Kriegsdienstverweigerung

Die Bausoldaten in der DDR

von Gottfried ArltStephan Schack

25 Jahre lang gab es in der DDR die Bausoldaten. In Baueinheiten der Nationalen Volksarmee haben junge Männer, „die aus religiösen Anschauungen und ähnlichen Gründen den Wehrdienst ablehnen“ (vgl. Anordnung vom 7.9.1964) einen waffenlosen Wehrdienst geleistet. Die ersten von ihnen mussten vor allem an militärischen Anlagen arbeiten, die letzten, 1989 einberufenen Bausoldaten wurden in der Friedlichen Revolution in einen zivilen Dienst u.a. in Krankenhäusern versetzt.

In der DDR wurde die Wehrpflicht 1962 eingeführt. Verweigerung und Ersatzdienst waren nicht vorgesehen. Wer trotzdem verweigerte, musste mit Gefängnis rechnen. Dennoch haben in den ersten beiden Jahren über 1.500 junge Männer ihre Verweigerung angekündigt. Viele von ihnen waren Christen mit einer pazifistischen Haltung, die der Nachkriegsgeneration angehörten und zugleich den beginnenden Kalten Krieg zwischen Ost und West erlebten.

Einzelne Verweigerer wurden einberufen, verurteilt und inhaftiert. Anders als bei den Zeugen Jehovas, die unbeachtet von der Öffentlichkeit ins Gefängnis gingen, musste der Staat Rücksicht nehmen auf die Öffentlichkeit, die die Kirchen auch in der westdeutschen Presse hatten. In erster Linie war es wohl eher die Furcht des Staates vor dieser Öffentlichkeit, die zur Einführung der Bausoldaten führte. Es sollte vermieden werden, Mitglieder der Kirche ins Gefängnis zu stecken.

Am 7. September 1964 wurde die „Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten“ erlassen, und Anfang November wurden die ersten etwa 250 jungen Männer für 18 Monate einberufen. Die Verweigerer hatten damit erreicht, dass der Staat von seinem ideologischen Absolutheitsanspruch: „Der Friede muss bewaffnet sein“, abwich.

Bausoldaten bekamen zwar keine Waffe, mussten aber Uniformen anziehen. Nur ein kleiner Spaten auf den Schulterstücken unterschied sie von anderen Soldaten. Sie mussten ein Gelöbnis mit einem unbedingten Befehlsgehorsam ablegen und waren dem militärischen System unterworfen. Ihre Arbeit diente militärischen Zwecken, der Erhaltung und dem Ausbau militärischer Objekte, bzw. erbrachte sie der Armee finanzielle Einnahmen. Immer wieder gab es einzelne Fälle von Befehlsverweigerungen, z. B. bei Einsätzen zum Bau von Schießplätzen, die mit harten Strafen, auch Militärhaft, bestraft wurden.

Für viele Bausoldaten war die Eingliederung in das militärische System ein schwerer Gewissenskonflikt. Viele von ihnen ergaben sich dem nicht widerstandslos. Sie schrieben Eingaben wegen schlechter Arbeitsbedingungen, mangelnder Verpflegung oder der Nichteinhaltung von Dienstvorschriften durch Vorgesetzte. Gegenüber der Armee- und Staatsführung wurde die Forderung nach einem Zivildienst vorgetragen, auf Missstände in der Armee oder auf die unerträglichen Umweltbelastungen hingewiesen. Kirchenleitungen wurden gebeten, diese Forderungen zu unterstützen.

Ein vom Staat nicht erwünschter Effekt war, dass in den Baueinheiten Oppositionelle zusammenkamen, die sich miteinander austauschten und neben der Gewissensschärfung und Vertiefung ihrer Friedenshaltung auch Netzwerke für die Zeit danach schufen.

Einsatz für den Frieden ging weiter
Weil der waffenlose Militärdienst für viele Verweigerer ein fauler Kompromiss war, gaben sie sich nicht mit seiner Ableistung zufrieden. Der Einsatz für eine friedlichere Welt ging für viele auch nach der Dienstzeit weiter. Ehemalige Bausoldaten regten in Kirchengemeinden die Beschäftigung mit den drängenden Fragen des Friedens an. Sie informierten über die Wehrdienstverweigerung und bereiteten künftige Bausoldaten auf ihren Dienst vor. Es gab regelmäßige Treffen und Friedensseminare zu Themen wie gewaltloser Widerstand, Friedenserziehung oder zivile Konfliktlösung. So entstand durch das Engagement der Bausoldaten eine kirchliche Friedensbewegung, die von der Staatssicherheit argwöhnisch beobachtet wurde.

Vor allem die Evangelischen Kirchen gaben auf verschiedene Weise Unterstützung. Schon 1965 wurden in einer „Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen“ mit einer biblischen Begründung die radikalen Verweigerer in den Straflagern und die Bausoldaten als diejenigen beschrieben, die „ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn“ geben. Diese klare Positionierung der DDR-Kirchen wurde von der Evangelischen Kirche in (West)Deutschland nicht geteilt. Auf Anregung ehemaliger Bausoldaten wurde ein „Studienreferat Friedensfragen“ beim DDR-Kirchenbund geschaffen. 1980/81 wurden die jährlichen Friedensdekaden unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ durch ehemalige Bausoldaten initiiert. Sie waren an Friedensgebeten in vielen Orten der DDR und der Ökumenischen Versammlung 1988/89 aktiv beteiligt. Durch ihr Engagement haben sie dazu beigetragen, dass es im Herbst 1989 unter dem Motto „Keine Gewalt“ zur Friedlichen Revolution kam.

Die Bausoldaten waren eine kleine Minderheit unter den Wehrdienstleistenden in der DDR. Nicht vergessen werden dürfen auch die radikalen Verweigerer, die 18 bis 22 Monate im Gefängnis absitzen mussten. Sie alle haben ein Zeugnis dafür gegeben, dass es nicht umsonst ist, seinem Gewissen auch gegen Widerstand und unter Schwierigkeiten zu folgen. Sie waren so etwas wie „das Salz der Erde“ (Bibel, Matth. 5, 13), eine Kraft, die dazu beigetragen hat, eine Gesellschaft zu erneuern.

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Schwerpunkt
Gottfried Arlt (Halle/Saale), Pfarrer i. R, Bausoldat im ersten Durchgang 1964-66.
Stephan Schack (Naumburg/Saale), Dipl. Sozialpädagoge (FH), Bausoldat 1984-85, Akteur in der Friedens- und Oppositionsbewegung und der Friedlichen Revolution, Trainer, Berater & Coach für Demokratie, Interkultur und kognitive Naturwissenschaften.