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UnterzeichnerInnen des Soldatenauf¬rufes zur Verweigerung werden weiter¬hin strafrechtlich verfolgt
Aufruf zur Desertion
vonDie Staatsanwaltschaft Berlin zeigt sich unerbittlich: Seit Juli 1999 verfolgt sie rund 60 Personen, die zu Beginn des Krieges der NATO gegen Jugoslawien die beteiligten Soldaten in einem Flugblatt zur Verweigerung aufgerufen hatten (vgl. Friedensforum 6/99). Die ErstunterzeichnerInnen - die meisten von ihnen stammen aus dem Umfeld des Komitees für Grundrechte und Demokratie und anderen Gruppen der Friedensbewegung - hatten in dem Soldatenaufruf ausführlich dargelegt, inwiefern es sich um einen völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieg handele, der zudem ein ungeeignetes und unverhältnismäßiges Mittel sei, um die angeblich humantiären Ziele erreichen zu können. Die Soldaten sollten deshalb ihr Gewissen überprüfen und die Konsequenzen ziehen: Diese lauten für die UnterzeichnerInnen: "Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen. Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle! Entfernen Sie sich von der Truppe! Lehnen Sie sich auf gegen diesen Krieg!"
Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Aufruf eine strafrechtlich zu verfolgende Aufforderung zu Straftaten (§ 111 Strafgesetzbuch - StGB) in Verbindung mit § 16 (Fahnenflucht) und § 20 (Gehorsamsverweigerung) Wehrstrafgesetz. Die Betroffenen werden zum Teil dreifach von der Staatsanwaltschaft angeklagt, da diese von dem Aufruf in drei Varianten Kenntnis erhalten hatte: Verteilen des Aufrufs am Verteidigungsministerium am 1.4.99; Aufrufveröffentlichung in der "tageszeitung" vom 21.4.99; Post-Versand des Aufrufs an Regierungsstellen und Bundeswehreinrichtungen im Mai 1999.
Zwischen November 1999 und März 2000 hatten sich nun die ersten 26 Personen vor dem Amtsgericht Tiergarten zu verantworten. Im Ergebnis gab es bislang (Stand Mitte März 2000) 22 Freisprüche und 4 Verurteilungen zu Geldstrafen (bis zu 4.000 DM). Gegen alle Verurteilungen haben die Betroffenen Berufung eingelegt. Allerdings geht auch die Staatsanwaltschaft bei allen Freisprüchen in Berufung, so dass alle Prozesse demnächst in der 2. Instanz verhandelt werden.
Obwohl die Staatsanwaltschaft und die Richterinnen und Richter in allen Prozessen tunlichst versuchen, sich vom Terrain des Völker- und Verfassungsrechtes fernzuhalten, geht es im Kern natürlich um genau diese Fragen. Die herrschende Meinung im Rechtsstreit steht dabei eindeutig auf Seiten der PazifistInnen. Die NATO - und damit auch die Bundesrepublik Deutschland - haben mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstoßen und den NATO-Vertrag gebrochen. Die Bundesregierung hat obendrein die Verfassung gebrochen, der gemäß Völkerrecht Bestandteil des Bundesrechtes ist (Art 25 GG) und die bereits die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe stellt (Art. 26 GG). Sie hat den 2+4-Einigungsvertrag gebrochen, in dem es in Art. 2 heißt, "dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen".
Aber nicht nur das ius ad bellum (das Recht zum Krieg) ist - wie eben kurz zusammenfassend dargestellt wurde - nicht eingehalten worden, sondern auch das ius in bello - das Recht im Krieg, also die Regeln des Kriegsvölkerrechtes, insbesondere die Genfer Konvention und ihre Zusatzprotokolle - ist massiv verletzt worden. Wer einen Luftkrieg aus sicherer Distanz führt, kann selbstverständlich oft genug nicht mehr zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Und so wurden dann Flüchtlingstrecks, Wohngebiete, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen getroffen. Obendrein hat die NATO in der zweiten Kriegsphase bewusst auch zivile Ziele und Ziele der wirtschaftlichen Infrastruktur angegriffen: Fabriken, Produktionsanlagen, Donau-Brücken; Eisenbahnbrücken (samt Personenverkehrszug) usw. Des weiteren hat die NATO verbotene Waffen eingesetzt, u.a. die Cluster-/Splitterbomben und Bomben mit abgereichertem Uran.
Bei einer so eindeutigen Völkerrechts- und Verfassungslage fragt man sich, warum nicht Scharping, Fischer und Schröder vor dem Berliner Amtsgericht stehen, sondern die PazifistInnen, die auf das Verbrechen dieses Krieges hinweisen und dem sinnlosen Morden Einhalt gebieten wollten. Aber auf Anzeigen hatte der Generalbundesanwalt abweisend reagiert. Das Originellste dabei war die Begründung für die Nichtermittlung: Statt rechtlich zu argumentieren, zitierte der Generalbundesanwalt aus der Kriegserklärung von Gerhard Schröder vom 24. März 1999, in der dieser erklärt hatte, dass die NATO gar keinen Krieg führe und nur das Gute wolle.
Das Recht wird so abgelöst von der (vorgeblichen) Motivationslage der Regierenden.
