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Die mündliche Verhandlung in Den Haag
Atomwaffen vor dem Gerichtshof
vonDer Internationale Gerichtshof in Den Haag hörte Anfang November die Erklärungen diverser Staaten, zu der Frage, ob der Einsatz von Atomwaffen oder seine Androhung völkerrechtswidrig seien. Diese Frage ist durch die Anregung einer Koalition von Friedensorganisationen mit dem Namen "Projekt Weltgerichtshof" vor den Gerichtshof gebracht worden. Das Projekt läuft seit drei Jahren und gewann die Unterstützung der blockfreien Länder sowie aller Staaten des Pazifiks.
Zwei Fragen haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Vereinten Nationen (UN) dem Gerichtshof zur Klärung angetragen. Die WHO fragt, ob der Einsatz von Atomwaffen "im Hinblick der Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit" völkerrechtswidrig sei. Das ergänzt die UN-Frage, die auch die Androhung des Atomwaffeneinsatzes rechtlich geprüft haben möchte.
Der Gerichtshof behandelt die zwei Fragen zusammen. Während 44 Staaten schriftliche Stellungnahmen beim Gerichtshof einreichten, haben sich Friedensaktivisten kräftig engagiert. Die japanische Regierung mußte unter dem Druck des 18-Millionen starken Vereins der Konsumenten seine Stellungnahme in letzter Minute ändern. Japan wollte den Einsatz von Atomwaffen unter unvorhersehbaren Bedingungen für legal erklären. Bürger erzwangen aber, daß sich für ihre Illegalität ausgesprochen wurde.
Die mündliche Verhandlung liefen vom 30. Oktober bis zum 15. November 1995. 25 Staaten wollten ursprünglich aussagen. In letzter Minute aber sprangen drei der blockfreien Staaten ab: Kolumbien, Guyana und Nauru. Die drei Staaten gehörten zuvor zu den stärksten Unterstützern des Projekts. Bislang wurde keine Erklärung für diesen überraschenden Rückzieher mitgeteilt. Wir können nur vermuten, daß ähnlicher Druck wie bei der Konferenz über den Atomwaffensperrvertrag im Mai dieses Jahres vorhanden war.
Die WHO sagte zuerst in Den Haag aus. Sie begründete ihre Berechtigung zur Fragestellung, indem sie die Arbeit der WHO im Bereich der Prävention eines Atomkriegs schilderte. Diese Kompetenz bestritt Deutschland sowohl in seiner schriftlichen Stellungnahme als auch am dritten Tag der mündlichen Verhandlungen. Dr. Hartmut Hillgenberg, Direktor der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, erklärte, die Fragen seien unzulässig, weil sie politisch zu beantworten seien. Eine Ächtung der Atomwaffen, so argumentierte er, würde ihre Abrüstung ver- und die Atomteststopp-Verhandlungen im kommenden Jahr behindern. Er erklärte dem IGH zudem, daß Atomwaffen erfolgreich Freiheit und Frieden erhielten.
Interessant ist die neue "Friedenskonkurrenz" zwischen Australien und Neuseeland. Bis zur Wiederaufnahme der französischen Atomtests verhielten sich beide Staaten reserviert gegenüber dem Projekt Weltgerichtshof. Australien plädierte in seiner schriftlichen Stellungnahme auf Nichtbefassung, weil eine "negative" (d.h., Atomwaffen sind legal) Aussage des Gerichtshofes, die Entwicklung des Völkerrechtes zu Atomwaffen verhindern würde. Überraschenderweise plädierte der australische Außenminister aber vor dem Gerichtshof nicht nur für die Illegalität des Einsatzes und seiner Androhung, sondern auch des Erwerbs, der Entwicklung, des Besitzes und der Tests von Atomwaffen. Er berichtete, daß die australische Regierung eine internationale Gruppe von namhaften Fachleuten mit Vorstellungsvermögen zusammenbringen wird, um Vorschläge für Wege zu einer atomwaffenfreien Welt zusammenzutragen. Trotzdem blieb Australien bei seinem Appell auf Nichtbefassung. Neuseeland spielte seinen Trumpf eine Woche später aus, eine Aussage ohne Wenn und Aber: Atomwaffen sind völkerrechtswidrig und müssen vom Gerichtshof geächtet werden. Der Justizminister schloss mit den Worten: "Ein Urteil der Illegalität würde ein mächtige Schritt in Richtung Abschaffung der Atomwaffen sein".
Der Vertreter Ägyptens zitierte ein Kisuaheli-Sprichwort: "Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras". Er bat den Gerichtshof, das Gras vor den Elefanten zu schützen. Zudem verglich er die Versuche der Atomwaffenstaaten, den IGH von einem Urteil abzuhalten, mit dem Bemühen Südafrikas, die Apartheid in Den Haag nicht zum Thema werden zu lassen.
Die japanische Regierung präsentierte als Fachzeugen die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki. Dies war auch dem enormen Druck japanischer Bürgerinitiativen geschuldet. Im Seminar zum Projekt Weltgerichtshof wurde am Samstag, den 4. November berichtet, daß die zwei Bürgermeister von der Regierung klare Anweisungen erhalten hatten, das Wort "Illegalität" nicht zu erwähnen. Diese Anweisung wurde nicht befolgt und die japanische Regierung distanzierte sich von den Ausführungen der Bürgermeister. Die Richter waren sichtbar bewegt von ihren Schilderungen, die die Auswirkungen der Atombombenabwürfe auf die Bevölkerung der zwei Städte beschrieben.
Die Marshall Inseln entsandten ein Atomwaffenopfer. Lijon Eknilang berichtete über die Auswirkung der amerikanische Atomtests auf dem Bikini-Atoll: "Ich hatte sieben Fehl- und Stillgeburten. Insgesamt gibt es auf der Insel acht Frauen, die Säuglinge geboren haben, die wie Geleeklümpchen aussahen. Manchmal tragen wir so etwas acht, neun Monaten aus. Sie haben keine Beine, keine Arme, keinen Kopf, nichts. Andere Kinder wurden geboren, die diese Welt und ihre Eltern niemals erkennen werden. Sie liegen nur mit krummen Armen und Beinen da und werden nie sprechen."
Von 23 Staaten sprachen sich 14 für die Illegalität von Atomwaffen aus. Australien und Japan beobachteten das Spiel von der Seitenlinie. Frankreich, USA, Großbritannien und Russland lehnten alle Einmischung in dieser Frage ab. Die UN solle die Finger von Abrüstungsfragen lassen, so Frankreichs Juristen, das sei Aufgabe des Sicherheitsrates. Deutschland und Italien spielten die Speichellecker der Atomwaffenmächte und China hielt sich ganz aus dem Prozess heraus.
Der Gerichtshof teilt sein Urteil entweder Ende dieses Jahres oder Anfang 1996 mit. Auch wenn er sich nicht für die Illegalität von Atomwaffen entscheidet, können wir aufgrund der Aussage eine Ächtung fordern. Es geht hier vor allem um eine Klärung der jetzigen Situation: ist der Einsatz von Atomwaffen völkerrechtswidrig. Wenn nicht, wäre die Frage: warum?