Aufruf zum gerechten Krieg - Bemerkungen ketzerischer Pazifisten

von Klaus VackWolf Dieter Narr
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Am 14. März ist zum wiederholten Male in der taz ein "Aufruf an die Re­gierungen Europas und die UN" erschienen. Dieser Aufruf hat Gewicht. Er ist von Kennern und Kündern des Worts unterzeichnet worden. Uns Nahestehenden darunter. Die Aufrufenden wissen, was sie sagen. Ihre Worte tragen Waffen. Sie nehmen den Krieg mit dem Mittel des Worts vorweg. Sie rechtfertigen, ja sie heischen tödliche Intervention durch Luftangriffe, "um die Angriffsfähigkeit im früheren Jugoslawien zu beseitigen."

Ohnmächtige Verzweiflung mag resig­native Reaktionen verstehen lassen. Auch wir sind nicht frei von diesem Ge­fühl. Wenn aber diese ohnmächtige Verzweiflung nach mehr militärischer Macht ruft, um dem mörderischen Ge­schehen ein für allemal Einhalt zu ge­bieten, wird sie zur Todesfalle. Also dreht sich die Gewaltspirale weiter und weiter.

Die geradezu sisyphushafte Arbeit des Friedens dagegen ist schwieriger. Sie verlangt, der Situation und dem Frie­densziel einzig angemessene Mittel zu verwenden. Auch wenn sie nicht sofort wirken. Die Arbeit des Friedens erlaubt nicht, sich moralisch zu entlassen, in­dem auf ein angeblich eindeutig und so­fort wirksames kriegerisches Mittel ge­setzt wird, das im Namen des Friedens Menschen und Menschenstätten ver­nichtet. Das ist Friedenspolitik pervers, weil Kriegspolitik, die sich ein Frie­densmäntelchen umhängt. Sie wird seit altersher betrieben. Die Politik als Fort­setzung des Krieges und Krieg als Fort­setzung der Politik.

Darum melden wir uns gegen die Kriegswortführer in besagter taz-An­zeige zu Wort. Denn sie missbrauchen das friedliche Wort als Blankoscheck krie­gerischer Intervention. Sie missbrauchen ihre moralische Reputation, indem sie ihren vorgegaukelten Friedensan­spruch mit radikal unangemessenen Mitteln verbinden. Zu allererst fällt die geradezu totalitäre Herschaftssprache dieses Auf­rufs in den Blick. Im Aufruf herrscht die Sprache des "Muß", des "Sofort", der "Gesamt"-Lösung usw.

"Im gesamten früheren Jugoslawien", "im gesamten Krisengebiet" "müssen" "alle Angriffsmittel" zerstört werden. "Die Beseitigung der Angriffsfähigkeit" aller "Aggressoren" im "ganzen frühe­ren Jugoslawien". Als wirkten die schlimmen Forderungen nach (ethisch) puristischen "Lösungen" selbst bei den­jenigen nach, die sie nun 'restlos' und `umfassend' zu bekämpfen ausgeben.

Hier werden keine Ziele mehr genannt, über die vielleicht noch vernünftig auf­grund einer radikal nüchternen und vor­behaltlosen Situationseinschätzung mit heißem Atem diskutiert werden könnte. Hier findet strikt entgegen dem huma­nitären Anspruch eine Ästhetisierung des Politischen statt. Eine solche zeich­net sich allemal dadurch aus, daß `saubere' `Gesamtlösungen' eindeutiger Art vorgegeben werden, die immer ein Element dessen enthalten, was Büchner zutreffend dem großen Moralisten Ro­bespierre in den Mund gelegt hat: "Die Tugend muß durch den Schrecken herr­schen."