Nun haben es die KriegsgegnerInnen mit ihrem Soldaten-Aufruf geschafft, dass die Rechtsfragen um diesen Krieg und die politische Auseinandersetzung um die wirklichen Ziele und Hintergründe dieses Krieges wieder auf dem Tisch liegen. In ihren eindrücklichen Verteidigungs-Plädoyers machen sie immer wieder deutlich, dass in Berlin die Falschen auf der Anklagebank sitzen. Der jetzige Trend zu freisprechenden Urteilen gibt ihnen dabei Recht. Allerdings sind die meisten Freisprüche nur damit begründet, dass das Flugblatt vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) gedeckt sei. Zu einer eindeutigen Aussage, dass dieser Krieg der NATO gegen Jugoslawien verfassungs- und völkerrechtswidrig war, konnte sich bislang erst ein einziger mutiger Richter durchringen. Immerhin sagten einige weitere RichterInnen, dass sehr vieles dafür spreche bzw. dass man nicht ausschließen könne, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig war.
Die Staatsanwaltschaft weigert sich permanent, auf das Völkerrecht einzugehen. Sie weigert sich auch darzulegen, inwiefern sie diesen Krieg für völkerrechtskonform halte. Gebetsmühlenartig wiederholt sie ihren Refrain: "Hierauf kommt es nicht an." Die Staatsanwaltschaft fordert preußischen Kadavergehorsam ein. Es habe sich auch in diesem Krieg um verbindliche Befehle gehandelt, die die Soldaten zu befolgen hatten. Eine Desertion sei für Soldaten in jedem Fall und ausnahmslos verboten. Die Staatsanwaltschaft - und mit ihr die verurteilenden RichterInnen - bewegen sich im verengten Gedankengehäuse zwischen Strafgesetzbuch und Wehrstrafgesetz. Dabei geraten das über- und vor-geordnete Verfassungs- und Völkerrecht völlig aus dem Blick. Wer so denkt, hat aus der Geschichte nichts, aber auch gar nichts gelernt. Wenn die Regierung sich über Verfassungs- und Völkerrecht hinwegsetzt und Soldaten auffordert, in fremden Ländern Mord und Totschlag zu begehen, dann ist es Sache der Soldaten, sich zu weigern, zu widerstehen und u.U. auch zu desertieren. Immerhin haben mindestens drei Tornadopiloten den Kriegsdienst in diesem Zusammenhang nach Art. 4 Abs. 3 GG - auf den das Soldatenflugblatt als nächstliegendste Möglichkeit der Verweigerung hinwies - verweigert.
Welchen Sinn macht es, dass die Regierenden der eigenen Geschichte so weit hinterherhinken? Da werden Soldaten feierlich auf den 20. Juli vereidigt und nahezu gleichzeitig in einen völkerrechtswidrigen mörderischen Luftkrieg geschickt. Da werden die Deserteure des 2. Weltkrieges mit über 50 Jahren Verspätung feierlich rehabilitiert, und hinterher wird behauptet, ein Soldat dürfe nie und nimmer desertieren. Oder, wie es ein verurteilender Richter in seiner Urteilsbegründung ausdrückte: "Wenn der Soldat einmal dabei ist und sich für die Bundeswehr entschieden hat, dann braucht er sich im Nachhinein nicht noch einmal Gedanken über das Große und Ganze zu machen." Staatsbürger in Uniform - das scheint doch ein Widerspruch in sich zu sein, wie der Begriff Uniform ja bereits deutlich macht: alles Differenzieren hat ein Ende, man (und Dank EU demnächst auch frau) ist eben uni-form.
Angesichts der neuen NATO-Strategie (Selbstmandatierung auch gegen die UN-Charta; Interessenverteidigung weltweit ...) werden Überlegungen zum Widerstand gegen künftige Kriege immer wichtiger. Die Friedensbewegung ist herausgefordert, wieder aktiver zu werden und über politische und praktische Strategien des Widerstandes nachzudenken. Aber auch die Soldaten müssen sich neu fragen, ob sie diesem System weiterhin zur Verfügung stehen wollen. Sie tragen um so mehr Verantwortung, je gesetzloser PolitikerInnen handeln. Immerhin machte auch ein Justizsenator - Ehrhart Körting aus Berlin - während des Krieges auf diese Verantwortlichkeit aufmerksam: "Völkerrechtswidriges Handeln ist auch innerstaatlich als nicht gerechtfertigt anzusehen. Was mutet die Nato, was mutet insbesondere die Bundesrepublik Deutschland ihren eingesetzten Soldaten zu? Die Weiterführung der Luftangriffe auf Eisenbahnen, Kraftwerke, Brücken in Novi Sad, der tägliche Bombentod, könnte in nicht allzu ferner Zukunft auch die Frage der individuellen Verantwortlichkeit jedes einzelnen Soldaten über seine Beteiligung am Tod unschuldiger Menschen aufwerfen. Die Luftangriffe gefährden nicht nur unschuldige Menschen in Serbien, sie gefährden auch die Handelnden."
Nächste Prozesstermine: AG Tiergarten, 12.4.00, 10.30 Uhr, Raum 456 - gegen Hanne und Klaus Vack und Dirk Vogelskamp; 12.4.00, 11.15 Uhr, Raum 371 - gegen Renate Hürtgen.
Aktuelle Prozesstermine können erfragt werden bei Elke Steven, Tel.: 0221-4062210 oder d. 0221-9726930