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Rechtsoffenheit
Anmerkung zum Beitrag „Krise, Krieg und Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung?“ von Renate Wanie, Friedensforum 5/2023
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In dem Beitrag „Krise, Krieg und Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung?“ (1) thematisiert Renate Wanie Einflussnahmen wie Unterwanderungen von Personen und Gruppierungen aus dem rechten bis rechtsextremistischen Milieu in Friedensbündnisse und in Friedensveranstaltungen. Exemplarisch lässt sich dies an rechten Friedensbündnissen in NRW aufzeigen. Kritisch führt Wanie aus, dass sich Organisator*innen von Friedensdemonstrationen nicht klar und unmissverständlich deutlich vom rechtsextremistischen Milieu abgrenzen und absetzen.
Zustimmend anzumerken ist dazu, dass bereits in den 1960er Jahren Herbert Marcuse dargelegt hat, wie naiv gewährendes, einbeziehendes, offenes Verhalten als falsch verstandene Toleranz in Repression umschlagen kann. (2) Insofern kann der Beitrag von Renate Wanie als Weckruf und als Alarmsignal verstanden werden. Die Friedensbewegung darf keine Toleranz gegenüber Personen und Gruppierungen gewähren, die als Wolf im Schafspelz versuchen, die Friedensbewegung für rassistische, nationalistische oder faschistoide Zwecke zu funktionalisieren. Diesen rechten Infiltrationstendenzen muss die Friedensbewegung Plattform und Raum verbieten. Dabei braucht eine eindeutige Zuordnung rechtsextremer Personen oder Gruppierungen hinreichende Recherche und fundierte Analyse. Sie erfordert diese gerade in dem Wissen, dass Wölfe im Schafspelz ihre wahren Interessen und Absichten kaschieren und zu verbergen wissen. Wanie rekurriert folgerichtig auf die Positionierung des DFG-VK Landesverbands NRW, die besagt: „mit rechtsextremen und nationalistischen Kräften ist kein Frieden zu machen“ (3). Zu hoffen ist, dass diese Position in der Breite der Friedensbewegung übernommen wird.
Die hier im Folgenden angestellten Überlegungen beabsichtigen einerseits die Ausführungen von Wanie zu stützen und sie andererseits um einige weiterführende Aspekte zu ergänzen.
Verständnis von Krisen
So soll hier das Verständnis von Krisen weiter gefasst werden, als dies bei Wanie zum Ausdruck kommt, weil dies zu anderen Schlussfolgerungen führt. Krisen, als Zeiten der Verängstigung, des Kontrollverlustes und der Unübersichtlichkeit, in psychologischen Begriffen zu lesen, scheint den Sachverhalt in seiner Problematik nur zum Teil zu erfassen. Emotionen wie Ängste, Gefühle des Kontrollverlust oder der Ohnmacht weisen über persönliche, subjektive Empfindungen hinaus auf die ihnen zugrunde liegenden objektiven gesellschaftlichen Bedingungen. Drei faktische gesellschaftliche Realitäten seien hier benannt. Erstens: Die gesellschaftlichen Zustände wie beispielsweise Kinder- oder Altersarmut und Reallohnverluste stellen die Realität der Lebensbedingungen vieler Menschen dar. Zweitens: Immer mehr gesellschaftliche Bereiche des Allgemeinwohls werden durch Privatisierung der Renditeverwertung und den Einkommen Weniger zugeführt. Drittens: Rüstungsinvestitionen sind im gleichen Zusammenhang als wirkmächtige
Kapitalakkumulationsmaschinerie vermögender Anleger wahrzunehmen. Die Erhöhung der Rüstungsausgaben und die Aufnahmen von steuerfinanzierten Krediten für die Rüstungsindustrie sind durch die Breite der Bevölkerung zu erbringen. Die Aktiengewinne wie Dividende durch Kurssteigerungen der Rüstungsfirmen werden in die Portfolios derer gespült, die über das Vermögen verfügen, Millionen und Milliarden in Finanzfirmen wie BlackRock zu investieren. Werner Rügemer weist zum Beispiel darauf hin, dass BlackRock mit dem Zukauf von Aktien bei Rheinmetall gerade in dem Moment begann, als Olaf Scholz das 100 Mrd. Euro Aufrüstungsprogramm bekannt gegeben hatte. (4) Hier zeigt sich, dass Krisen durchaus eine Funktion haben, nämlich einerseits Eigentumsverhältnisse zu stabilisieren und andererseits immer wieder im großen Maße neue gewinnbringende Einkommensquellen für Vermögende zu generieren. Diese Umverteilungspraxis von unten nach oben lässt sich seit den 1970er Jahren ungebrochen nachzeichnen.
Für Rainer Mausfeld stellt die Transformation von Realangst in Binnenangst eine zentrale Technik dar, Herrschaft auszuüben, „um die Diskrepanz zwischen demokratischer Rhetorik und kapitalistischer Realität zu verdecken, um grundlegenden Dissens zu blockieren, um Veränderungsenergie auf Ablenkziele umzuleiten“ (5). Wenn reale Sorgen um die eigene Existenz (Realangst) Bedrohungsgefühle und Kontrollverlust (Binnenangst) induzieren, dann wird durchaus ein gesellschaftlicher Zustand erzeugt, der dazu beiträgt, dass in der Breite der Bevölkerung die Organisation von Widerstand gegen Umverteilung paralysiert wird.
