Transatlantischer Kuhhandel

Barack Obama, der Abstieg des "Westens" und die Re-Vitalisierung der NATO

Anfang der 1990er schien sich alles optimal für die in der NATO vereinigten westlich-kapitalistischen Mächte zu entwickeln: die Sowjetunion war besiegt und nach eigener Deutung damit das "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama), der ultimative Siegeszug des neoliberalen Weltwirtschaftssystems als einzig zulässigem Ordnungsmodell eingeläutet. Fortan schrieb sich die NATO als neuen Kernauftrag auf die Fahnen, die soeben erlangte westliche Vorherrschaft militärisch abzusichern. Hierfür wurde die NATO zu einem global agierenden Interventionsbündnis umgebaut, während man sich parallel dazu mit den diversen Erweiterungsrunden große Teile der sowjetischen Konkursmasse dauerhaft einverleibte.

Doch dieser Prozess verlief keineswegs reibungslos, denn während die EU-Staaten eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe einforderten, pochte Washington teils recht rüde darauf, dass sie sich weiterhin mit der Rolle als "Subunternehmer Amerikas" (Ernst-Otto Czempiel) abzufinden hätten. Insbesondere als die USA nach dem Amtsantritt George W. Bushs immer unilateraler und teils sogar offen anti-europäisch agierten, spitzten sich die transatlantischen Konflikte zwischenzeitlich derart zu, dass der Fortbestand des Bündnisses ernsthaft in Frage stand.

Allerdings mündete der US-Versuch, die Aufrechterhaltung der Weltordnung im Alleingang zu bewerkstelligen, in einem finanziellen, militärischen und politischen Desaster, während gleichzeitig die Krisensymptome der westlichen Vorherrschaft immer deutlicher zu Tage treten. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich eine "Neue Transatlantische Partnerschaft" ab, deren Kitt das Bestreben ist, die westliche Dominanz zu erhalten und die ihren institutionellen Niederschlag in einer vitalisierten NATO finden dürfte. Die EU-Staaten werden sich dabei stärker an der (militärischen) Systemadministration beteiligen, dafür aber im Gegenzug eine deutliche machtpolitische Aufwertung erhalten. Burden - und Power-Sharing heißt die Devise und der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama ist der ideale Mann, um dieses neue Arrangement auf den Weg zu bringen.

Krisensymptome westlicher Vorherrschaft
In den letzten Jahren haben sich die Machtverhältnisse im internationalen System grundlegend verschoben. In einer im September 2008 veröffentlichten Studie schlug der einflussreiche "European Council on Foreign Relations" (ECFR) unmissverständlich Alarm. Der Bericht konstatiert, die EU verfüge über eine "schwindende Fähigkeit, die Spielregeln zu bestimmen." Während die Europäische Union Anfang der 90er in der UN-Generalversammlung im Schnitt noch 72% Unterstützung für Resolutionen erhalten habe, sei dieser Wert mittlerweile auf etwa 50% gefallen. Noch übler sei es den USA ergangen: ihre Quote sei von 77% auf unter 30% zum Ende der Amtszeit George W. Bushs gefallen. Im Gegenzug fänden Resolutionen Chinas und Russlands, die Anfang der 90er lediglich auf eine 50prozentige Zustimmung trafen, mittlerweile eine Unterstützung von 74% der UN-Generalversammlung. Das Fazit des Berichts fällt deshalb eindeutig aus: "Das Wahlmuster in der Generalversammlung zeigt, dass der Widerstand gegen die EU über das ganze Spektrum wächst."[1]

Darüber hinaus hat sich die Lage für die USA nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise wirtschaftlich deutlich zugespitzt. So belief sich das US-Handelsbilanzdefizit 2007 auf gigantische $700 Mrd. und die Staatsverschuldung stieg 2008 erstmals auf über $10 Billionen (rechnet man die Deckungslücke der sozialen Sicherungssysteme hinzu, so beläuft sich diese Zahl nach Angaben des US-Finanzministeriums auf über $50 Billionen). Der machtpolitische Abstieg der USA scheint somit vorprogrammiert: "Der wirtschaftliche und politische Einfluss der USA wird in den kommenden zwei Jahrzehnten sinken. Es wird mehr Unruhen auf der Welt geben, Nahrungsmittel und Wasser werden knapper, Waffen immer zahlreicher. Das prophezeit die Studie 'Global Trends 2025', veröffentlicht vom 'National Intelligence Council', dem Zentrum der US-Geheimdienste für mittel- und langfristige strategische Prognosen."[2]

Gleichzeitig stößt die neoliberale Weltwirtschaftsordnung auf immer größere Widerstände, nicht zuletzt, weil die von ihr verursache Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung zu immer häufigeren Konflikten führt, die aus Sicht der NATO-Strategen "befriedet" werden müssen. Denn sowohl die USA als auch die EU-Staaten haben ein überragendes Interesse daran, dass die NATO weiterhin in letzter Instanz für den Erhalt der bestehenden Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse bürgt. Eine Analyse von Patrick Keller von der Konrad Adenauer Stiftung für das NATO Defense College bringt die diesbezügliche Aufgabe der Allianz auf den Punkt: "Im weitesten Sinne ist die NATO heute die Schutzmacht der Globalisierung. Indem sie [...] Sicherheit und Stabilität  in wichtige Weltregionen projiziert fördert und schützt die NATO gleichzeitig den Prozess der Modernisierung und Liberalisierung."[3]

Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, wie diese Kausalkette funktioniert: Als Somalia in den 80er Jahren durch Strukturanpassungsprogramme des IWF zur Übernahme neoliberaler Politiken gezwungen wurde, brach der Staat in der Folge zusammen. Staatsangestellte konnten nicht mehr entlohnt werden, weshalb u. a. die Küstenwache entlassen wurde. Dies hatte zur Folge, dass europäische Fischfangflotten die Region leer fischten und den somalischen Fischern die Lebensgrundlage entzogen. Aus diesen zwei Gruppen – ehemalige Angestellte der Küstenwache und verarmte Fischer – setzt sich ein Großteil der nun in den Blick der Öffentlichkeit geratenen Piraten zusammen, die am Horn von Afrika Schiffe aufbringen (und damit aus NATO-Sicht den freien Warenverkehr gefährden). Anstatt aber die Ursachen des Phänomens anzugehen, entsendete die NATO jüngst zusätzliche Kriegsschiffe im Rahmen der Mission "Allied Provider" in die Region, um das Problem wortwörtlich zu bekämpfen.

Neue Transatlantische Partnerschaft
Angesichts ihrer ökonomischen Probleme ist auch den US-Eliten klar, dass ein Strategiewechsel zwingend erforderlich ist. Im Kern wird es darum gehen, die Europäische Union künftig stärker in die Pflicht zu nehmen, um so die Kosten für die (militärische) Aufrechterhaltung der Dominanz des westlich-kapitalistischen Blocks angemessener zu verteilen (Burden Sharing). Dies wird jedoch nur dann gelingen, wenn Washington im Austausch dafür auch bereit ist, die Europäische Union machtpolitisch aufzuwerten und sie tatsächlich als Partner "auf gleicher Augenhöhe" zu akzeptieren (Power Sharing).[4] Um diese "Neue Transatlantische Partnerschaft" auf den Weg zu bringen, ist Barack Obama geradezu ideal geeignet. Er kann glaubhaft einen Neuanfang versprechen, nachdem die transatlantischen Beziehungen unter George W. Bush extrem gelitten haben. Zudem dürfte es seine Popularität den EU-Staaten einfacher machen, innenpolitisch ein größeres militärisches Engagement als Beitrag zur transatlantischen Aussöhnung durchzusetzen.

Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind bereits ersichtlich. So beabsichtigt Barack Obama keinesfalls, wie zumeist angenommen, die US-Truppen vollständig aus dem Irak abzuziehen. Im Dezember 2008 ließ sein designierter Verteidigungsminister Robert Gates die Katze aus dem Sack: 40.000 US-Soldaten sollen "für Jahrzehnte" im Irak stationiert bleiben.[5] Um den USA bei der Besatzung künftig stärker unter die Arme zu greifen, beschlossen die Außenminister der NATO-Staaten beim Treffen des Nordatlantikrates Anfang Dezember 2008 einen massiven Ausbau der "NATO Training Mission-Iraq" (NTM-I). Sie soll künftig u. a. bei der "Absicherung der Grenzen", bei einer "Verteidigungsreform" und dem Aufbau von "Verteidigungsinstitutionen" Unterstützung leisten.[6] Vor allem für den Krieg in Afghanistan fordert Obama von den Verbündeten nicht nur deutlich mehr Soldaten, sondern auch die Zustimmung zu einer Ausweitung der Kampfhandlungen auf Pakistan. Berichten zufolge sollen die EU-Staaten hierfür bereits ihr Plazet gegeben haben.[7] Die EU-Staaten wiederum sehen in einer größeren Beteiligung am Afghanistan-Krieg eine der Voraussetzungen für eine Runderneuerung der transatlantischen Beziehungen, wie der "European Council on Foreign Relations" betont: "Die Frage wird wohl in Washington als Lackmustest angesehen werden, ob die Europäer als strategische Partner ernst genommen werden sollten. Somit dürfte die europäische Reaktion die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen auf lange Sicht, also die nächsten vier oder acht Jahre beeinflussen."[8]

So könnte der Obamania bald der friedenspolitische Katzenjammer folgen, da derzeit alles darauf hindeutet, dass Deutschland und die anderen EU-Staaten mit expliziter Unterstützung Washingtons künftig noch stärker auf die militärische Karte setzen werden, wie Bernd Siebert, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, bestätigt: "Es ist an der Zeit, das Bündnis auf die Zukunft vorzubereiten. Vor allem das politische Gewicht der Nato muss weiter ausgebaut werden. Die zu erwartende sicherheitspolitische Neuorientierung der USA sollten wir hierfür als Chance nutzen, um uns als Europäer wieder aktiver in die transatlantische Sicherheitsarchitektur einzubringen. Das bedeutet aber auch, dass die europäischen Partner mehr Verantwortung übernehmen müssen."[9]

 

Anmerkungen
[1] Gowan, Richard/Brantner, Franziska: A Global Force for Human Rights?, ECFR, September 2008, S. 5.

[2] Geheimdienste prophezeien Niedergang der USA, Spiegel Online, 20.11.2008.

[3] Keller, Patrick: Barack Obama’s foreign policy what can NATO expect from the next U.S. President?, NATO Defense College, Research Paper No. 43 (November 2008), S. 4.

[4] Schon gegen Ende der Amtszeit George W. Bushs wurde aus diesem Grund die EU-NATO Kooperation wieder deutlich intensiviert. Im Abschlussdokument des NATO-Gipfels in Bukarest im April 2008 wurde erstmals positiv auf die militärische Komponente der EU Bezug genommen, was die USA bis zu diesem Zeitpunkt immer abgelehnt hatten, während Frankreich gleichzeitig seine Rückkehr in die NATO-Militärstrukturen ankündigte.

[5] Raimondo, Justin: Obama, Iraq, and the Cyprus Solution. Out of Iraq? Not so fast …, Antiwar.com, 12.12.2008.

[6] Final communiqué of The Meeting of the North Atlantic Council at the level of Foreign Ministers, NATO Presseerklärung, 03.12.2008

[7] Beitrag zur Operationsführung, german-foreign-policy.com, 27.11.2008.

[8] Korski, Daniel: Enhancing the EU's role in Afghanistan, ECFR, 05.11.2008.

[9] Boßdorf, Peter: Kurz notiert, Das Parlament, 1-2/2009.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt

Themen