Atempause bei atomaren Bunkerknackern und Mininukes

von Gerhard Piper

Am 20. November 2004 erlitten die Rüstungspläne der Bush-Regierung eine herbe Schlappe im US-Kongress. Die Parlamentarier strichen bei der Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2005 die Gelder zur Entwicklung einer atomaren Bunkerknackerbombe und einer Mininuke. Das Votum der Abgeordneten musste überraschen, schließlich hatten sie erst ein Jahr zuvor ein Verbot zur Entwicklung neuer Atomwaffen aufgehoben.

Mit der neuen Initiative setzten die wankelmütigen Parlamentarier ihre Schaukelpolitik in Sachen Nuklearbewaffnung fort. Zunächst verabschiedete der Kongress im November 1993 auf Antrag der republikanischen Abgeordneten Elizabeth Furse und John M. Spratt einen Zusatzartikel zum Verteidigungshaushaltsgesetz für das Haushaltsjahr 1994, das die Produktion von Nuklearwaffen mit einer Sprengkraft von weniger als 5 Kilotonnen verbot, weil durch Mininukes von niedriger Sprengkraft die Grenze zwischen konventionellen Bomben und kleinen Atombomben "verwischt" würde. Durch die Gesetzesinitiative wurde ein Rüstungsprojekt, das Precision Low-Yield Weapon Design, gestoppt.

Dann verabschiedete der Kongress im Jahr 2000 auf Antrag der beiden republikanischen Abgeordneten John Warner und Wayne Allard einen Zusatzartikel zum Verteidigungshaushaltsgesetz für das Haushaltsjahr 2001, in dem eine Machbarkeitsstudie zur Entwicklung einer Mininuke geringer Sprengkraft gefordert wurde. Ende 2002 bewilligte der Kongress außerdem erstmals 15,5 Millionen Dollar zur Entwicklung einer neuen Atombombe hoher Sprengkraft, dem bunkerknackenden Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP).

Im November 2003 kam es im Kongress zu einer chaotischen Sitzung, an deren Ende die Parlamentarier zum Teil selbst nicht mehr wussten, was sie soeben beschlossen hatten. Jedenfalls bewilligte der Kongress 15 Millionen Dollar zur Entwicklung des RNEP. Außerdem wurde das alte Spratt-Furse-Amendment aufgehoben und 6 Millionen Dollar für den Entwurf einer Mininuke genehmigt. Weitere 34 Millionen Dollar wurden zur Instandsetzung des Atomwaffentestgeländes in Nevada bereitgestellt, um das Testgelände gegebenenfalls innerhalb von 18 Monaten für neue Atomversuche in Betrieb nehmen zu können. Außerdem wurden 320 Millionen Dollar für den Bau einer neuen Fabrik zur Produktion von Nuklearladungen ("Pits") in Los Alamos genehmigt.

Nun kippte der Kongress am 22. November 2004 seine vorjährigen Entscheidungen. Auf Initiative des republikanischen Abgeordneten David Hobson aus Ohio erließ der Kongress einen umfassenden Stopp: Keine weiteren Gelder zur Entwicklung eines atomaren Bunkerknackers, zur Entwicklung einer Mininuke, zur Instandsetzung des Atomtestgeländes in Nevada oder zum Bau der neuen Pit-Fabrik. Statt atomare Bunkerknacker zu bauen, forderte Hobson, die entsprechenden Finanzmittel sollten lieber zur Entwicklung konventioneller Präzisionsbomben verwendet werden, die dieselben militärischen Funktionen mit weniger Kollateralschäden erzielen könnten. Hobson bezeichnete die Atomrüstungspläne seines Parteifreundes George Bush als "sehr provokativ und eine allzu aggressive Politik, die unsere moralische Autorität unterminiert, von anderen Staaten einen Verzicht auf Nuklearwaffen zu fordern".

Das Weiße Haus wurde von der Ablehnung des Kongresses überrascht, verzichtete aber auf ein Veto. Mit dem Nein der Parlamentarier sind die atomaren Aufrüstungspläne der Bush-Regierung, wie sie im Nuclear Posture Review vom 8. Januar 2002 festgeschrieben wurden, noch nicht endgültig aufgegeben. So könnte der Kongress bei den Haushaltsberatungen im November 2005 erneut einen Meinungsschwenk vollziehen und die beiden Atomwaffenprojekt doch noch billigen, aber bis dahin liegen die Bush-Pläne erst einmal auf Eis.

Die internationale Anti-Atom-Bewegung hat nun fast ein Jahr Zeit, um die amerikanischen Kongressabgeordneten erneut zu einem Nein zu bewegen. Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai 2005 und der sechzigste Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (Operation CENTERBOARD) im August 2005 sind die diesjährigen Höhepunkte der friedenspolitischen Kampagne. Vor dem Hintergrund eines drohenden amerikanischen Counter-Proliferation-Strike gegen das iranische Atombombenprojekt wird sich die Sachdiskussion in den kommenden Monaten um die militärpolitische Notwendigkeit und technische Machbarkeit von Bunkerknackern drehen:

Die US-Regierung setzt zunehmend auf Militärschläge zur Zerstörung der ABC-Anlagen in Schwellenländern, schließlich ist die alte Non-Proliferations-Politik längst gescheitert. Allein im Großraum Naher Osten verfügen heute fünf Staaten über ABC-Waffen. Seit 1945 wurde dort zehnmal mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, und in fünf Kriegen wurden biologische oder chemische Waffen eingesetzt.

