Ein dringender Appell

Aufruf zur Verteidigung Demokratischer Zustände in Deutschland

An alle Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, Gewerkschaften, Parteien, Verbände, Universitäten, Journalisten- und Schriftstellerverbände, Asylgruppen und Juristen, sowie an prominente und demokratische Einzelpersönlichkeiten.

Das umfassende Verbot kurdischer Organisationen und sein polizeilich-repressiver Vollzug erfüllt uns mit größter Sorge. In der neueren Rechtsgeschichte der BRD ist solche Maßnahme nach Art und Umfang ohne Beispiel. Ausgehend von 500.000 Kurdinnen und Kurden im Land und erwägend, daß mindestens ein Mitglied aus dieser Population zumeist großer Familie zu jenen 100,000 Menschen zählte, die am letzten Kurdenfestival der nun verbotenen Vereine in Frankfurt teilnahmen; ist die Feststellung angebracht, daß eine der größten Volksgruppen in Deutschland von kollektiver Kriminalisierung betroffen ist.

Daß diese Annahme der Wahrheit entspricht, ergibt sich aus den sicherheitstechnischen Bedenken der hiesigen Polizei, die in Anbracht des damit verbundenen ungeheuren Verfolgungsaufwandes solange widersprachen, bis die politische Führung den anderslautenden Befehl diktierte.

Die ganze Tragweite dieser Verfügung wird in der Öffentlichkeit noch weitgehend übersehen: Ab sofort sind 500.000 Kurden als mindestens potentiell verdächtig anzusehen. Die meisten ihrer Vereinigungen; selbst die ausdrückliche kulturell orientieren, wurden verboten, durchsucht und sind in jedem Fall in ihrer Arbeit behindert. Ein gewaltiger Überwachungsapparat für die weitere Verfolgung muß eigens geschaffen werden, mit speziellen Polizeiabteilungen und gerichtlichen Kammern, die eine Art "Lex Kurdistan" in Hunderten von peinlichen Verfahren auch gegen einzelne. Kurden zu vollstrecken haben, denen auch nur im weitesten Sinne eines Fortsetzung der Arbeit der verbotenen Vereine vorgeworfen werden kann. Schon die öffentliche Informationsarbeit über die Ereignisse in Kurdistan könnte als eine solche Folgetätigkeit ausgelegt werden.

Die soeben verfügte Schließung der Nachrichtenagentur KURD-HA, die einen publizistischen Kontrapunkt zur fragwürdigen Berichterstattung der offiziellen türkischen Agenturen setzte, ist Grund genug für eine solche Annahme.

In erschreckender Weise ist die Ausländer- und Asylgesetzgebung von der Verfügung. Herrn Kanthers betroffen, die wohl auch einen durch sicherheitspolitische Intoleranz fundierten Wahlkampf einleiten soll. War bis heute die Angabe eines geflüchteten Kurden, er habe auch nur peripher etwas mit dem kurdischen Widerstand zu tun gehabt, ein asylrelevanter Grund, der Schutz und Aufenthalt garantierte, dürfte sich dies nun ins Krasse Gegenteil verkehren:

Gerade die zutreffenden Äußerungen des Flüchtlings machen diesen unter den neuen Umständen zum Objekt hiesiger Geheimdienste. Letztlich muß gerade der in aller Eindeutigkeit politisch Verfolgte damit rechnen, seinen zur Folter bereiten Häschern ausgeliefert zu werden. Die diesbezüglich klaren Äußerungen des CDU-Innenpolitikers Gerster und die soeben erfolgte Abschiebung von Kurden durch die französische Regierung nach Ankara unterstreichen die Gefahr.

Der demokratischen Vereinigungen und die Öffentlichkeit der Bundesrepublik muß schließlich empören, daß die Schließung kurdischer Frauenzentren und das Verbot muttersprachlicher Unterrichtsvereine sowie ihrer Farben und Symbole letztlich synchrone Angleichung an die türkische Politik bedeutet, die die Präsentation kurdisch-kultureller Identitäten bei Strafe verfolgt.

Dies bedeutet eine Herausforderung aller demokratischen Stimmen in Deutschland, die bei sorgfältiger Wertung der Geschehnisse erkennen müssen, daß es ein isoliertes Verbot nur kurdischer Organisationen nicht gibt, sondern das Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Asylpraxis, wie vor allem die politische Kultur des Landes, in große Gefahr gebracht worden sind. Eine historisch-politische Zäsur ist vollzogen: Alle Momente demokratischen und multikulturellen Lebens negativ betreffend.

Das fällige Votum dagegen können die hier Angesprochenen weder verdrängen, noch verschieben, noch einigen wenigen engagierten Gruppen überlassen: schon gar nicht nur den unmittelbar betroffenen Kurden.

Diese müssen erleben; das 800 Dörfer Kurdistans mit nachweislicher deutscher Waffenhilfe verbrannt wurden. Daß jene Todeshändler, deren Giftgas Kurden vernichtete, sämtlich deutsche Gerichte ungestraft verlassen konnten - während sie als Opfer nun die Rolle krimineller Täter übernehmen sollen.

Der demokratische Anlass ist nun gegeben, den Verfolgten unseren Schutz, unsere Stimme und unseren Raum zu leihen, um argumentativ das zu tun, was ihnen jetzt verboten wurde.

Das solche Handlung realistisch ist, belegt der noble Schritt Daniel Cohn-Bendits, der die Fortsetzung der Arbeit des Frankfurter Kurdenzentrums dadurch ermögliche, daß er selbst dem Vorstand des zukünftigen Vereins.

Wir bitten Sie heute in Anbetracht dieser hochgefährlichen Präzedenzentwicklung um ähnlich entschlossene Gesten.

Daher der heutige Aufruf. Mit der Bitte um Mitteilung Ihrer Ideen und. Vorschläge. Bezogen auf Ihr Einverständnis gegenüber essentiellen Forderungen:

  • Für die Aufhebung bzw. rechtliche Überprüfung des Verbots der kurdischen Vereinigungen.
  • Für die zwischenzeitliche Bereitschaft, sei es auch nur symbolisch, den Betroffenen Raum, Schutz und Stimme zu garantieren.
  • Für die Garantie auf Fortsetzung der Tätigkeit kurdischer Journalisten und ihrer unabhängigen Nachrichtenagenturen in der Bundesrepublik.

Wir werden uns mit den zunächst nur gesammelten Ergebnissen unverzüglich wieder an Sie wenden, um darin gemeinsam die Konkretion unserer Forderungen der Regierung, der Presse und Öffentlichkeit nach verbindlicher vorheriger Absprache zu übergeben.

Jenseits aller Phrase geht es um ein MANIFEST der beharrlichen Verteidigung demokratischer Rechtspositionen und ihrer menschenrechtlichen Fundierung in Deutschland. Verbunden mit der Absicht, eine politische Lösung für Kurdistan. zu fördern, die jenseits der Waffen aller Seiten kurdische Rechte und demokratische Verhältnisse garantiert.

Wir warten auf Ihre Zustimmung. Wir bitten um Ihre Rückmeldung. medico international, Obermainanlage 7, 60314 Frankfurt/M, Tel: 069/24438-0;

 

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