Gewerkschaftliche Erfahrungen mit der Rüstungskonversion

Arbeit durch Rüstung - Arbeitslosigkeit durch Abrüstung?

von Horst Klaus

Für ArbeitnehmerInnen kann Abrüstung zum Problem werden, sofern ihre Arbeitsplätze bedroht werden. Der Autor, selbst Gewerkschaftler, reißt im folgenden Beitrag einige Probleme der Rüstungskonversion an.

 

Aus heutiger Sicht und mit Blick auf den "Jäger 90" klingt es wie eine Horrorvision, was die Süddeutsche Zeitung am 1. September 1987 aus Tel Aviv berichtete:

"Tausende von Mitarbeitern der israelischen Luftfahrtindustrie (IAI) haben am Montag mit zum Teil gewalttätigen Demonstrationen gegen die Entscheidung der Regierung protestiert, das Kampfflugzeug Lavi nicht weiterzubauen. Die Demonstranten zogen in Tel Aviv vor das Verteidigungsministerium und stürmten das Gebäude des Gewerkschaftsverbandes Histradruth ... "(SZ, 2.9.90)

Den Arbeitnehmern ging es dabei sicherlich nicht um das Kampfflugzeug; sie hätten vermutlich ebenso gerne oder lieber ein ziviles Verkehrsflugzeug gebaut. Ihnen ging es um ihre Arbeitsplätze, genauso wie den 1.000 Werftarbeitern von KDW in Kiel, die am im Dezember 1980 mit einer Arbeitsniederlegung für die Lieferung zweier U-Boote an das chilenische Militärregime des Generals Pinochet demonstrierten (während am gleichen Tage der SPD-Parteivorstand in Anwesenheit des Bundeskanzlers der sozialliberalen Koalition sich einmütig gegen die Lieferung der U-Boote aussprach).

Für die IG Metall, die sich schon drei Jahre vorher angesichts der "lobbyistischen Tätigkeit verschiedener in der IG Metall organisierter Betriebsräte von mit Rüstungsproduktion beschäftigten Unternehmen" eindeutig für die Beschränkung von Rüstungsexporten ausgesprochen hatte, war dies ein Anlaß, verstärkt "Maßnahmen zur Umstellung von militärischer auf zivile Produktion" zu fordern.

Bei Blohm & Voss in Hamburg, bei MBB in Bremen und Krupp MaK in Kiel sowie einem Dutzend weiterer Betriebe gründeten Betriebsratsmitglieder und gewerkschaftliche Vertrauensleute Arbeitskreise, in denen über alternative Produktion nachgedacht und konkrete Produktvorschläge entwickelt wurden. Bei MaK verteidigten die Arbeitnehmer monatelang den Lokomotivbau, damit der Betrieb nicht völlig von Rüstungsaufträgen abhängig werde.

Mitbestimmen über Produktion

Nicht immer ging es den Arbeitskreisen um Rüstungskonversion; häufig ging es - wie bei Grundig in Nürnberg - um einfache Produktdiversifikation angesichts absehbarer Marktsättigung. Immer aber ging es und geht es nach wie vor um die Entwicklung gesellschaftlich nützlicher und ökologisch verträglicher Produkte. Und immer geht es aber auch um die Realisierung solcher Vorschläge, wie sie in den Arbeitskreisen entwickelt werden; denn nicht die Betriebsräte und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute entscheiden darüber, was und wie produziert wird, sondern die Unternehmensvorstände. Entschieden wird darüber auch nicht in den Aufsichtsräten, die im Prinzip nur Kontrollfunktionen gegenüber den Vorständen haben. Und diese verteidigen nicht nur die Eigentumsrechte der Kapitaleigner, sondern auch ihre Verfügungsgewalt über das Eigentum. Dr. Rohkamm, Vorstandsmitglied von Blohm & Voss, hat das im Mai 1985 gegenüber dem Vertreter eines Arbeitskreises so formuliert: " ... wenn Sie das so interpretieren, daß Sie jetzt hier eine privat gestrickte Aufweichung der Mitbestimmungsgesetzgebung vornehmen und Sie dann alle vierzehn Tage ... anmarschieren, um eine große Produktsitzung mit mir zu machen, da werde ich nicht mitmachen."

Da die Unternehmensvorstände meist nicht einmal bereit sind (und auch nicht z.B. durch betriebsverfassungsrechtliche Instrumente dazu veranlaßt werden können), die Vorschläge der Arbeitskreise wenigstens ernsthaft auf ihre Realisierungschancen, Marktfähigkeit usw. zu prüfen, arbeiten viele GewerkschaftlerInnen in ihrer freien Zeit und unter Einsatz eigener Geldmittel jahrelang und letztlich ohne Erfolg geduldig an Aufgaben, die eigentlich Sache der Unternehmensleitungen sind.