In Friedenszeiten werden die ABC-Waffen in speziellen Bunkern gelagert. Rund 90 Prozent dieser Hard and Deeply Buried Targets (HDBT) könnte die US-Luftwaffe mit ihren vorhandenen Waffen zerstören. Zum Einsatz kämen konventionelle GBU-28/B Paveway III Präzisionsbomben mit einer Sprengladung von 306 kg Tritonal, die 35 Meter in den Erdboden eindringen können, oder B-61-11 Wasserstoffbomben mit einer variablen Sprengkraft von 0,3 bis 340 Kilotonnen, die auf Grund ihres größeren Durchmessers nur 7 Meter in den Erdboden eindringen.

Rund fünfzig verschiedene Bombenprojekte sind gegenwärtig in der Entwicklung. Gesucht wird eine Waffe, die als Bunker-Buster eine hohe Durchschlagskraft zur Sprengung der Bunkerwand hat, und die als Agent Defeat-Bombe die dort gelagerte ABC-Munition mit 100-prozentiger Sicherheit rückstandslos vernichten kann. Damit soll eine Katastrophe wie am 4. März 1991 verhindert werden. Damals sprengte eine US-Pioniereinheit den Bunker Nr. 73 des irakischen Munitionsdepots in Khamisiyah, in dem Feldraketen mit chemischen Gefechtsköpfen (Senfgas und Sarin) eingelagert waren. Die CIA hatte zwar über entsprechende Erkenntnisse verfügt, diese aber nicht an die Militärs weitergegeben. Bei dieser Aktion wurden giftige Wolken freigesetzt, die über 99.000 US Soldaten im Umkreis von 300 Landmeilen hinwegzogen und zur Entstehung des Golfkriegssyndroms beitrugen.

Zu den neuen Projekten gehören u.a. Brandbomben wie die High Temperature Incendiary-Systeme (J-1000) oder thermobarische Bomben (BLU-118/B), neue konventionelle Sprengköpfe für Marschflugkörper (AGM-86D und Tactical Tomahawk Penetrator Variant - TTPV), aber auch neue Atomwaffen wie der Robust Nuclear Earth Penetrator. Zwei vorhandene Atomsprengköpfe, W-76 (100 Kilotonnen) und B-83 (maximal 1200 Kilotonnen), sollten dahingehend getestet werden, ob sie für eine entsprechende Modifizierung geeignet wären. Um ihre Durchschlagskraft zu steigern, sollen sie mit einem gehärteten Mantel aus abgereichertem Uran umgeben werden.

Prinzipiell bietet die Fähigkeit von Atomsprengkörpern, in den Erdboden einzudringen, militärische Vorteile: So hat eine Atombombe von 10 Kilotonnen, die nur 4 Meter in den Erdboden eindringt, dieselbe Zerstörungswirkung gegen unterirdische Bunkeranlagen, wie ein Gefechtskopf von 1000 Kilotonnen, der an der Erdoberfläche detoniert. Allerdings bringt eine weitere Vergrößerung der Eindringtiefe keine nennenswerte Vergrößerung der Zerstörungswirkung. Konkret bedeutet dies, dass gegenüber der vorhandenen B-61-11 der geplante RNEP keine "Verbesserung" bringt, also militärisch überflüssig ist.

Andererseits spricht gegen den Einsatz der vorhandenen B-61-11, dass diese Atomwaffe radioaktiven Fallout freisetzt und damit zu Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung führt. Da ein zu entwickelnder hypermoderner Atomsprengkopf maximal 15 Meter in den Erdboden eindringen könnte, die Pilzwolke aber viel größer wäre, würde in jedem Falle Radioaktivität in die Umwelt gelangen. Das Ausmaß der radioaktiven Staubentwicklung hängt dabei zwar auch von der Sprengkraft ab, viel entscheidender hierfür ist aber die Eindringtiefe: Atomwaffenversuche haben gezeigt, dass es ab einer Tiefe von 5 Metern zu einer erheblichen Aufwirbelung von Staub kommt. Durch die Entwicklung neuer nuklearer Bunkerknackerbomben - selbst wenn es sich um Mininukes handelt - kann also das Problem des Fallouts nicht gelöst werden. Sollte die US-Regierung daher an ihrer Counter-Proliferation-Politik festhalten, bleibt ihr nur die Entwicklung neuer konventioneller Bunkerknacker, wie es jüngst der Kongress gefordert hat.

 

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Gerhard Piper arbeitet beim Berlin Institute for Transatlantic Security (BITS).