Auswirkungen von Rüstungsexporten auf die Dritte Welt

von Erhard Hornberger
Schwerpunkt
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Entgegen dem Abwärtstrend bei den Militärausgaben der hochindu­strialisierten Länder seit dem Ende des Kalten Krieges, stiegen die Aufwendungen für das Militär in den Ländern der sogenannten Dritten Welt seit Anfang der 90er Jahre an. Zwischen 1989 und 1991 erhöhte sich der Anteil der Dritten Welt an den Weltmilitärausgaben von 18 auf 23 Prozent [vgl. SEF 95: 392]. Rüstungsexporte aus den Industrielän­dern spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Im Folgenden soll der Frage nach den Auswirkungen von Rüstungsexporten auf die Länder der Dritten Welt nachgegangen werden.

Eine kohärente, generelle Beantwor­tung dieser Frage ist allerdings sehr schwierig. Dem steht, neben der unter­schiedlichen Wirkungsweise und militä­rischen Verwendbarkeit der Waffensy­steme sowie anderer Rüstungsgüter, auch die Differenziertheit der Länder der Dritten Welt hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Entwicklung sowie der innen- und außenpolitischen Lage ent­gegen. Einige allgemeine Aussagen können jedoch trotzdem getroffen wer­den:

1.    Der Kauf und die Lizenzproduktion von Waffen führen zu einer Bela­stung der Zahlungsbilanz sowie des Staatshaushaltes des importierenden Landes. Somit werden Mittel gebun­den, die alternativ für eine zivile In­dustrie-, Agrar- bzw. Sozialpolitik verwandt werden könnten.

2.    Waffenlieferungen tragen zum Fort­bestand und zur Eskalation bestehen­der Kriege und Konflikte bei.

3.    Sie fördern die Militarisierung von Politik und Gesellschaft.

4.    Rüstungsexporte schaffen eine militä­risch-technologische Abhängigkeit des belieferten Dritte Welt Landes von dem exportierenden Staat.

Eine große Zahl der Länder der Dritten Welt litt in den 80er und 90er Jahren unter einer drückenden Außenverschul­dung. Außerdem wiesen viele dieser Länder eine negative Zahlungsbilanz auf, was zu Devisenknappheit und in­folge dessen zu einer weiteren Schul­denanhäufung führte. Von IWF und Weltbank wurde den verschuldeten Dritte Welt Ländern einerseits eine Po­litik der Begrenzung der Staatsausgaben im Inneren - die sogenannte Austeritäts­politik - und andererseits eine Politik der Liberalisierung des Außenhandels verordnet. Mit der Gründung der WTO (World Trade Organisation) wurde die neoliberale Politik institutionalisiert. Die Beschränkung der Ausgaben für das Militär gehört bis heute nicht zu dem Auflagenkatalog, den die internationa­len Finanzinstitutionen für die Sanie­rung des Staatshaushaltes und der Zah­lungsbilanz von krisengeschüttelten Länder der Dritten Welt bereit halten.

Dabei wirkt sich der Kauf von Rü­stungsgütern sowohl auf den Staats­haushalt als auch auf die Zahlungsbilanz des importierenden Landes negativ aus. Ein entgegengesetzter Effekt tritt nur dann ein, wenn ein Land über den Ex­port von in Lizenz produzierten Rü­stungsgütern einen Teil der damit ver­bundenen Kosten externalisieren kann. In der Praxis spielt dies jedoch für die meisten Dritte Welt Staaten keine be­deutende Rolle. Die Externalisierung von Kosten der Rüstungsproduktion ist allerdings das zentrale ökonomische Motiv für die Rüstungsexportpolitik der Industrieländer.

Die Militärausgaben von 45 der Indu­strie- und Dritte Welt Länder - darunter befinden sich u.a. Nigeria, Indonesien, Jamaika, Costa Rica, Mexiko, Somalia, Algerien, Argentinien, Brasilien, Schweiz, Spanien und Österreich - lie­gen zwischen weniger als einem und zwei Prozent des BSP. 55 Staaten wie z.B. USA, BRD, die meisten Länder der EU, Indien, Kuba, Chile, China, Sri Lanka, Tansania, Haiti, Nicaragua, Philippinen, Vietnam und Ägypten - verwenden zwischen zwei und fünf Pro­zent des BSP für das Militär. Immerhin 19 Länder - Ruanda, Pakistan, Liberia, Iran, Türkei, Libyen, Israel u.a. - geben zwischen fünf und zehn Prozent des BSP für das Militär aus. Die Gruppe der Länder, die mehr als zehn Prozent des BSP für das Militär aufwenden, umfasst 16 Staaten. Davon gehören, neben dem reichen Kuwait, Saudi Arabien und Quatar, vier Staaten - Äthiopien, Afgha­nistan, Mosambik und Kambodscha - mit einem BSP pro Kopf von unter 200 US-$ zu den ärmsten Ländern der Erde.