Aber natürlich ist die Eigentumsordnung und die Verfügungsgewalt im kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht der einzige Grund, weshalb Unternehmer Konversionsvorschläge mißachten oder ablehnen. Es sind vor allem auch die (bisher) "sicheren Gewinnerwartungen auf zivilen Märkten, die erschlossen werden müssen; das Verharren in konservativen, vorsichtigen Unternehmensstrategien.“ Alle möglichen volkswirtschaftlichen Vorteile einer Konversion sind für die rüstungsproduzierenden Firmen selber völlig uninteressant. Der Markt erzeugt hier, wie in vielen anderen Fällen auch, keine "vernünftigen" Lösungen. "Änderungen müssen politisch durchgesetzt werden", faßt Peter Wilke Erkenntnisse einer von der IG Metall initiierten und von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung finanziell geförderten Untersuchung zusammen (in Nr. 4/87 der Zeitschrift "Sicherheit und Frieden"):

Dafür scheinen sich jetzt die Chancen gebessert, die Probleme allerdings auch vergrößert zu haben. Bessere Chancen ergeben sich aus der nunmehr auch für die Unternehmen unübersehbar gewordene Unausweichlichkeit von Konversionsmaßnahmen. Besonders deutlich wird das aktuell am Beispiel der Daimler-Benz-Tochter "Deutsche Aerospace" (DASA), deren Chef Jürgen Schrempp sich seit dem Sommer vorigen Jahres wiederholt zu Fragen von Rüstungsproduktion und -konversion geäußert hat (er spricht von "Substitution"). Es dürfe nicht dazu kommen, daß, falls der Jäger '90 nicht gebaut werde, drei Fertigungsstätten geschlossen und 10.000 Mitarbeiter entlassen werden müßten (lt. FAZ vom 13.12.89). Allerdings sei Ersatz nicht über Nacht aus dem Hut zu ziehen (FAZ 21.2.90); dafür werden Unterstützung aus Bonn erwartet, berichtet die Frankfurter Rundschau am 21.2.90 unter der Überschrift "DASA fordert Schaumteppich für weiche Landung."

Zivile Strukturpolitik

Die Probleme haben sich zugleich vergrößert, weil zur unumgänglichen Produktkonversion in den Rüstungsbetrieben eine "Standortkonversion" kommt, wie es in einer großen Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion heißt - "Maßnahmen zum Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der Abrüstung in strukturschwachen Regionen". In der Tat resultiert aus der absehbaren Reduzierung von Stationierungstruppen, aber auch aus der Auflösung ganzer Garnisonen und Marinestandorte der Bundeswehr eine völlig neue Dimension von Konversion. Nahezu 200.000 ArbeitnehmerInnen sind bei der Bundeswehr, über 100.000 bei den Stationierungsstreitkräften direkt beschäftigt; hunderttausende Arbeitsplätze hängen indirekt von Rüstung und Militär ab - nicht nur bei den Produzenten von großtechnischen Rüstungsprojekten, Bauunternehmen und den Herstellern von Munition und Unterwäsche, auch Bäckereien, Metzgereien und Wirte, TaxifahrerInnen und WohnungsvermieterInnen.

So wird Abrüstung im Handumdrehen zur strukturpolitischen Herausforderung der Regionalpolitik, nicht nur in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Auch ist längst klar, daß auch Rüstungsproduktkonversion kein betriebliches Problem ist, sondern eine betriebsübergreifende, regionalpolitische Angelegenheit, in der der Bund im Rahmen seiner Verpflichtungen nach Artikel 104 a Absatz 4 Grundgesetz gefordert ist. Und Konversion wird auch zu einem Finanzierungs- (und zu einem Umwelt-) problem, wenn z.B. das Verschrotten eines Panzers über 100.000 Mark kosten, wie der Mathematikprofessor Josef Nietzsch von der Ostberliner Humboldt-Universität schätzt (FR 3.2.90) und dabei die Gefahr der Freisetzung von Dioxin besteht, weil die Panzer mit Polyurethan und Paraffin ausgeschäumt seien. Ein Teil der durch Abrüstung frei werdenden Mittel wird also zunächst für die Kosten der Abrüstung, für Rüstungsprodukt- und Standortkonversion verwendet werden müssen und erst dann für die Finanzierung von Umweltschutz- und Entwicklungshilfemaßnahmen zur Verfügung stehen.

Eines allerdings steht fest Niemand wird den Gewerkschaften den modischen Vorwurf machen können, sie hätten das Problem verschlafen. Niemand - auch nicht die Friedensforschung - hat sich so frühzeitig mit den sozioökonomischen Folgen der Abrüstung beschäftigt wie die IG Metall und insbesondere ihre Jugend, die schon 1971 auf ihrer Bundeskonferenz einen entsprechenden Beschluß faßte, der noch heute höchst aktuell ist. Die "Spinner" in der Organisation und in den Arbeitskreisen "Alternative Produktion" haben über Jahre gemahnt und gearbeitet an Konzepten, mit denen Vorgänge wie um den israelischen Lavi weitgehend ausgeschlossen werden könnten. Jetzt ist es höchst Zeit, daß PolitikerInnen und UnternehmerInnen sich mit der Problematik auseinandersetzen und die Entscheidungen treffen, die ihnen die ArbeitnehmerInnen nicht abnehmen können - zumal sie sich jahrelang dagegen gewehrt haben.

Horst Klaus ist Vorstandsmitglied der IG Metall.

 

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Horst Klaus ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall.