50 Jahre: Bundeswehr statt Frieden

Angreifbare "Traditionspflege" der Gebirgsjäger in Mittenwald

von Markus Mohr

Auch diesmal bekam das südbayrische Mittenwald zu Pfingsten einen demonstrativen Besuch von ca. 500 Demonstrantinnen aus der BRD und Österreich. Sie nutzten die Gelegenheit in der beschaulichen Gemeinde, die ungebrochenen Traditionspflegefeierlichkeiten des Kameradenkreises der Gebirgsjäger e.V. durch ihre demonstrative Präsenz nachhaltig zu beinträchtigen.

Der Kameradenkreis e.V. wurde in den frühen 50er Jahren gegründet und zählt heute weit über 6.000 Mitglieder, die sich im groben Verhältnis zwei zu eins sowohl aus Wehrmachtsangehörigen wie Bundeswehrsoldaten zusammensetzen. Mit Fug und Recht lässt sich dieser Kameradenkreis als eine Art Bundeswehrmacht-Hybrid bezeichnen. Sein prominentes Mitglied ist der bayrische Ministerpräsident und ehemalige Kanzlerkandidat der Unionsparteien Edmund Stoiber. Die Gemeinde Mittenwald, die in einem noch 1995 publizierten Militaria-Buch über "Deutsche Spezialdivisionen 1935-1945", in der neben den Fallschirmjägern und der Waffen-SS auch die Gebirgsjäger porträtiert werden, als der "Geburtsort der deutschen Gebirgstruppe" vorgestellt wird, ist seit rund 50 Jahren der zentrale Treffpunkt deutscher Gebirgsjäger aus alter Nazi-Wehrmacht und neuer Bundeswehr.

Wie es der Zufall wollte, sind dem Kameradenkreis in seiner bis zum Jahr 1957 mit wesentlicher Unterstützung der Bundeswehr zurückreichenden öffentlichen Gedenkpraxis immer nur "die großen Leistungen der deutschen Gebirgstruppe während des zweiten Weltkrieges" eingefallen. Und in diesem Zusammenhang sind die dabei quer durch ganz Europa turmhoch angerichteten Leichenberge dieser Einheiten irgendwie vergessen worden. Aus der Sicht von Ministerpräsident Stoiber stellte sich das noch im Juni 2001 als eine "unangreifbare Traditionspflege" dar, die aus seiner Sicht sogar für die "insgesamt traditionsarme Bundeswehr ihresgleichen« suche. So glaubte er sich in aller Öffentlichkeit "besonders stolz (auf die) Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart" der Gebirgsjäger zeigen zu können.

Gewissermaßen in diesem Sinne kann man auch heute noch auf der vom Heeresamt II (5) (Konrad-Adenauer Kaserne, Köln) im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums verantworteten Homepage: http://www.deutschesheer.de in einem anonym publizierten 31-seitigen pdf-Dokument über die Geschichte der Gebirgsjäger in der Passage zum 2. Weltkrieg "die Tatsache" nachlesen, "dass Soldaten der Gebirgstruppe (...) Leistungen erbracht haben, die es jederzeit verdienen, als Vorbild hingestellt zu werden." Und dann werden am gleichen Ort ein paar Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg erwähnt, die von der "Sturmfahrt auf Lemberg", den "Durchbruch durch die METAXASLINIE", bis zu den "Kesselschlachten in RUSSLAND (...) sowie den Rückzugskämpfen in (...) ITALIEN (Monte Cassino)" reichen. An ihrem Ende resümiert der anonyme Bundeswehrautor: "Überall in diesen Einsätzen zeichneten sich die Gebirgsjäger oft trotz drückender Überlegenheit des Gegners durch Tapferkeit, Kameradschaft, Opferbereitschaft, Härte gegen sich selbst, Ausdauer und Achtung des Gegners aus." In diesem ungebrochenen Geiste wird dann auch von der Bundeswehr auf dieser Homepage, das "bayrische Mittenwald" deshalb als "etwas ganz besonderes" angepriesen, weil sich dort "eine der härtesten Ausbildungsstätten der Bundeswehr, die Gebirgs- und Winterkampfschule" befinde. Gelte hier doch das Motto: "Kämpfen, wo andere aufgeben!" Wohl wahr. Zeichnete sich doch gerade die Gebirgstruppe während des Zweiten Weltkrieges dadurch aus, dass sie Abertausende von Zivilisten und Kriegsgefangenen, die bereits den Kampf aufgegeben hatten bzw. gar nicht erst aufgenommen hatten, energisch mit Massenmord "bekämpfte". Nicht auszuschließen, dass die alten Gebirgsjägerkameraden genau das den heutigen Gebirgsjägersoldaten der Bundeswehr erzählen, wenn sie auch heute noch von "Härte gegen sich selbst" sprechen.