Diese relativen Zahlen sagen jedoch wenig über die tatsächliche Größe des jeweiligen Militärapparates aus. So wendet z.B. Japan bei nur einem Pro­zent des BSP 18.4 Milliarden US-$ für sein Militär auf. Demgegenüber betra­gen die Militärausgaben Nordkoreas bei 27 Prozent des BSP in absoluten Zahlen 5.4 Milliarden US-$ [vgl. SEF 95: 393]. Japans Militär verfügt also über die na­hezu vierfache Summe, verglichen mit Nordkorea, bei einer weitaus geringeren finanziellen Belastung der Volkswirt­schaft.

Nach der Zählweise der Hamburger Ar­beitsgemeinschaft Kriegsursachenfor­schung gab es im Jahr 1995 weltweit 35 Kriege und 15 kriegerische Konflikte [vgl. Schlichte 96: 11], wobei seit dem Zweiten Weltkrieg eine steigende Ten­denz auszumachen ist. Die Mehrzahl dieser Kriege und kriegerischen Kon­flikte werden nicht zwischen, sondern innerhalb von Nationalstaaten ausgetra­gen. Prinzipiell - hierüber gibt es si­cherlich keinen Dissens - tragen Rü­stungsexporte an die Konfliktparteien zum Fortbestand und zur Eskalation von Kriegen und kriegerischen Konflikten bei. Allerdings muß dabei nach Art und Umfang der Exporte unterschieden wer­den. Der Export von Lizenzen für den Bau von U-Booten an die Türkei durch die Kieler Firma HDW tangiert bei­spielsweise den Krieg in Kurdistan nicht direkt. Trotzdem kann diese Art des "business as usual" als eine verpasste Chance gewertet werden, über Exportre­striktionen in deeskalierender Weise auf den türkischen Staat einzuwirken. Dem­gegenüber stellt z.B. die Lieferung von russischen Radpanzern und von mehr als 250.000 Gewehren des Typs Ka­laschnikow plus Munition aus den Be­ständen der ehemaligen NVA eine Un­terstützung des türkischen Staates dar, die durch den Einsatz dieser Waffen in Kurdistan zur Perpetuierung des Krieges beiträgt und damit eine friedliche Kon­fliktlösung erschwert.

Von zentraler Bedeutung sind also die "Waffen der Kriege", d.h. Rüstungsgü­ter, die in bestehenden Kriegen und kriegerischen Konflikten zum Einsatz kommen. In Ausnahmefällen können dies auch Großwaffen sein, doch meistens handelt es sich hierbei um so­genannte Kleinwaffen. Panzer, Flug­zeuge, Kriegsschiffe und anderes Groß­gerät machen zwar den Löwenanteil der von den Dritte Welt Staaten insgesamt für Rüstungsimporte ausgebenen Sum­men aus, doch die weitaus verheeren­dere Wirkung geht von den in der Mehrzahl der Kriege und Konflikte ein­gesetzten Kleinwaffen aus [vgl. Lock 95]. Kleinwaffen sind alle Waffen, die von einer Person transportiert werden können. Darunter fallen Pistolen, Ge­wehre, Panzerfäuste, Landminen bis hin zu bestimmten Lenkflugkörpern. In So­malia zeigte sich z.B., daß die breitge­streute Verfügung über Kleinwaffen und deren Einsatz durch marodierende Ban­den den Zusammenbruch jeglicher Staatlichkeit bewirken kann. Insbeson­dere der Einsatz von Landminen - Anti-Personen-Minen und Anti-Panzer-Mi­nen - führt selbst Jahre nach dem Ende von bewaffneten Konflikten bzw. Krie­gen zu grausamem Leid und Tod sowie besorgniserregenden sozialen und öko­nomischen Folgewirkungen.

Kambodscha z.B. gehört zu den am stärksten mit Minen verseuchten Län­dern der Erde. Im Inneren des Landes und hauptsächlich entlang der 700 km langen Grenze zu Thailand sind schät­zungsweise vier bis sieben Millionen Landminen verlegt. Kambodscha hält den traurigen Weltrekord von einer Amputation auf 236 Einwohner. Ver­gleichsweise ist in den USA nur jeder 22.000ste Einwohner amputiert.

Die sozialen Folgewirkungen des Ein­satzes der billigen Landminen sind enorm: Familien wird - insbesondere in Subsistenzökonomien - durch den Ver­lust bzw. die Verkrüppelung arbeitender Angehöriger oftmals die Existenz­grundlage entzogen, die Agrarwirtschaft der betroffenen Länder kommt teilweise zum Erliegen, das ohnehin oftmals nur rudimentär ausgebaute Gesundheitssy­stem wird überfordert, es entstehen Fluchtbewegungen und die Repatriie­rung von Flüchtlingen wird, wie im Fall von Kambodscha, blockiert. In Folge des Landmineneinatzes wird die sozio-ökonomische Entwicklung des betroffe­nen Landes und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung erschwert, wenn nicht unmöglich [vgl. MET REPORT 1993].

