Auf dem Weg zu einer Republik ohne Armee - Die allgemeine Wehrpflicht abschaffen!

von Peter Wattler

Durch die selbst unter militärpolitischen Gesichtspunkten zumindest zum jetzigen Zeitpunkt völlig unsinnige Verlängerung der Wehrpflicht auf 18 Monate und der damit verbundenen Verlängerung des Zivildienstes auf 2 Jahre hat eine erneute Diskussion um die Wehrpflicht begonnen.

Allerdings leider keine über die Wehrpflicht an sich, sondern vielmehr eine recht immanent geführte Diskussion über deren unter militärischen Gesichtspunkten notwendige Dauer. Die Forderung nach Reduzierung der Wehrpflichtlänge etwa auf 12 Monate, wie sie auch von einigen Friedensorganisationen erhoben wird, gründet sich auf eine Kritik Wehrdienstverlängerung als gegenwärtigen Abrüstungschancen diametral entgegengesetztes Signal. Sicher ist diese Kritik inhaltlich richtig. Ebenso richtig ist es, den Zwang als unerträglich zu bezeichnen; daß sich Zivildienstleistende nunmehr zwei Jahre lang mit einer gesetzlich als "Ersatz" bezeichneten Tätigkeit von den eigenen Belangen abhalten lassen müssen. Dennoch muß es erstaunen, weshalb auch weite Kreise der Friedensbewegung in einer letztlich immanenten Argumentation verfangen bleiben und die Grundlage des staatlichen Anspruchs, Männer zwangsweise zum Erlernen des Kriegshandwerks heranzuziehen, also die allgemeine Wehrpflicht - nach Art. 12 GG übrigens eine Kann-Bestimmung - von Kritik verschont bleibt.
Die Enquete-Kommission "Jugendprotest im demokratischen Staat" führt in ihrem Bericht 1983 im Anschluß an den Hinweis auf die militärische Notwendigkeit der Wehrpflicht aus: Sie "verklammert ( ... ) Bundeswehr und Gesellschaft und wirkt dabei einer Abkapselung und Eigendynamik der Streitkräfte entgegen" (Enquete-Kommission 1983, S. 33). Diese Integrationsfunktion wird als wechselseitig wirksam beschrieben: Die Streitkräfte würden in das Normengeflecht einer demokratischen Gesellschaft eingebunden, die Wehrpflicht sichere neben der politischen auch den geistigen und technischen Anschluß an die gesamtgesellschaftliche Entwicklung und wirke deshalb der Verselbständigungsgefahr des militärischen Apparates entgegen. Das "Primat der Politik" werde auf diese Weise gesichert. Auf der anderen Seite gewährleiste die Wehrpflicht auch die Einbindung der Bevölkerung in das Normensystem des westlichen Bündnisses und dessen Sicherheitspolitik. Die Wehrpflicht hat also - und das wird in bemerkenswerter Offenheit festgehalten - loyalitätserhaltende Funktionen des männlichen Bürgers gegenüber seinem Staat (vgl. z. B. Wehrstrukturkommission 1972/73, S. 101) und verhindere die Ab- oder Auflehnung der Bevölkerung gegenüber der militärischen Sicherheitspolitik. Dem Gegner werde mit der Wehrpflicht die Verteidigungswilligkeit der Bevölkerung demonstriert und wirke daher als Teil der Abschreckung. Darüber hinaus gewönnen Wehrpflichtige durch ihren Wehrdienst demokratisches Staatsbewußtsein.
Man könnte es mit diesen Zitaten genug sein lassen, sie allein geben wesentliche Argumente für einen Kampf gegen die allgemeine Wehrpflicht an die Hand.

Bundeswehr ist keine Wehrpftichtarmee
Doch angesichts der Tatsache, daß auch im progressiven politischen Lager die Wehrpflicht als geeignetes Instrument angesehen wird, die Entstehung einer Armee als "Staat im Staate" zu verhindern, soll dieser Argumentationsstrang hier näher auf seine Richtigkeit hin untersucht werden:
Dazu ist vorweg festzustellen: Tatsächlich haben wir in der BRD gar keine Wehrpflichtarmee. Diese hätte nämlich nach der Theorie nur wenige professionelle "Kader " mit Lehrfunktionen. Tatsächlich sind aber 50 % der 495.000 "Mann" starken Bundeswehr Berufs- und Zeitsoldaten; sie haben sämtliche Führungspositionen schon ab Unteroffiziersebene inne, die Technisierung ist soweit fortgeschritten, daß zur Bedienung komplizierter Waffensysteme ebenfalls fast ausschließlich Berufs- und Zeitsoldaten herangezogen werden. Wehrpflichtige braucht die Armee hingegen lediglich als "Fußvolk", als "billiges" Kanonenfutter im wahrsten Sinne. Damit erweist sich die Funktion der Wehrpflichtigen als Mittel der Demokratisierung der Armee als (politisch gepflegter) Mythos.

