Arbeitsplätze und Freiwilligendienste statt Zivildienst

von Peter Tobiassen
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Über die Zukunft des Zivildienstes entscheiden Politiker, die von sozialen Dienstleistungen nichts verstehen, nämlich die Verteidigungspolitiker. Es geht denen ganz allein um die Frage: Soll die Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee bleiben oder zu einer professionelleren Freiwilligenarmee entwickelt werden? Und diese Frage darf nur sicherheitspolitisch beantwortet werden. Das Grundgesetz erlaubt zwar dem Gesetzgeber, Männer zum Dienst in den Streitkräften zu verpflichten. Aber: "Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates gebietet." Einzig diese - 1995 vom damaligen Bundespräsidenten Herzog den Kommandeuren der Bundeswehr erläuterte - Vorgabe führt auch heute zur Antwort auf die Frage: Wehrpflicht- oder Freiwilligenarmee? Erst wenn diese Frage entschieden ist, weiß man, wie der Zivildienst jeweils aussieht.

Zivildienst: Anhängsel der Wehrpflicht
Der Zivildienst ist Anhängsel der Wehrpflicht. Seine einzige Aufgabe ist es, Männer dazu zu bringen, in der Bundeswehr Dienst zu tun. Würden Kriegsdienstverweigerer nämlich nichts machen müssen, wären die Nicht-Verweigerer wohl kaum bereit, Dienst im Rahmen der Wehrpflicht zu leisten. Dass der Zivildienst im Sozialbereich durchgeführt wird, hat sich - seit 1961 - eher zufällig so entwickelt.

Fakt ist, dass die "Drückeberger" von einst im Laufe der Jahre zu einem Faktor im Sozialbereich geworden sind. 138.000 Zivildienstleistende erbrachten 1999 vielfältige soziale Dienstleistungen. Dennoch stellen Zivildienstleistende nur knapp 8% des Personals im Sozialbereich. Wenn im letzten Herbst mit Schlagzeilen der Eindruck erweckt wurde, bei einer Verkürzung der Dienstdauer von 13 auf 11 Monate für diese Personalgruppe würde "der Sozialbereich" zusammenbrechen, deutet das eher auf schlechtes Management als auf Personalprobleme bei sozialen Dienstleistungen hin.
 

Hartnäckig halten sich manche Stammtischparolen über den Zivildienst. Ohne die billigen Zivildienstleistenden würden soziale Dienstleistungen angeblich unbezahlbar werden. Wer den sozialen Standard in unserer Gesellschaft erhalten wolle, komme bei wegfallendem Zivildienst nicht um erhebliche Mehrausgaben herum.

Bei näherem Hinsehen erweisen sich diese Befürchtungen als unbegründet. Im Gegenteil: Ohne Zivildienst lassen sich soziale Dienstleistungen, die bisher von den Zivis erbracht wurden, professioneller und - volkswirtschaftlich gesehen - sogar kostengünstiger erbringen. Warum ist das so?

Zivildienstleistende sind Zeitarbeitskräfte, die im Regelfall ohne einschlägige Vorbildung in den Betrieb kommen. In den ersten drei Monaten des Dienstes lernen sie das, was sie tun sollen. Analysen haben ergeben, dass die Arbeitsleistung eines Zivildienstleistenden etwa zwei Drittel der eines vergleichbaren Mitarbeiters vom freien Arbeitsmarkt entspricht. Zwei Dauerarbeitskräfte können drei Zivildienstleistende ersetzen. Gut 90.000 reguläre Arbeitskräfte sind nötig, um die Arbeitsleistung von 138.000 Zivildienstleistenden zu ersetzen.

90.000 reguläre Arbeitsplätze
zum Nulltarif

Die Arbeit der Zivildienstleistenden wird aus zwei Quellen finanziert. Der Bund wendet knapp 20.000 DM pro Zivildienstleistenden und Jahr auf, die einzelne Beschäftigungstelle gut 14.000 DM. Drei Zivildienstleistende kosten also 100.000 DM. Würden sie wegfallen, wären zwei Dauerarbeitskräfte nötig, um ihre Arbeitskraft zu ersetzen. Für jeden dieser zu schaffenden Arbeitsplätze stehen dann zunächst einmal die schon heute ausgegebenen 50.000 DM zur Verfügung.

Gesellschaftlich finanzieren wir natürlich auch die Arbeitslosigkeit der 90.000 Menschen, die - würden Zivildienstleistende die Arbeitsplätze nicht besetzen - als soziale Dienstleister tätig wären. Für Arbeitslosengeld und -hilfe, Sozialhilfe, Wohngeld etc. setzen Experten 11.000 DM pro Person und Jahr an. Und dem Finanzamt entgehen pro Beschäftigtem etwa 7.500 DM an Steuern.

