Arabellion

Aufstände in Nordafrika: hausgemacht oder ferngesteuert?

von Stephen Zunes

Die Aufstände, die sich in den letzten Jahren durch die arabischen Nationen zogen, sind nicht abgeschlossen, aber stellen trotzdem eine bemerkenswerte populäre Bewegung für politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit dar. Reaktionäre Elemente und ausländische Mächte haben versucht, diese Bewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Aber die ursprünglichen Aufstände waren ausschließlich einheimischen Ursprungs und entstanden als Ergebnis des dramatischen Anwachsens von Kämpfen von ArbeiterInnen, StudentInnen, Frauen und anderen Sektoren der Zivilgesellschaft. Einige dieser Aufstände, wie der in Ägypten, waren der Höhepunkt von Jahren des Kampfes und strategischer Planung von Seiten pro-demokratischer Elemente. Andere, wie der in Syrien, waren spontaner.

In beiden Fällen überraschten die Aufstände die westlichen Nationen total. Ähnlich wie bei vergleichbaren pro-demokratischen Aufständen früherer Jahrzehnte in den Philippinen, Chile, Polen, Indonesien, Serbien und anderswo waren die westlichen Offiziellen unvorbereitet, was oft zu verwirrenden oder sogar widersprüchlichen Reaktionen führte. In der Tat ist die Geschichte der Diplomatie voll von Beispielen, wo strategische Analysten, Außenministerien und politische Führer in westlichen Ländern detaillierte Politikplanung unter Berücksichtigung aller möglichen Szenarien betreiben - ausgenommen der Möglichkeit, dass sich normale Menschen organisieren, um Wandel herbeizuführen.

Zum Beispiel hatten die USA Mühe, den 18-tägigen Aufstand in Ägypten zu verstehen und eine kohärente Reaktion zu entwickeln. Anfänglich wiederholten sie ihre Unterstützung für das Regime, bald folgte dann der Ruf nach Reformen innerhalb des Regimes. Zu Präsident Barack Obamas Ehre setzte er sich für ein Ende der Angriffe auf die ProtestiererInnen ein und kritisierte die Schließung des Internets. Angeblich drohte er auch mit einem Abschneiden der Militärhilfe und strategischen Zusammenarbeit, sofern US-Waffen bei einem Massaker der gewaltfreien DemonstrantInnen verwendet würden. Obwohl er letztendlich zu einem raschen Übergang zu Demokratie aufrief, sprach er sich nie explizit für einen Rücktritt Mubaraks aus. Seine stärksten und deutlichsten Worte in der Unterstützung des Kampfes für Demokratie kamen nur nach Mubaraks Rücktritt, wodurch der Eindruck entstand, dass sie mehr mit dem Wunsch begründet waren, nicht auf der falschen Seite zu stehen, als durch einen Wunsch, die Rolle eines Katalysators zu spielen.

Einige Mitglieder der US-Botschaft hatten sporadische Kontakte mit AktivistInnen in den früheren Jahren, und durch solche vom Congress finanzierte Stiftungen wie die National Endowment for Democracy (NED) gab es eine begrenzte finanzielle Hilfe für eine Anzahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese kleine Summe von US-,Demokratie"-Hilfe beinhaltete keine Unterstützung für Trainings in strategischer gewaltfreier Aktion oder anderen Formen der Basis-Mobilisierung, die sich als für den Kampf entscheidend herausstellten, und die Schlüsselorganisationen des Widerstandes lehnten US-Hilfe aus prinzipiellen Gründen ab. Und auf jeden Fall verblasste die Summe der US-Finanzierung für NED und verwandte Programme in Ägypten gegenüber den Milliarden der militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung, die an das Mubarak-Regime gingen, und gegenüber der engen und regelmäßigen Interaktion zwischen US-Offiziellen und führenden ägyptischen politischen und militärischen Persönlichkeiten. Und außerdem wurde der Großteil dieser begrenzten "Pro-Demokratie"-Hilfe eingestellt, kurz nachdem Obama ins Amt kam.

Auf jeden Fall kann der begrenzte Umfang finanzieller Unterstützung für Oppositionsgruppen im Nahen Osten und Nordafrika durch die USA und andere westliche Regierungen keine gewaltfreie liberale demokratische Revolution verursachen. Genauso wenig, wie die begrenzte finanzielle und materielle Unterstützung der Sowjetunion für linke Bewegungen in früheren Jahrzehnten bewaffnete sozialistische Revolutionen verursachen konnte. Wie MarxistInnen und andere, die mit Volksbewegungen vertraut sind, schon lange erkannt haben, sind Revolutionen das Ergebnis bestimmter objektiver Bedingungen. Keine Summe Geldes kann Hunderttausende von Menschen dazu zwingen, ihre Jobs, Häuser, Schulen und Familien zu verlassen, um sich unter Lebensgefahr schwerbewaffneter Polizei und Panzern entgegen zu stellen, außer sie haben ein ernsthaftes Motiv, dies zu tun.

