Krieg gegen den Terror

Angriffskriege als „Verteidigung“

von Otmar Steinbicker
Schwerpunkt
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„Krieg gegen den Terror“ war eine Propagandafloskel der US-Regierung unter George W. Bush nach den schrecklichen Anschlägen auf die Türme des World Trade Centers am 11. September 2001, deren Bilder die Welt erschütterten. Konkret verstand die Bush-Administration darunter vor allem militärische und politische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen und Staaten, denen vorgeworfen wurde, solche Organisationen zu unterstützen. Die Definitionshoheit, welche Organisationen als terroristisch und welche Staaten als Unterstützer gelten sollten, behielt sich die US-Regierung vor.

In seiner Rede am 20. September 2001 erklärte George W. Bush: „Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist. ... Wir werden den Terroristen ihre Geldmittel abschneiden, sie gegeneinander aufbringen, sie von Ort zu Ort treiben, bis es für sie keine Zuflucht oder Ruhe mehr gibt. Und wir werden die Staaten verfolgen, die dem Terrorismus Hilfe zur Verfügung stellen oder ihm einen sicheren Hafen bieten. Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden – entweder es steht an unserer Seite oder an der Seite der Terroristen.“ (1)

Die USA behielten sich explizit auch das Recht vor, präemptive Militärinterventionen durchzuführen, also letztlich Angriffskriege als Verteidigungsmaßnahme zu definieren.
Am 7. Oktober 2001 begannen die USA und Großbritannien Luftangriffe gegen Afghanistan, das Land, das dem Terrornetzwerk al-Kaida Unterschlupf und die Möglichkeit bot, Ausbildungslager zu unterhalten. Die Verbindung zwischen Afghanistan und al-Kaida ging bis in die 1980er Jahre zurück, als die damalige US-Regierung unter Ronald Reagan Terroristen vor allem aus der arabischen Welt, darunter auch Osama bin Laden, sammelte und ihren Einsatz in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzung unterstützte. Erst als die USA im Zusammenhang mit dem Zweiten Golfkrieg 1991 Militärbasen in Saudi-Arabien einrichteten, wandelte sich Al-Kaida vom Verbündeten zum Gegner der USA und begann Anschläge gegen US-Einrichtungen. Die in Afghanistan ab 1996 herrschenden Taliban waren religiös stark vom saudischen Wahhabismus beeinflusst, dessen frauenfeindliche Elemente sie betonten.

Die für sich beanspruchte Definitionshoheit von „Schurkenstaaten“ nutzte die Bush-Administration auch dazu, im Dezember 2001 den ABM-Vertrag mit Russland über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen zu kündigen, indem sie eine Bedrohung ihres Territoriums durch Raketen aus solchen Staaten, namentlich dem Iran, konstruierte.

Im Afghanistan-Krieg gelang es den USA und ihren Verbündeten 2001 schnell, die Taliban von der Macht und nach Pakistan zu vertreiben. Mit dem brutalen Vorgehen der US-Truppen gegen afghanische Aufständische und die Zivilbevölkerung (Bombardierungen von Hochzeitsgesellschaften usw.) gewannen die Taliban jedoch ab 2006 zunehmend an Einfluss zurück. Ab 2009 war verantwortlichen westlichen Militärs zunehmend klar, dass der Krieg in Afghanistan nicht mehr zu gewinnen war. Dennoch setzten die Regierungen der USA und auch Deutschlands bis 2020 trotz aussichtsloser Perspektive auf eine Fortsetzung des Krieges. Bis 2014 hielten die NATO-Staaten dort auch Kampftruppen stationiert. Erst unter ihrem neuen Präsidenten Joe Biden beschlossen die USA einen jähen Kurswechsel und erklärten sich in Verhandlungen mit den Taliban unter Ausschluss der afghanischen Regierung und der NATO-Verbündeten zum Abzug bereit, der inzwischen praktisch abgeschlossen ist. Der Abzug der geschlagenen Großmacht aus Afghanistan markiert besonders anschaulich das Ende des 20-jährigen „Krieges gegen den Terror“.

Im Irak, gegen den die USA mit einer „Koalition der Willigen“ (ohne Frankreich und Deutschland) unter der falschen Behauptung, das Regime Saddam strebe nach Massenvernichtungswaffen, 2003 zu Felde zog, war die dortige Armee ebenfalls schnell binnen zwei Monaten besiegt. Doch das Land brach unter Bürgerkriegszuständen praktisch auseinander in einen autonomen kurdischen Norden, in einen schiitischen Süden und einen sunnitischen Mittelteil, von dem über viele Jahre Aufstände ausgingen, aus denen sich schließlich auch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ bildete.

Unter dem Vorwand des „Krieges gegen den Terror“ gingen die USA ab Ende 2001 dazu über, des Terrors verdächtige oder beschuldigte Personen zu entführen und ohne Gerichtsverfahren über längere Zeit in weltweit verteilten Geheimgefängnissen zu inhaftieren, in denen auch gefoltert wurde. In mehreren dokumentierten Fällen stellte sich nach monate- oder jahrelanger Haft heraus, dass die Betroffen unschuldig (zum Beispiel Opfer einer Verwechslung) waren. Zu diesen gehört auch der in Deutschland geborene Murat Kurnaz. Nach offiziellen US-Angaben wurden die von der CIA betriebenen Geheimgefängnisse außerhalb der USA im Laufe des Jahres 2006 geschlossen. Das berüchtigte Gefängnis auf dem US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba war nicht geheim. Es soll demnächst aufgelöst werden.

Die Ablehnung des 2002 gebildeten Internationalen Strafgerichtshofs durch die USA beruht darauf, dass dieser keine Immunität für US-Bürger*innen wegen solcher Straftaten gewähren wollte und konnte. Die USA schlossen daher mit 50 Staaten bilaterale Abkommen, die eine Auslieferung von US-Bürger*innen aus diesen Ländern nach Den Haag verhindern sollen. 2003 strich die US-Regierung die Militärhilfe für 35 Länder, die solche Abkommen nicht unterzeichnet hatten.
2009 erklärte die Regierung Obama, den Begriff „Krieg gegen den Terror“ nicht mehr verwenden zu wollen. 2013 führte Präsident Barack Obama stattdessen die Bezeichnung „beharrliche Anstrengungen gegen Netzwerke von Extremisten“ ein.

Die internationale Ärzteorganisation IPPNW bezifferte 2015 die Opferzahlen des „Krieges gegen den Terror“ in Irak, Afghanistan und Pakistan in den Jahren 2001 bis 2014 auf weit über 1 Million Tote. (2)

Im Zuge des „Krieges gegen den Terror“ kam es auch in Deutschland zur Verabschiedung verschiedener Anti-Terror-Gesetze. Mit den USA wurde vereinbart, dass der BND umfangreiche Datenmengen aus der eigenen Aufklärung der NSA zur Verfügung stellt, wie 2013 bekannt wurde.

Anmerkungen
1 https://web.archive.org/web/20051217122637/http://www.lpb.bwue.de/aktuel...  
2 https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_A...

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de