Israel und Palästina

BDS und die kritische Masse zur Veränderung

von Wiltrud Rösch-Metzler

Der Aufruf zu „Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen“ (BDS) hat drei Ziele (s. Kasten): Er will, dass die von Israel eroberten und zum Teil annektierten Gebiete Golan, Gaza, Ostjerusalem und Westbank nicht länger besetzt sind, er will außerdem für die in Israel lebenden PalästinenserInnen gleiche Rechte wie für die jüdische Mehrheitsbevölkerung erreichen, und er will die Umsetzung der UN-Resolution 194, die das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr unterstreicht. Der BDS-Aufruf sagt damit nichts darüber, ob eine Einstaatenlösung oder eine Zweistaatenlösung angestrebt wird. Er fordert Freiheit für die Palästinenser in den besetzten Gebieten, gleiche Rechte für die in Israel lebenden Palästinenser und die Umsetzung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge.

BDS sind Methoden, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Vorbild für die palästinensischen Organisationen ist der Kampf gegen die Apartheid, der international unterstützt wurde, in Deutschland beispielsweise durch die Aktion der Evangelischen Frauenarbeit „Kauft keine Früchte der Apartheid“, und zur Überwindung der Apartheid geführt hatte. „Ab einem gewissen Zeitpunkt – dem Wendepunkt – realisierte die damalige Regierung, dass die Kosten für die Aufrechterhaltung der Apartheid den Nutzen eindeutig überstiegen. Der Rückzug verantwortungsbewusster multinationaler Konzerne aus dem Handel mit Südafrika in den 1980ern war schließlich einer der entscheidenden Hebel, der den Apartheidstaat – ohne Blutvergießen – in die Knie zwang. Der Grund dafür, dass dieses Instrumentarium – Boykott, Sanktionen und Kapitalabzug – sich letztendlich als effektiv erwiesen hat, war, dass es eine kritische Masse an Unterstützung erhielt, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes, die Art von Unterstützung, die wir in den vergangenen Wochen auf der ganzen Welt in Bezug auf Palästina beobachtet haben“, schrieb der emeritierte Erzbischof Desmond Tutu in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ während des Gazakrieges (1). Er rief zu einem globalen Boykott Israels auf und drängte Israelis und PalästinenserInnen, jenseits ihrer Staatsführung nach einer nachhaltigen Lösung der Krise im Heiligen Land zu suchen. „Mein Appell an die Menschen in Israel ist es, über den Augenblick hinauszuschauen, über die Wut der andauernden Belagerung hinauszuschauen, und vielmehr eine Welt zu sehen, in der Israel und Palästina koexistieren können – eine Welt, in der gegenseitige Würde und Respekt herrschen. Es erfordert ein Umdenken. Ein Umdenken mit der Erkenntnis, dass jeder Versuch, den gegenwärtigen Status quo aufrechtzuerhalten, künftige Generationen zu Gewalt und Angst verdammt. Ein Umdenken, das damit bricht, legitime Kritik an der Politik eines Staates als Angriff auf das Judentum zu verstehen. Am Ende setzt sich das Gute durch. Das Streben danach, die Menschen in Palästina von der Demütigung und Verfolgung durch die Politik Israels zu befreien, ist ein gerechtes Anliegen. Die Menschen in Israel sollten dieses Anliegen unterstützen.“ Heute hat die BDS-Kampagne in Südafrika den Rückhalt des ANC und des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu und ist weltweit eine der aktivsten nationalen Kampagnen. Viele kritisierten Tutu, etwa mit dem Einwand, Israel ginge es ums Überleben, aber es gab auch Zustimmung. In der jüdischen Community nimmt das Verständnis und sogar die Unterstützung für BDS im Allgemeinen und für Aktionen, die sich gegen Unternehmen richten, die von der Besatzung profitieren, im Besonderen, eher zu.

Einzelne Unternehmen werden als Ziele ausgewählt. So ist derzeit die „Boykott Sodastream“ -Gruppe der Jewish Voice for Peace, USA, aktiv gegen Handelsketten, die diese Sprudler-Produkte in ihren Regalen haben. Über das Sodastream Aushängeschild Scarlett Johansson, die nicht länger Botschafterin von Oxfam sein will, schrieb die Direktorin der Jüdischen Stimme, Rebecca Vilkomerson: Dass Oxfam und Scarlett Johanssen sich wegen der Verbindung der Schauspielerin zu Sodastream trennten, bedeute, dass man nicht länger für sich beanspruchen könne, Anwalt der Menschenrechte zu sein, wenn man mit einem Siedlungsunternehmen in Verbindung gebracht wird. „Israelische Politik, die Menschenrechte verweigert, Völkerrecht ignoriert und Unternehmen hilft, die von der Besatzung profitieren, werde von Menschen auf dem Globus, die sich um Gerechtigkeit sorgen, nicht länger toleriert. Dass die BDS-Bewegung diese Entscheidung in wenigen Wochen herbeiführen konnte, ist Beweis für den weltweiten Anstieg von BDS.“ (2)