Spätestens seit den Ende November 1992 von der Kohl-Regierung verabschiedeten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien hörte die alte Bundesheimwehr der BRD auf zu existieren. Darin wurde als Auftrag für die Streitkräfte dieses Landes u.a. die "Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die Deutschlands Unversehrtheit und Stabilität beeinträchtigen können" sowie die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" definiert. Das kommentierte Ende Juli 1993 ein Autor in der Hamburger Wochenzeitung ZEIT mit der Bemerkung, dass man so etwas "früher als ein lupenreines imperialistisches Programm bezeichnet" hätte.

In diesem militärstrategisch völlig veränderten Zusammenhang kam es zu einer erneuten Aufwertung der Gebirgsjägereinheiten der Bundeswehr. Sie wurden ganz praktisch out-of-area kampf- und kriegsfähig gemacht. Blickt man auf die letzten 15 Jahre zurück, so dürfen sich diese Einheiten, die so zäh an dem Wehrmachtsgedenken festhalten, rühmen, fast immer zu den ersten Einsatzverbänden zu zählen, die seitens der Bundesregierung bei neuen Kriegseinätzen ins Spiel gebracht werden. Und im Schatten ihrer mörderischen Vergangenheit gibt es auch immer mal wieder - wie es der Zufall will - sogenannte Rechtsextremismusskandale. Begleitet wurde diese Entwicklung durch fortwährende Besuche hoher Bundeswehrgeneräle bei den Pfingstreffen auf dem Hohen Brendten. Evident ist hier der immer wieder in einem konstruktiven Sinne offen angesprochene Zusammenhang zwischen der Bundeswehr und der Nazi-Wehrmacht. Wenn die Organisationsarbeit des Kameradenkreises überhaupt heute noch eine Bedeutung hat, dann besteht sie darin, nazistisch angehauchte Mentalitäten und kulturelle Codes in die nachfolgenden Bundeswehrgebirgsjägereinheiten zu vermitteln. So ließ Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann anlässlich seiner Teilnahme am Pfingsttreffen 1992 nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Wehrmacht im Grunde nur "missbraucht" worden sei, gleichwohl für "Bewährung in äußerster Not, für Erinnerung an und Verehrung von vorbildlichen Vorgesetzten, für Kameraden und Opfertod" stehe, kurz: Für "jene vorzügliche Truppe, die unvorstellbares im Kriege zu leisten und zu erleiden hatte." (Die Gebirgstruppe Heft 4/August 1992) Acht Jahre später wusste kein geringerer als der Ex-Nato-Kommandeur auf dem Balkan, General Klaus Reinhardt, in seiner Mittenwalder Pfingstansprache 2000 nicht zufällig die Frage danach, warum denn "bei den Auslandseinsätzen des Deutschen Heeres immer wieder Gebirgsjäger dabei" seien mit dem instruktiven Hinweis zu beantworten, dass "die Gebirgstruppe der Bundeswehr (...) von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden (sei), die als Kommandeure, als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel (einerseits) die schreckliche Erfahrung des Krieges und der Diktatur am eigenen Leib erlebt und durchlitten, (andererseits) uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt" haben. "Diese Männer" so das Wissen des hochrangigen Bundeswehrgenerals Reinhardt "waren unsere Vorbilder, und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten, (die) der nachfolgenden Generation, das Koordinatensystem ihrer Werteordnung" weitergegeben hätten und natürlich "Respekt" verdienten. Und nicht zuletzt sei es der Kameradenkreis der Gebirgstruppe gewesen, der "bei der Pflege dieser Tradition und ihrer Weitergabe an die nächste Generation (....) sein ganz besonderes Verdienst" habe. (Die Gebirgstruppe Heft 4 / August 2000) Voil…. Das ist die Truppe, die Außenminister Fischer gen Kosovo geschickt hat, um - so seine eigenen Worte - ein "Nie wieder Auschwitz" zu realisieren. Auf diesen grauenhaften Zusammenhang, ein neues Auschwitz ausgerechnet mit den durch das "Koordinatensystem der Werteordnung" der Nazi-Gebirgsjäger geimpften Bundeswehr-Gebirgsjägern verhindern zu wollen, wäre man vor den Protesten in Mittenwald noch nicht einmal im Alptraum gekommen. Auch das zeigt, das die von einigen verdienten Antifaschisten in der Mittenwald-Mobilisierung immer mal wieder bemühte Rhetorik von "sich beeilen, um nicht endgültig zu spät zu kommen" nicht sticht. Die letzten vier Jahre Widerspruch in Mittenwald zeigen, das man dort zwar spät, aber in Sachen quicklebendiger wie fachkundig besorgter deutscher Massenmordgeschichte letztlich goldrichtig hingekommen ist.

Stephan Stracke, Ralph Klein, Regina Mentner (Hg), "Mörder unterm Edelweiß", Köln 2004. Herausgegeben im Auftrag einer temporären Assoziation geschichtspolitischer Aktivisten des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege.

Hintergrundmaterialien zu den Protesten in Mittenwald finden sich auf der Homepage http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/

AK Angreifbare Traditionspflege (Landesverband Berlin-Brandenburg), Entering Mittenwald / In der Kleinstadt des Henkers nach dem Strick fragen, Broschüre Frühjahr 2005, 68 Seiten
 

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