Die erfolgreiche, in großem Rahmen praktizierte Anwendung gewaltfreier Taktiken, die Mubarak stürzte, war auch nicht das Ergebnis von Hilfe oder Trainings durch Menschen von außen. Es gab ein paar Seminare, die von ägyptischen Pro- Demokratie-Gruppen organisiert wurden, die ehemalige AktivistInnen der unbewaffneten Volksaufstände in Serbien, Südafrika, Palästina und anderen Länder und mit einigen westlichen AkademikerInnen, die das Phänomen studiert haben, zusammenbrachten. Aber diese Seminare konzentrierten sich auf allgemeine Information über die Geschichte und Strategie strategischer gewaltfreier Aktion, nicht darauf, wie man Mubarak stürzen könne. Weder die ausländischen ReferentInnen noch ihre Organisationen boten der kleinen Zahl ägyptischer Aktivistinnen, die teilnahmen, Training, Rat, Geld oder irgendetwas anderes Greifbares. Als einer der Akademiker, die bei einem dieser Seminare vortrugen, kann ich mich dafür verbürgen, dass die anwesenden ÄgypterInnen bereits sehr viel wussten und viel in Bezug auf strategisches Denken über ihren Kampf geleistet hatten. Keiner von uns AusländerInnen kann es sich als Verdienst anrechnen, was später geschah.

Erfolgreiche gewaltfreie Revolutionen brauchen, wie erfolgreiche bewaffnete Revolutionen auch, oft Jahre oder Jahrzehnte, um sich als Teil eines organischen Prozesses innerhalb des politischen Körpers eines gegebenen Landes zu entwickeln. Es gibt keine standardisierte Erfolgsformel, die eine fremde Regierung oder eine fremde Nichtregierungsorganisation zusammensetzen könnte, denn die Geschichte, Kultur und politische Linienziehungen jedes Landes sind einzigartig. Keine fremde Regierung oder NRO kann die großen Zahlen von gewöhnlichen ZivilistInnen rekrutieren oder mobilisieren, die notwendig sind, um eine Bewegung zu schaffen, die in der Lage ist, die etablierte politische Führung effektiv herauszufordern, viel weniger eine Regierung zu stürzen.

TrainerInnen und Workshop-LeiterInnen wie ich und meine KollegInnen betonen bestimmte Strategien und Taktiken, die anderenorts erfolgreich dabei waren, Druck auf Regierungen auszuüben, ihre Politik zu verändern und die Unterstützung und Loyalität zu unterminieren, von denen Regierungen abhängig sind, um die Opposition erfolgreich zu unterdrücken. In manchen Fällen mögen AktivistInnen versuchen, einige von ihnen nachzuahmen. Aber ein Regime wird seine Macht nur dann verlieren, wenn es versucht, mit Gewalt ein System aufrechtzuerhalten, das die Menschen ablehnen, nicht weil ein ausländischer Workshopleiter einer kleinen Gruppe von oppositionellen AktivistInnen bestimmte Taktiken beschrieben hat, die in anderen Kämpfen erfolgreich in einem anderen Land zu einer anderen Zeit angewendet wurden.

In der ägyptischen Zivilgesellschaft hat es in den Jahren vor 2011 einen dramatischen Anwuchs gegeben, mit einer wachsenden Zahl von Streiks und kleinen, aber immer größer werdenden Demonstrationen von jungen, säkularen Oppositionsgruppen wie Kefaya (= "Genug!") und der Bewegung des 6. Aprils (benannt nach einem landesweiten Streik und Protesten in 2008). Steigende Unterdrückung durch die Regierung, sich verschlechternde wirtschaftliche Bedingungen und parlamentarische Wahlen im November zuvor, die noch offensichtlicher gefälscht waren als die meisten zuvor, brachten viele dazu, zu vermuten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Mubarak in einem Volksaufstand gestürzt werde.

Die USA und andere westliche Länder hatten keinen Wunsch, solche treuen Verbündeten wie Ägyptens Mubarak, Tunesiens Ben Ali oder Jemens Saleh durch Aufstände gestürzt zu sehen. Als es im Jemen offensichtlich wurde, dass der Diktator nicht länger an der Macht bleiben könne, kooperierten die westlichen Länder mit den autokratischen Monarchien im Gulf Cooperation Council, ihn aus seinem Amt zu entfernen, aber seinen ausgewählten Vizepräsidenten als Nachfolger zu bestimmen.

Schlüsselverbündete, einschließlich Familienmitglieder Salehs, blieben in Schlüsselpositionen im Sicherheitssektor und anderen Regierungsposten. In Bahrain mahnten die USA und Großbritannien die Regierung, die Unterdrückung zu lockern, aber setzten ihre Unterstützung der repressiven Monarchie fort und weigerten sich, die von Saudi Arabien geführte Invasion zu verurteilen, die den Pro-Demokratie-Kampf der Inselnation brutal niederschlug.