Interessen der Eliten im Blick behalten
Renate Wanie benennt, mit Verweis auf Heitmeyer, einige Faktoren, die ein Rolle für eine soziale Desintegration spielen könnten. Diese Erläuterung reicht jedoch nicht aus, denn das Konstatieren von Krisen als Beschleunigungsfaktor eines Nationalradikalismus fixiert die Problematik rechtsextrem-präfaschistoid. Bei aller Wahrnehmung dieser Entwicklung und der damit verbundenen unmissverständlichen, eindeutigen Abgrenzung, auf die Wanie zu Recht hinweist, scheint es unentbehrlich, die Interessen der gesellschaftlichen Finanz- wie Politikeliten im Blick zu behalten. Die Propaganda des Einschwörens der Bevölkerung, den Zumutungen zuzustimmen, sich zu beschränken, sich zu bescheiden sowie sich damit abzufinden, die Lasten politischer Entscheidungen zu tragen, sind als Techniken zu begreifen, den Status Quo der Eigentumsverhältnisse zu garantieren und zu zementieren. Bevölkerungsteile, die sich widerständig gegen Umverteilung und Zerstörung von Lebensgrundlagen verhalten, sehen sich mit Repressalien und Kriminalisierung konfrontiert. (6) Eine weitreichend hegemoniale Medienlandschaft leistet dazu ihren eigenen Beitrag. Vordergründige moralische Abgrenzungsappelle der selbsternannten politischen Mitte gegenüber Rechtsextremismus erweisen sich für viele Menschen als doppelzüngig. Die aktuelle Abstimmung der CDU und FDP mit der AfD im Thüringer Landtag (7) kann hier als Beispiel dienen.
Eine Politik, die die Umverteilung von Unten nach Oben über Legislaturperioden und in unterschiedlichen Regierungskoalitionen hinweg nicht nur begünstigt, sondern vorantreibt, ist selbst für Zustimmung und Zulauf zu pro-faschistischen Gruppierungen und Parteien mitverantwortlich. Die Friedensbewegung hat der Unterwanderung von Rechts schon deshalb zu widerstehen, weil sie der Faschistoisierung der Gesellschaft keinen Vorschub leisten darf.
Wir brauchen starke soziale Bewegungen
Bei fortschreitenden Zumutungen und Einschränkungen der Bevölkerung durch die etablierte Politik ist zu befürchten, dass die Zustimmungswerte der Rechten eher steigen als sinken. Formiert und kumuliert sich jedoch ein breiter gesellschaftlicher Widerstand gegen die politische Elite, beispielsweise indem sich soziale Bewegungen mit der Klima- und der Friedensbewegung zu einer politischen Größe verbinden, so werden auch Eigentumsverhältnisse zur Disposition gestellt. Spätestens dann ist zu befürchten, dass die Finanz- und Wirtschaftseliten die Parteien der sogenannten politischen Mitte fallen lassen und sich offen der Faschisten bedienen, um Eigentumsverhältnisse abzusichern. Schon vor fast hundert Jahren schrieb Walter Benjamin: „Die zunehmende Proletarisierung der heutigen Massen sind zwei Seiten eines und desselben Geschehens. Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarischen Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten.“ (8) Diese Gedanken Benjamins erweisen sich heutzutage als überaus aktuell.
Neben der Herausforderung für die Friedensbewegung, rechten Unterwanderungsversuchen antifaschistisch entgegenzutreten, besteht demnach eine andere Herausforderung darin, sich gegenüber einer Politik zu positionieren, die ökonomisch-politischen Interessen einer kleinen wohlhabenden Elite das neoliberale Wort redet und entsprechend autoritär, respektlos und restriktiv gegenüber weiten Bevölkerungsteilen auftritt.
Anmerkungen
1 Wanie, R.: Krise, Krieg und Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung? Friedensforum 5/2023, S. 20-23.
2 Marcuse, H.: Repressive Toleranz. In: Wolff, R.P./ Moore, B./ Marcuse, H.: Kritik der reinen Toleranz. 10. Aufl. 1982. S. 93-128.
3 Vgl. Wanie, R.: Krise, Krieg und Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung?, Friedensforum 5/2023, S. 23.
4 Vgl. Rügemer, W.: Aktienzukauf beim Rüstungskonzern Rheinmetall, und noch mehr Fracking-Gas. https://www.nachdenkseiten.de/?p=81874 vom 13. März 2022 um 18:17 Uhr
5 Mausfeld, R. Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. 2019. S. 23.
6 Bericht von Amnesty International. Staatliche Unterdrückung wächst weltweit. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/amnesty-international-114.... vom 19.09.2023 um 07:27 Uhr.
7 Abstimmung zur Absenkung der Grunderwerbssteuer.
8 Benjamin, W. Abhandlungen. Gesammelte Schrift Band I-2. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. 10. Aufl. 2021. S. 506.