Der moralische Anspruch, das ist leider der nicht abzuweisende zweite Ein­druck, erschöpft sich in der Folge einer Stellvertretermoral. Zuerst: Nicht das von eben den angerufenen Staaten nicht zureichend durchgesetzte Waffenem­bargo wird beklagt. Vielmehr wird das löcherige Waffenembargo, das Tonnen und Abertonnen von Waffen nach Bos­nien zu allen Streitparteien hat gelangen lassen, zum Vorwand genommen, um unversehens mit dem besitzanzeigenden Fürwort der Mehrzahl zu behaupten, "wir" hätten "die Verantwortung für den notwendigen Schutz aller bedrohten Menschen Bosniens übernommen".

Diese "Verantwortung" indes, über de­ren spezifische Folgen fürs eigene Tun gesprochen werden müsste, wird im Sinne direkten kriegerischen `Schutzes' interpretiert. Vor allem: In einem zwei­ten Stellvertretersprung wird sie auf "die Regierungen" übertragen, "unseren Ver­pflichtungen sofort nachzukommen". Die angerufenen Regierungen sollen diese weitergeleitete Verpflichtung ih­rerseits ihren Militärs und diese ihrers­seits den betreffenden Einsatzkomman­dos weiterleiten, damit dann diese (End-) Täter und deren unvermeidliche Opfer "im gesamten Kriegsgebiet" dem Ver­antwortungsanspruch der Aufrufenden gerecht werden können. Kann unbe­dingte, kriegerisch zwingende, pau­schale Ziele sofort als erreichbare unter­stellenden Moral noch stellvertreteri­scher anderen und vor allem Menschen "im gesamten früheren Jugoslawien" ge­radezu tödlich aufgehalst werden?

Die Situationsverfehlung, der sich die Aufrufenden schuldig machen, das ist der dritte Einwand, kann hier nur ange­merkt werden. Die Lage ist schrecklich. Und schrecklicher ist es noch, daß ein klares und eindeutiges Ende des Schrek­kens von niemanden verantwortlich ver­sprochen werden kann. Am schlimmsten aber ist es in einer solchen vertrackten Situation, wenn furchtbare Vereinfacher kriegerische Intervention aus der Luft zur trefflichen Vorraussetzung liberal­demokratischer Verfassung stilisieren. Moral aber, die sich auf die Situation nicht einlässt, auch und gerade dort, wo dieselbe tragische Züge besitzt, ver­kommt zur Attitüde. Zur Als-Ob-Moral.

Nein, damit ist den "Menschen in Bos­nien", wie sie pauschal benannt werden, nicht zu helfen. Militärische Logistik und Kampfflugzeuge sind in den Län­dern des ehem. Jugoslawien weniger denn je ein Einsatz für dringend nötige Politik. Dieselbe ist von den angerufe­nen "Regierungen Europas" und den meisten Staaten der UN gröblich und fahrlässig versäumt worden. Nicht zu­letzt von der Regierungen und den füh­renden Parteien der BRD. Von einer falschen Anerkennungspolitik, unzurei­chendem Embargo, mangelhafter Flüchtlings- und humanitärer Hilfe bis zu den geradezu systematischen Lücken diplomatischer Einwirkungen.

Jedoch: Nicht nur die Regierungen müs­sen angerufen und kritisch unter Druck ge­setzt werden. Eigene Hilfe ist möglich und nötiger denn je. Hilfe für die zahl­reichen Friedensgruppen quer durch alle Länder Ex-Jugoslawiens, die der herr­schaftsinteressierten Kriegshetze aller Parteien entgegenarbeiten; tätige Hilfe oder auch monetäre für Flüchtlinge in vielen Lagern und zerschlagenen Orten; tätige oder monetäre Hilfe für diejeni­gen, die leben könnten, würden sie nur das nötige Medikament erhalten, an dem es aktuell mangelt.

Hier und im Hinblick auf friedliche Lö­sungen sind alle gefordert, nicht zuletzt Intellektuelle und Schriftsteller. Wir hofften, die Aufrufenden fänden zurück zu Politik, Moral und humaner Phanta­sie, die allein dem Frieden auch und zu­erst in den Ländern Ex-Jugoslawiens und deren Bewohnern zuträglich sind.

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