Wenn alle Beteiligten zusammenlegen, sind pro Arbeitsplatz also 68.500 DM verfügbar. Das ist ein ordentliches Budget für jeden der 90.000 Arbeitsplätze, die heute als Zivildienstplätze auf junge Männer ohne einschlägige Vorkenntnisse zugeschnitten sind. Damit könnten auf dem Arbeitsmarkt vor allem denen Arbeitsplätze angeboten werden, die keine oder nur eine geringe Ausbildung haben. Professioneller würden die sozialen Dienstleister allemal. Wenn der Rettungssanitäter nicht alle 11 Monate wechselt, sondern auf eine längere Berufserfahrung zurückblicken kann, beruhigt das nicht nur den Unfallverletzten, sondern auch den Einsatzleiter.

Arbeitsmarktinitiative im Sozialbereich
Bei Wegfall oder zahlenmäßiger Reduzierung der Pflichtdienste kommt gerade den Sozial- und Finanzpolitikern eine Schlüsselaufgabe zu. Das vorhandene und heute via Zivildienst für soziale Dienstleistungen eingesetzte Geld muss für diese Dienstleistungen erhalten bleiben. Dieter Dzewas, zivildienstpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat zu Recht Anfang Mai in der Diakonischen Akademie in Berlin zu einer arbeitsmarktpolitischen Initiative im Sozialbereich aufgerufen. Die Bundestagsfraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen haben Entsprechendes beschlossen.
 

Bundeswehrplan: Arbeit von 80.000 Zivis ist zu ersetzen
Verteidigungsminister Scharping hat die Situation mit seinem aktuellen Bundeswehrplan aber komplizierter gemacht. Er will die Wehrpflicht beibehalten, aber nur noch jeden zweiten verfügbaren Wehrpflichtigen zu einem neunmonatigen Grundwehrdienst einberufen können. Anschließende Wehrübungen soll es nicht mehr geben. Da die Regierung Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden zugesagt hat, wird also auch zum Zivildienst nur noch jeder zweite Kriegsdienstverweigerer mit einer neunmonatigen Dienstzeit einberufen werden. Das bedeutet, dass zukünftig etwa 50.000 Dienstleistende im Dienst sein werden. Gegenüber Ende letzten Jahres (130.000 ZDL im Dienst) sind also 80.000 zivildienstleistende soziale Dienstleister zu ersetzen. Wegen des Restzivildienstes wird die Finanzierung dieser neuen notwendigen Arbeitsplätze nicht ganz so einfach, da ein Teil des Geldes, das eigentlich in die Konversion gesteckt werden könnte, weiter im Zivildienst gebunden bleibt.

Freiwilligendienste kein Ersatz bei Regelaufgaben
In der Diskussion um die Veränderungen im Zivildienst setzen manche ihre Hoffnung auf Freiwilligendienste, mit denen das Loch bei den sozialen Dienstleistungen gestopft werden könnte. Das ist allerdings eine trügerische Hoffnung.

Unbestritten ist, dass freiwilliges (Mit-)Arbeiten und bürgerschaftliches Engagement unterstützt und gefördert werden müssen. Gerade Jugendlichen sollten Angebote gemacht werden, die deren Engagementsbereitschaft aufnehmen und fördern. Wollte man solches freiwilliges Mitarbeiten aber als feste Größe in soziale Dienstleistungen einrechnen, würde man den gleichen Fehler machen wie mit dem Zivildienst - nämlich die Schaffung notwendiger Arbeitsplätze verhindern. Diese unterlägen übrigens dem gleichen Rechenwerk wie beim Zivildienst. Über das freiwillige soziale Jahr erbrachte Dienstleistungen sind - volkswirtschaftlich gerechnet - genauso teuer wie durch reguläre Arbeitskräfte erbrachte Dienstleistungen. Außerdem würden, wenn eine Verdopplung der Stellen im freiwilligen sozialen Jahr gelingen könnte, gerade mal 12.000 Stellen dazukommen, die 80.000 wegfallende Zivildienstplätze kaum kompensieren können.

Zur Konversion des Zivildienstes durch reguläre Arbeitsplätze gibt es keine Alternative.

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Peter Tobiassen, Sozialarbeiter, arbeitet seit 1978 und noch bis Ende August 2011 als Geschäftsführer in der Zentralstelle KDV.