Was ist mit den autokratischen nationalistischen Regierungen in Syrien und Libyen, die schon lange Zielobjekt der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Mächte waren? Während die Bereitschaft dieser stark nationalistisch ausgerichteten Herrscher, die westliche Hegemonie in der Region herauszufordern, generell populär bei ihrer Bevölkerung war, galt dies nicht für ihre repressive und korrupte Herrschaft. Muammar Gaddhafis immer unberechenbarer werdende Führerschaft und Fehlmanagement hatten fast alle außer einer kleinen Zahl von bevorzugten Günstlingen entfremdet. In der Zwischenzeit war die einzige Liberalisierung, die Bashar Assad vornahm, seit er seinem Vater nachfolgte, von ökonomischer Natur, indem er Förderungen kürzte und Staatseigentum privatisierte, was auf die Kosten der armen Mehrheit des Landes ging. Beide Regimes unterdrückten auf brutale Weise selbst kleine Akte der Nichtzustimmung. Die Aufstände in Libyen und Syrien begannen als spontane gewaltfreie Erhebungen mit demokratischen, inklusiven und nationalistischen Zielen und hatten breite Unterstützung in Stadtvierteln der Arbeiterklasse. Im Falle Libyens in weniger als einer Woche und im Falle Syriens nach einigen Monaten führte die massive Repression gegen gewaltlose DemonstrantInnen durch die Sicherheitskräfte des Landes zur Desertion von Soldaten und dazu, dass ungeduldige ZivilistInnen einen bewaffneten Kampf begannen. Es war an diesem Punkt, dass ausländische Mächte anfingen, die Opposition zu unterstützen und das Ergebnis des Aufstandes zu beeinflussen, durch direkte Militärintervention im Falle Libyens und indirekt im Falle Syriens.

Selbst eine relativ geringe Hilfe kann während eines bewaffneten Kampfes eine Beziehung der Abhängigkeit schaffen, die schwer gebrochen werden kann. Sie kann eine revolutionäre Bewegung dazu bringen, auf Verlangen des Unterstützers außen- und sogar innenpolitische Politik zu treiben, die sie sonst nicht gemacht hätte. Wie jede militärische Organisation sind bewaffnete Befreiungsbewegungen nach einem autoritären Modell organisiert, das auf martialischen Werten und der Fähigkeit beruht, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Es ist kein Zufall, dass viele Guerillakommandeure diesen autokratischen Führungsstil fortsetzen, sofern sie zivile Führer in einer neuen Regierung werden. Empirische Forschung hat gezeigt, dass die Mehrzahl von Diktaturen, die durch gewaltfreie Kämpfe gestürzt wurden, sich gewöhnlich innerhalb einiger weniger Jahre zu stabilen Demokratien entwickeln, während Diktaturen, die durch bewaffnete Aufstände fielen, in der großen Mehrheit der Fälle durch eine neue Diktatur ersetzt wurden, oft mit fortgesetzter Gewalt und Instabilität.

Autokratische Regimes, die weniger Grund haben, den Wünschen ihres Volkes entgegenzukommen, sind leichter fähig, mit ausländischen Unterstützern enge Beziehungen aufzubauen, was ihre Herrschaft helfen mag zu konsolidieren, aber auf Kosten der Unabhängigkeit des Landes. Ergebnis: Zusätzlich zu den vielen anderen Problemen bewaffneten Kampfes ist es viel wahrscheinlicher, dass Abhängigkeit und wachsender Einfluss der fremden Mächte folgen. So wie eine Zahl bewaffneter Volksaufstände gegen vom Westen unterstützte Diktaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit großem Einfluss der Sowjetunion endeten, riskieren bewaffnete Aufstände gegen Diktaturen, die als Gegner des Westens gelten, ihre Unabhängigkeit an westliche Mächte zu verlieren.

Aber trotz diesen Entwicklungen und obwohl es legitime Kritik an der westlichen Intervention in Unterstützung der Rebellen in Libyen und Syrien gibt, negiert dies nicht die Tatsache, dass die ursprünglichen Aufstände vollständig hausgemacht waren. Es ist eine Beleidigung derjenigen, die ihr Leben für ihre Freiheit einsetzen, sie als schlichte Marionetten fremder Mächte zu beschreiben, oder einem arabischen Volk, das den Mut und die Intelligenz hatte, seine eigene gewaltlose Revolution zu organisieren und durchzusetzen, abzusprechen, dass die Initiative von ihm kam. Die große Mehrheit derjenigen, die in den vorwiegend gewaltfreien Aufständen engagiert waren, kämpfte schlicht für Freiheit und Gerechtigkeit, unabhängig von den internationalen Loyalitäten des bekämpften Regimes.

Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer.

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Hintergrund
Stephen Zunes ist Professor für Politik und Koordinator der Nahost-Studien an der Universität San Francisco. Er ist als Politikanalytiker für das Foreign Policy in Focus - Projekt des Institutes for Policy Studies tätig, assoziierter Herausgeber der Peace Review, und Mitvorsitzender des akademischen Beirats des International Center on Nonviolent Conflict.