Aus der kurdischen PKK wird der KADEK mit weitreichendem Anspruch

von Andreas Buro
Hintergrund
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Vom 4. bis 10. April 2002 hat die PKK, die 1984 den Guerilla-Krieg in der Türkei für einen eigenen kurdischen Nationalstaat begonnen hat und später für die Rechte von Kurden innerhalb der Türkei kämpfte, ihren 8. und letzten Parteikongress "in den Bergen" abgehalten. Die 285 Delegierten beschlossen, die PKK aufzulösen, da "mit der Verwirklichung des kurdischen nationalen Erwachens ihre historische Mission vollendet sei". Der Kongress hat gleichzeitig die Gründung von neuen Organisationen "in allen Teilen Kurdistans" und den Aufbau einer "Koordinationsorganisation, die für die Beobachtung der richtigen Umsetzung der Strategie zuständig sein soll" mit dem Namen "Freiheit und Demokratie Kongress Kurdistan", abgekürzt KADEK, beschlossen (PK in Brüssel am 16.4.02). Der auf der Gefängnisinsel Imrali einsitzende Abdullah Öcalan wurde zum Vorsitzenden der neuen Organisation gewählt.

In der Abschlusserklärung heißt es: "Erklärtes Ziel der KADEK ist die Einheit des kurdischen Volkes mit den Nachbarvölkern auf freiwilliger Basis." Gültige Grenzen sollen in diesem Prozess nicht infrage gestellt werden. Statt dessen wird eine Demokratisierung der jeweiligen Staaten angestrebt, in denen dann auch die internationalen Rechtsnormen für die kurdische Bevölkerung gelten sollen. "Der KADEK unterstützt alle Parteien und Organisationen in ihrem Streben, Regierungsverantwortung zu übernehmen, welche eine demokratische Lösung befürworten, ohne selbst Macht anzustreben."

"Der KADEK begreift die Lösung der kurdischen Frage und die demokratische freiheitliche Entwicklung der kurdischen Gesellschaft als Aufgabe des Volkes in den jeweiligen Teilen Kurdistans. Jedoch sieht er eine demokratische und solidarische Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Teilen Kurdistans vor. Die Artikulation der nationalen Einheit sieht er auf höchster Ebene im,Nationalkongress Kurdistans` (KNK) gewährleistet. Deshalb wird er sich aktiv im KNK beteiligen ... ." In seinem Streben nach Einheit der kurdischen Kräfte verkündet der KADEK eine Amnestie und ruft sogar auch die,Dorfschützer` in der Türkei auf, sich anzuschließen. Der "friedliche Volksaufstand" als Methode soll der Lösung von politischen und gesellschaftlichen Problemen dienen. Vor allem Frauen, Jugend und Intellektuelle werden zur aktiven Teilnahme aufgefordert.
 

Recht unscharf formuliert die Abschlusserklärung: "Der KADEK befindet es für richtig, im Zuge einer demokratischen Lösung jegliche Art von militärischer Auseinandersetzung zu beenden, eine Atmosphäre des Friedens und der Geschwisterlichkeit zu schaffen, und die Guerilla auf der Grundlage einer solchen Lösung gebunden zu strukturieren. Um den Erfolg einer solchen Lösung zu gewährleisten, erachtet er den Ausbau der legitimen Selbstverteidigungsposition für notwendig." Die Abschlusserklärung endet mit den Worten: "Es lebe unser Vorsitzender Apo!"

Die Neugründung bedeutet eine wichtige Veränderung. Während bisher die PKK ihren Kampf vor allem auf das türkische Siedlungsgebiet der Kurden und die Türkei konzentrierte, erhebt der KADEK den Anspruch, eine Koordinierungsstelle für kurdische Aktivitäten in allen Teilen "Kurdistans" zu sein. Er will die Gründung von vielfältigen Organisationen in allen Teilen betreiben, ihnen eine politische Orientierung vorgeben und die Menschen und Gruppierungen in allen Teilen zum Kampf um Demokratie aufrufen. Das oberste zusammenführende Gremium soll der Kurdische National Kongress sein, der schon bisher unter dem Einfluss der PKK stand. Werden sich angesichts dieses Anspruchs des KADEK nicht erhebliche innerkurdische Rivalitäten entwickeln? In dieser Hinsicht ist die Beibehaltung von Guerilla-Kräften zu bewerten. Werden diese nicht, besonders im kurdischen Nord-Irak, als konkurrierende Militärkräfte verstanden werden, die sich in diesem Gebiet eigenständige Sicherheits- und Versorgungszonen aufbauen wollen?

Zu begrüßen ist die in der Abschlusserklärung eindeutige Orientierung auf Frieden und Demokratisierung. Die Anerkennung und Nicht-Infrage-Stellung der bestehenden Staaten und Staatsgrenzen ist wichtig, um den Befürchtungen vor separatistischen Tendenzen entgegentreten zu können.

Wie kaum anders zu erwarten, ist die Neugründung der KADEK von Ankara als Etikettenschwindel bezeichnet worden. Die Befürchtung Ankaras vor separatistischen Tendenzen sind offensichtlich durch die Umgründung nicht ausgeräumt. Ankara hat erreicht, dass die PKK nun auch von dem EU-Rat auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt worden ist, obwohl diese seit langer Zeit für eine friedliche politische Lösung eintritt und einseitig auf den militärischen Kampf verzichtet hatte. Man hatte gehofft, Ankara sei ebenfalls an einer friedlichen Lösung interessiert und würde die einseitigen Vorleistungen durch entsprechende Entspannungsschritte honorieren.

Diese Hoffnung hat bisher getrogen. Nach einer anfänglichen Phase der Liberalisierung hat sich die Situation im kurdischen Siedlungsgebiet wieder verschärft. Selbst das US-State Department berichtet darüber in seinem Menschenrechts-Report. Die legale kurdische Partei HADEP wird nicht nur unsäglich verfolgt, sie wird gegenwärtig sogar mit einem Verbotsprozess überzogen. Selbst die in Europa fast selbstverständlich klingende Forderung nach muttersprachlichem Unterricht wurde von Ankara bisher nur repressiv beantwortet. So stellt sich für viele Kurden und engagierte Menschen in EU-Europa die bange Frage, ob denn die Auflösung der PKK und die Neugründung des KADEK wenigstens auf lange Sicht von Ankara friedlich-zukunftsträchtige Antworten zu erwarten hat. In den EU-Staaten ist dafür einzutreten, dass die KADEK nicht auch verboten und damit ein wirksamer Friedensdialog behindert wird.

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