge für die mögliche Neu­tralisierung und teilweise Demilitarisierung des verei­nigten Deutschland, und anderes.

Wir sind nicht für die einen oder ge­gen die anderen dieser Vor­schläge. Jeder ist es wert, gründlich untersucht zu werden, und wir sollten uns nicht darüber zerstreiten. Aber wir sind über­zeugt, dass die Friedensbe­wegungen in Europa und den USA sich mit ganzer Kraft der Integration des vereinigten Deutschland in die NATO widersetzen müssen. 

Es ist noch nicht zu spät, die­ses schlechte Ergebnis zu verhin­dern. Im gegenwärtigen Augenblick gibt es sowohl Chancen als auch Gefahren. Tatsächlich kann die unumgängliche Vereinigung der bei­den deutschen Staaten gleichzeitig auch zur Gelegen­heit gemacht werden, gegenseitige Vereinbarungen zwischen beiden Blöcken abzu­schliessen und einen grossen Schritt zur Auflösung beider Blöcke zu machen. Nur das würde den vielen jetzt allseits geäußerten Hoff­nungen auf ein „Ende des Kalten Krieges“ gerecht werden.

Wenn wir zusammen handeln, ist die­ses Ergebnis immer noch mög­lich. Aber wir müssen bald handeln. Die gegenwärtige Umbruchphase, in der Institutionen und Ideologien leicht veränderbar sind, dürfte nicht mehr allzu lange dauern. 1981-1983 haben wir die grossen Friedensbewegungen in Westeuropa in Aktion gesehen; 1989 die grossen Bewegungen für De­mokratie in Osteuropa. Können wir 1990/91 vergleichbare Bewegungen sowohl in Ost- als auch Westeu­ropa sehen für die Forderung „Nein zu Deutschland in der NATO ! Schluss mit dem Blocksystem jetzt !“ ?

Wir warten darauf, dass die deutsche Friedensbewegung und ihre Sprecher sich dazu äussert. Keine an­dere Nation oder Bewegung kann den Deutschen ihren Willen aufzwingen. Wenn ihr aber diese Um­bruchphase nützen könnt, um dafür zu sorgen, dass nicht nur Deutschlands Zukunft, sondern auch Europas Zukunft die ei­nes blockfreien Kontinents ist, habt ihr un­seren Dank verdient und habt un­sere aktive Unterstützung. 

Mit friedlichen Grüssen

Edward Thompson (European Nuclear Disarmament / END)

Bruce Kent (Campaign for Nuclear Disarmament / CND)

Gillian Reeve (Medical Campaign Against Nuclear Weapons / MCANW)

Elnora Ferguson (National Peace Council / NPC)

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