Auch wenn in den derzeitigen Kriegen und kriegerischen Konflikten hauptsäch­lich Kleinwaffen zum Einsatz kommen, die meisten Kriege innerstaatlich sind und Großwaffen dabei eine untergeord­nete Rolle spielen, ist der Export von Großgerät keineswegs unbedenklich. Der Golfkrieg sowie die Kriege in Ex-Jugoslawien und in Tschetschenien zeigten, daß sowohl zwischenstaatliche Kriege als auch der Einsatz von Groß­waffen für die Zukunft nicht auszu­schließen sind. Daß ein ursächlicher Zu­sammenhang zwischen Rüstungsexpor­ten und dem Ausbruch von Kriegen nicht festgestellt werden kann, besagt nicht, exportierte Waffen würden im Falle eines Konflikts nicht eingesetzt. Die Waffen möglicher Kriege sind po­tentiell immer diejenigen, über die die beteiligten Militärs verfügen.

Ob das Militär und damit der Einsatz von Waffen zu einem Mittel der Innen- bzw. Außenpolitik eines Staates wird, ist zum einen davon abhängig, inwie­weit er überhaupt ein entsprechendes militärisches Instrumentarium besitzt und zum anderen, welche Alternativen dem Staat bzw. der Politik zur Verfü­gung stehen. Die Aufstellung und Er­haltung eines Militärapparates verur­sacht enorme Kosten. Die hierfür auf­gewandten finanziellen Mittel sind da­mit nicht für zivile Regulierungen von innen- sowie außenpolitischen Konflik­ten verfügbar.

Wenig bzw. nicht industrialisierte Län­der der Dritten Welt wie die Staaten Mittelamerikas sowie Teile Südameri­kas, Afrikas und Asiens wären ohne Rü­stungsimporte nicht in der Lage, ein mit modernen Waffen ausgerüstetes Militär aufzustellen. Ohne Rüstungsexporte der Industrieländer wäre z.B. der blutige Krieg des guatemaltekischen Militärs gegen die indigene Bevölkerung des Landes mit über 70.000 Todesopfern nicht möglich gewesen. Doch selbst in­dustrialisierte Länder, die nicht eindeu­tig der Dritten Welt zuzuordnen sind, wie die Türkei, oder Schwellenländer wie Indonesien benötigten und benöti­gen weiterhin die Unterstützung der hochindustrialisierten Länder für die Aufrechterhaltung ihrer militärischen Machtmaschinerie und den Ausbau ei­nes eigenen militärisch-industriellen Komplexes. Rüstungsexporte ermögli­chen also und perpetuieren die Militari­sierung von Politik und Gesellschaft.

Die Militarisierung der Länder der Dritten Welt mittels Rüstungsexporten schafft zugleich eine militärisch-tech­nologische Abhängigkeit dieser von den liefernden Staaten. Es entstehen Bin­dungen an die rüstungsexportierenden Nationen, die diesen Staaten Einfluss auf die Politik des belieferten Landes si­chern. Diese Abhängigkeit wird aller­dings abgeschwächt durch die Konkur­renzsituation auf dem internationalen Waffenmarkt. Nicht aufgehoben, son­dern nur abgeschwächt wird die Abhän­gigkeit deswegen, weil erstens die Ent­scheidung für ein bestimmtes Waffensy­stem auch den Kauf von Ersatzteilen, Wartung, Upgrades, Ausbildung etc., d.h. eine längerfristige Bindung an den Lieferer, impliziert. Zweitens kann ei­nem Dritte Welt Staat der Zugang zum internationalen Waffenmarkt durch eine gemeinsam getragene Entscheidung der exportierenden Länder erschwert oder nahezu unmöglich gemacht werden.

In der Regel kommt es jedoch äußerst selten zu einem funktionierenden inter­nationalen Waffenembargo, was der Krieg in Ex-Jugoslawien wieder einmal verdeutlichte. Ausnahmen, wie das Waffenembargo gegenüber dem Irak in der Folge des Zweiten Golfkrieges, zei­gen allerdings, daß die hochindustriali­sierten Länder durchaus fähig sind, die­ses Instrumentarium zu nutzen, um ein Land in die "neue Weltordnung" zu zwingen. Unterhalb dieser Schwelle sind die politischen und ökonomischen Interessen der exportierenden Staaten sowie deren Industrie, wenn auch nicht immer deckungsgleich, so doch kompa­tibel mit den Interessen der nach Rü­stungsgütern nachfragenden Staaten der Dritten Welt. So wird z.B. nur ein mi­nimaler Anteil der Rüstungsexportan­träge deutscher Firmen vom Sicherheits­rat der BRD abgelehnt. Trotz der oft­mals verheerenden Folgen für die Dritte Welt heißt es nicht rien ne va plus, son­dern anything goes!

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Erhard Hornberger ist Mitglied der BUKO-Kampagne "Stoppt den Rü¬stungsexport" in Bremen