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Aufruf zum gerechten Krieg - Bemerkungen ketzerischer Pazifisten
von
Am 14. März ist zum wiederholten Male in der taz ein "Aufruf an die Regierungen Europas und die UN" erschienen. Dieser Aufruf hat Gewicht. Er ist von Kennern und Kündern des Worts unterzeichnet worden. Uns Nahestehenden darunter. Die Aufrufenden wissen, was sie sagen. Ihre Worte tragen Waffen. Sie nehmen den Krieg mit dem Mittel des Worts vorweg. Sie rechtfertigen, ja sie heischen tödliche Intervention durch Luftangriffe, "um die Angriffsfähigkeit im früheren Jugoslawien zu beseitigen."
Ohnmächtige Verzweiflung mag resignative Reaktionen verstehen lassen. Auch wir sind nicht frei von diesem Gefühl. Wenn aber diese ohnmächtige Verzweiflung nach mehr militärischer Macht ruft, um dem mörderischen Geschehen ein für allemal Einhalt zu gebieten, wird sie zur Todesfalle. Also dreht sich die Gewaltspirale weiter und weiter.
Die geradezu sisyphushafte Arbeit des Friedens dagegen ist schwieriger. Sie verlangt, der Situation und dem Friedensziel einzig angemessene Mittel zu verwenden. Auch wenn sie nicht sofort wirken. Die Arbeit des Friedens erlaubt nicht, sich moralisch zu entlassen, indem auf ein angeblich eindeutig und sofort wirksames kriegerisches Mittel gesetzt wird, das im Namen des Friedens Menschen und Menschenstätten vernichtet. Das ist Friedenspolitik pervers, weil Kriegspolitik, die sich ein Friedensmäntelchen umhängt. Sie wird seit altersher betrieben. Die Politik als Fortsetzung des Krieges und Krieg als Fortsetzung der Politik.
Darum melden wir uns gegen die Kriegswortführer in besagter taz-Anzeige zu Wort. Denn sie missbrauchen das friedliche Wort als Blankoscheck kriegerischer Intervention. Sie missbrauchen ihre moralische Reputation, indem sie ihren vorgegaukelten Friedensanspruch mit radikal unangemessenen Mitteln verbinden. Zu allererst fällt die geradezu totalitäre Herschaftssprache dieses Aufrufs in den Blick. Im Aufruf herrscht die Sprache des "Muß", des "Sofort", der "Gesamt"-Lösung usw.
"Im gesamten früheren Jugoslawien", "im gesamten Krisengebiet" "müssen" "alle Angriffsmittel" zerstört werden. "Die Beseitigung der Angriffsfähigkeit" aller "Aggressoren" im "ganzen früheren Jugoslawien". Als wirkten die schlimmen Forderungen nach (ethisch) puristischen "Lösungen" selbst bei denjenigen nach, die sie nun 'restlos' und `umfassend' zu bekämpfen ausgeben.
Hier werden keine Ziele mehr genannt, über die vielleicht noch vernünftig aufgrund einer radikal nüchternen und vorbehaltlosen Situationseinschätzung mit heißem Atem diskutiert werden könnte. Hier findet strikt entgegen dem humanitären Anspruch eine Ästhetisierung des Politischen statt. Eine solche zeichnet sich allemal dadurch aus, daß `saubere' `Gesamtlösungen' eindeutiger Art vorgegeben werden, die immer ein Element dessen enthalten, was Büchner zutreffend dem großen Moralisten Robespierre in den Mund gelegt hat: "Die Tugend muß durch den Schrecken herrschen."
Der moralische Anspruch, das ist leider der nicht abzuweisende zweite Eindruck, erschöpft sich in der Folge einer Stellvertretermoral. Zuerst: Nicht das von eben den angerufenen Staaten nicht zureichend durchgesetzte Waffenembargo wird beklagt. Vielmehr wird das löcherige Waffenembargo, das Tonnen und Abertonnen von Waffen nach Bosnien zu allen Streitparteien hat gelangen lassen, zum Vorwand genommen, um unversehens mit dem besitzanzeigenden Fürwort der Mehrzahl zu behaupten, "wir" hätten "die Verantwortung für den notwendigen Schutz aller bedrohten Menschen Bosniens übernommen".
Diese "Verantwortung" indes, über deren spezifische Folgen fürs eigene Tun gesprochen werden müsste, wird im Sinne direkten kriegerischen `Schutzes' interpretiert. Vor allem: In einem zweiten Stellvertretersprung wird sie auf "die Regierungen" übertragen, "unseren Verpflichtungen sofort nachzukommen". Die angerufenen Regierungen sollen diese weitergeleitete Verpflichtung ihrerseits ihren Militärs und diese ihrersseits den betreffenden Einsatzkommandos weiterleiten, damit dann diese (End-) Täter und deren unvermeidliche Opfer "im gesamten Kriegsgebiet" dem Verantwortungsanspruch der Aufrufenden gerecht werden können. Kann unbedingte, kriegerisch zwingende, pauschale Ziele sofort als erreichbare unterstellenden Moral noch stellvertreterischer anderen und vor allem Menschen "im gesamten früheren Jugoslawien" geradezu tödlich aufgehalst werden?
Die Situationsverfehlung, der sich die Aufrufenden schuldig machen, das ist der dritte Einwand, kann hier nur angemerkt werden. Die Lage ist schrecklich. Und schrecklicher ist es noch, daß ein klares und eindeutiges Ende des Schrekkens von niemanden verantwortlich versprochen werden kann. Am schlimmsten aber ist es in einer solchen vertrackten Situation, wenn furchtbare Vereinfacher kriegerische Intervention aus der Luft zur trefflichen Vorraussetzung liberaldemokratischer Verfassung stilisieren. Moral aber, die sich auf die Situation nicht einlässt, auch und gerade dort, wo dieselbe tragische Züge besitzt, verkommt zur Attitüde. Zur Als-Ob-Moral.
Nein, damit ist den "Menschen in Bosnien", wie sie pauschal benannt werden, nicht zu helfen. Militärische Logistik und Kampfflugzeuge sind in den Ländern des ehem. Jugoslawien weniger denn je ein Einsatz für dringend nötige Politik. Dieselbe ist von den angerufenen "Regierungen Europas" und den meisten Staaten der UN gröblich und fahrlässig versäumt worden. Nicht zuletzt von der Regierungen und den führenden Parteien der BRD. Von einer falschen Anerkennungspolitik, unzureichendem Embargo, mangelhafter Flüchtlings- und humanitärer Hilfe bis zu den geradezu systematischen Lücken diplomatischer Einwirkungen.
Jedoch: Nicht nur die Regierungen müssen angerufen und kritisch unter Druck gesetzt werden. Eigene Hilfe ist möglich und nötiger denn je. Hilfe für die zahlreichen Friedensgruppen quer durch alle Länder Ex-Jugoslawiens, die der herrschaftsinteressierten Kriegshetze aller Parteien entgegenarbeiten; tätige Hilfe oder auch monetäre für Flüchtlinge in vielen Lagern und zerschlagenen Orten; tätige oder monetäre Hilfe für diejenigen, die leben könnten, würden sie nur das nötige Medikament erhalten, an dem es aktuell mangelt.
Hier und im Hinblick auf friedliche Lösungen sind alle gefordert, nicht zuletzt Intellektuelle und Schriftsteller. Wir hofften, die Aufrufenden fänden zurück zu Politik, Moral und humaner Phantasie, die allein dem Frieden auch und zuerst in den Ländern Ex-Jugoslawiens und deren Bewohnern zuträglich sind.