Bündnistreue statt Völkerrecht

Angriffskriege führen ist nicht strafbar - oder: (Real-)Politik statt Juristerei

von Martin Singe

„Wir machen hier Politik und betreiben keine Juristerei" mit solchen bzw. ähnlichen Worten wehrten der damalige Verteidigungsminister Struck und Kanzler Schröder völkerrechtliche Einwande ab, die zu Beginn des Krieges der USA und anderer gegen den Irak erhoben wurden, als die Bundesregierung den Angriffskriegern sämtliche Rechte zur Nutzung des Hoheitsraums der Bundesrepublik zur Verfügung stellte. Obendrein war die Bundesregierung durch Zur Verfügungstellung von Bundeswehrsoldaten für AWACS-Einsätze und die Bewachung von US-Militäreinrichtungen in der Bundesrepublik direkt in den Krieg verwickelt.

Nun kam auch noch raus, dass BND-Spezialisten während des Krieges in Bagdad tätig waren, die u.a. auch Zieldaten an die USA weitergegeben haben sollen. Den zur Aufklärung notwendigen Untersuchungsausschuss wussten die GRÜNEN, damals regierungseinbezogen kriegsunterstützend mittätig und mitverantwortlich, geschickt zu verhindern. Der abgedankte Fischer sollte nicht im Nachhinein beschädigt werden. Auch dass mal eben so Bundesbürger nach Afghanistan entführt werden oder BKA-Spezialisten zu Verhören in US-Folterzentren nach Syrien und Guantanamo fliegen, ficht die Regierung nicht weiter an. Drüber Gras wachsen lassen, scheint die Devise zu sein, wo eigentlich Aufklärung dringendste rechtsstaatliche Pflicht wäre.

Angriffskriege führen ohne sie vorzubereiten?!

Nun hat der Generalbundesanwalt in einem Schreiben an die Friedenskooperative noch einen draufgesetzt. Das Netzwerk hatte in Kooperation mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie nach Bekanntwerden der BND-Bagdad-Geschichte erneut Strafanzeige gegen Mitglieder der alten Bundesregierung wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Angriffskrieg erstattet. Der geäußerte Verdacht stützte sich auf die neu bekannt gewordenen Tatsachen. Das Antwortschreiben des Generalbundesanwalts vom 16. Januar 2006 haben wir nachfolgend im Wortlaut dokumentiert. Allen Ernstes wird hier behauptet, dass zwar die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht jedoch dessen Führung strafbar sei. Der Strafgesetzbuch(StGB)-Paragraph 80 (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges) ist in enger Anlehnung und in Bezug auf Art. 26 Grundgesetz(GG) (Verbot friedensstörender Handlungen) formuliert worden. Hierzu sagte das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 21.6.2005 (zum Vorwurf der Gehorsamsverweigerung eines Bundeswehr-Majors): ,,Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht „vorbereitet" werden darf, so darf er nach dem offenkundigen Zweck der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden."

Das völkerrechtliche Gewaltverbot darf nicht aufgegeben werden!

Nun sind Strafrecht und Völkerrecht allerdings zwei Paar Schuhe. In der Tat ist der § 80 StGB - wegen seinerzeitiger Unstimmigkeiten im damit befassten Rechtsausschuss - bei seiner Einführung 1968 vorläufig enger gefasst worden als dies von Art. 26 GG vorgesehen ist. Der Gesetzgebungsauftrag aus Art. 26 GG ist also bis heute nicht erfüllt. Die Bundesregierung versucht sich jedoch generell vom Verstoß gegen das Völkerrecht im Jugoslawien- und Irak-Krieg freizusprechen, obwohl gemäß Art. 26 GG als auch gemäß Art. 25 GG (Die Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und - gehen den Gesetzen vor!) jede Beteiligung an Angriffskriegern als verfassungswidrig verboten ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies noch mal eindeutig herausgestellt. Die einzigen Ausnahmen vom Gewaltverbot der UN-Charta - unabhängig von der friedenspolitischen Bewertung dieser Ausnahmen - bilden der Verteidigungskrieg (ggf. auch von Beistandsbündnissen) oder eine UN-ermächtigte Militärintervention. Gegen diese klare Regelung werden aber von westlichen Regierungen zunehmend Argumente wie folgende vorgetragen: Der Angriffskrieg sei von den UN nicht eindeutig genug bestimmt; das Völkerrecht befinde sich hinsichtlich der Möglichkeit ,,humanitärer" oder präventiver Interventionen im Fluss; hier sei ein neues Völkergewohnheitsrecht im Entstehen.

Solchen gezielten Völkerrechtsverdunstungen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Dazu kann auch das Strafrecht beitragen. Wenn·die Gebote des Verfassungsgebers aus Artikel 26 GG nicht hinreichend im Strafrecht umgesetzt wurden, ist dies umgehend vom Gesetzgeber nachzuholen. Dies muss die Friedensbewegung anmahnen. Zugleich ist nach wie vor zu fordern, dass die am völkerrechtswidrigen Irak-Krieg beteiligten Länder vom Internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden. „Völkergewohnheitsrecht" in Richtung Ausdehnung von Kriegsrechtfertigungen entsteht, wenn die dem Völkerrecht (noch) verpflichteten Staaten nicht tätig werden und die BürgerInnen in den betroffenen Staaten keine hinreichende Gegenöffentlichkeit durch Aufklärung und Protest schaffen.

Ausgabe

Rubrik

Im Blickpunkt

Themen

Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".