Warum sie die Wehrpflicht brauchen
Die Beibehaltung der Wehrpflicht ist für die Herrschenden tatsächlich aus anderen Gründen opportun:
Für die Bundeswehr gilt ebenso wie für viele andere moderne Armeen westlicher Industriestaaten, daß sie heute vor allem ideologische und symbolische Funktionen zu erfüllen hat: Sie repräsentiert nationale Identität und ist Symbol der Einbindung in .das "richtige", sprich wes¬lich-kapitalistische Bündnis, was, in der Umkehrung die Pflege und den Erhalt eines äußeren Feindbildes im Dienste eines ganz bestimmten "nationalen Konsenses" bedeutet. Wesentliches Moment der gesellschaftlichen Vermittlung und Verankerung dieser Ideologiefunktion des Militärs ist die Wehrpflicht, denn sie bindet einen Großteil der Heranwachsenden (Schule der Nation).

  • Die Ausbildung der Wehrpflichtigen ist auf den Erhalt eines militärstrategisch längst überholten Kriegsbildes angelegt. Gerade die angesichts der realen waffentechnischen Entwicklung "niedlich" wirkenden "Mann gegen Mann"-Szenarien in mancherlei Ausprägung tragen aber dazu bei, militärische Konflikt"Lösungen" als überhaupt noch denkbar zu erhalten.
  • Die Bundeswehr ist von ihrer Funktion in der NATO her gar nicht anders denn als Wehrpflichtarmee vorstellbar. Für den für Politiker und Militärs im Rahmen der neuen Kriegsführungsstrategien wie der denkbar gewordenen Fall direkter militärischer Optionen kommen ihr Aufgaben zu, die eine hohe Personaldecke an grundausgebildeten Soldaten erfordern. Eine Berufsarmee in. entsprechender Größe ist schon aus ökonomischen Gründen nicht denkbar.

Gefahr der Berufsarmee
Halten wir also fest, daß die Bundeswehr von ihrer Struktur her gar keine Wehrpflicht-Armee, sondern eine hoch-professionalisierte Berufsarmee unter Einbezug von Wehrpflichtigen in ausnahmslos einflußlosen Positionen ist, deren Einplanung zwar auch militärische, aktuell aber vor allem politisch ideologische Gründe hat. Angesichts dieser Tatsache wirkt es schon etwas seltsam, wenn selbst seit Jahren mit der Thematik befaßte Leute immer wieder die "Gefahr einer Berufsarmee" beschwören.
Sie unterschätzen nicht nur die politische Stabilisierungsfunktion des Sozialisationsfaktors Militär, sondern b-dienen sich auch solcher Argumente, die in anderen Kontexten von niemandem ernst genommen würden: So plädiert niemand für eine "Allgemeine Polizeidienstpflicht", obwohl doch die innenpolitische Funktion gerade der Polizei als Aufstandsbekämpfungsinstrument weit realer ist und sie über eine für diese Zwecke ge¬eignete Waffen-Ausrüstung verfügt.

Abschaffung der Wehrpflicht
Das politische Ziel, die Wehrpflicht abzuschaffen, wäre also ein erster Schritt zur Befreiung der BRD von ihrer eigenen Armee. Das mag im Moment vielleicht noch vielen utopisch erscheinen, was aber kein Grund ist, es nicht zunächst auf eine gemeinsame Anstrengung als Probe aufs Exempel ankommen zu lassen. Ganz sicher werden wir die Wehrpflicht nicht innerhalb einer Legislaturperiode abgeschafft haben. Die Politisierung dieser Frage ist aber auch ein Mittel, gesellschaftlichen Dissens über militärische Landesverteidigung überhaupt herzustellen.

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Peter Wattler ist Mitglieder der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen - Graswurzelrevolution Er ist erreichbar über Graswurzelwerkstatt, Scharnhorststr. 6, 5000 Köln 60