Weltweite Unterstützung
Mittlerweile ist das Feld der BDS-Aktivitäten, von solchen, die sich direkt auf den Aufruf von 2005 berufen und von solchen, die von außen BDS zugerechnet werden, unübersehbar geworden. Einige Beispiele: Vier Tage lang haben kanadische GewerkschafterInnen und MenschenrechtlerInnen in Vancouver ein israelisches Containerschiff der Firma Zim am Entladen gehindert. Zuvor war an der US-Westküste in Oakland bereits ein kleineres israelisches Schiff mehrere Tage blockiert worden. Die NobelpreisträgerInnen Desmond Tutu, Adolfo Esquivel, Jody Williams, Mairead Maguire, Rigoberta Menchú und Betty Williams fordern in einem offenen Brief an die UNO und an Regierungen in aller Welt, ein rechtlich bindendes Militärembargo über Israel zu verhängen. Israel sei einer der führenden Produzenten und Exporteure von Kampfdrohnen. Israels militärische Technologie, die entwickelt wurde, um Jahrzehnte der Unterdrückung zu erhalten, werde als „praxiserprobt“ exportiert. Erneut soll eine internationale Schiffsflotte die israelische Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen. An den Planungen ist die türkische islamische Hilfsorganisation IHH beteiligt. Eine Avaaz-Petition fordert sechs Banken, Rentenfonds und Unternehmen (ABP, HP, Veolia, Barclays, Caterpillar und G4S) auf, ihre Investitionen zurückzuziehen. Über 1,7 Millionen Unterschriften waren dafür in wenigen Wochen zusammengekommen. Die Wiener Organisation „Frauen in Schwarz“, die mit regelmäßigen Mahnwachen für ein Ende der Besatzung Palästinas demonstriert, verlangt, die BürgerInnen aller Länder müssten deshalb größtmöglichen Druck auf Israel ausüben inklusive Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen und beginnend mit einem sofortigen Embargo auf alle Waffenlieferungen. Die Gesellschaft Schweiz-Palästina GSP fordert die Schweiz auf, keine Drohnen zu kaufen und israelische Regierungsvertreter nicht mehr zu empfangen. Hunderte Holocaust Überlebende haben in einer Anzeige in der New York Times zu einem kompletten Boykott Israels aufgerufen. Die Unterzeichnenden wehrten sich auch gegen einen Missbrauch von Geschichte: „Niemals wieder“ müsse NIEMALS FÜR NIEMAND WIEDER! bedeuten! 60 jordanische Organisationen, darunter Sportclubs, Menschenrechtsorganisationen und Wirtschaftsverbände haben zu einem Boykott israelischer Waren aufgerufen. Über 500 AnthropologInnen weltweit rufen zu einem Ende der akademischen Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten auf. Auf Sardinien wurden nach Protesten israelische Bomberpiloten von gemeinsamen Manövern mit der italienischen Armee ausgeschlossen. In Irland hat die Sicherheitsfirma G4S einen Kontrakt verloren. Der europäische BDS Koordinator Michael Deas sagte dazu, G4S habe bereits mehrere Kontrakte verloren, wegen seiner Tätigkeit in israelischen Gefängnissen. Nun werde die OECD G4S untersuchen, weil das Unternehmen die OECD Richtlinien für Firmen und Menschenrechte nicht einhalte.

BDS-Sonderfälle sind Palästina, Israel und Deutschland
Palästina, weil ein Großteil der Produkte auf dem dortigen Markt aus Israel stammt, palästinensische Arbeiter in völkerrechtswidrigen Siedlungen beschäftigt sind,, Israel, weil dort ein Boykottaufruf gegen eine Firma, die von der Besatzung profitiert, zu hohen Geldstrafen führen kann und Deutschland, weil hier der Vergleich mit dem Nazi-Slogan „Kauft nicht bei Juden!“ gezogen wird. Ein Boykott oder Kaufverzicht ist aber nicht gegen jüdische Firmen gerichtet, sondern gegen internationale, auch deutsche, und israelische Firmen, insofern sie von der Besatzung profitieren. Es geht nicht um das Jüdischsein eines Unternehmens, sondern um die Völkerrechtsverletzung, an der sich das Unternehmen beteiligt. Das Verständnis für einen solchen Kaufverzicht, wie ihn etwa die pax christi Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ fordert, wächst. Professor Martin Stöhr, Kirchengeschichtler und verwurzelt im christlich-jüdischen Dialog, schrieb in der Jungen Kirche: „Wer sich für einen Boykott von Waren aus jüdischen Siedlungen ausspricht, die oft durch falsche Herkunftsbezeichnungen oder joint ventures getarnt sind, demonstriert: Israels Sicherheit wie die Palästinas, also ein Verhandlungsfrieden und Gerechtigkeit, sind überlebensnotwendige Güter. Wer sich gegen Boykott ausspricht, fördert – auch unbeabsichtigt – den Aberglauben, Waffen allein könnten eine anerkannte Koexistenz zweier Völker erzwingen oder sichern. Man sieht dann eher Antisemitismus am Werk (den es eindeutig gibt) als Besatzung und Siedlungsbau.“ (3)

GegnerInnen von BDS vergessen meist auch, die mit BDS verbundenen Ziele zu erwähnen. Wie bei der Apartheid, gäbe es auch mit dem Ende der Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Politik, keinen Grund mehr für BDS. Derzeit beginnt in Deutschland eine seriöse Diskussion um BDS, an der sich beispielsweise die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung beteiligt. Sie empfiehlt international tätigen Unternehmen, ohne differenzierende Klarstellungen die BDS-Bewegung nicht zu unterstützen. „Einschränkungen von Geschäftsbeziehungen und Desinvestitionen sollten einzig die Siedlungspolitik zum Ziel haben. Ein zusätzliches positives Signal könnte darin bestehen, dass Firmen neben dem Ausschluss von Geschäftsbeziehungen mit Siedlungsbetrieben Verbindungen zu israelischen Firmen ausdrücklich aufrechterhalten oder sogar neu aufnehmen, die nicht in den besetzten Gebieten operieren.“ Im Übrigen bestehe der sicherste Weg, die geschilderten unternehmerischen Schritte abzuwenden, für die israelische Regierung darin, substanzielle Fortschritte hin zu einem Friedensabkommen mit den Palästinensern zu erzielen. „Ein Ende der Siedlungspolitik wäre aus unternehmerischer Perspektive gleichbedeutend mit der Beseitigung des Reputationsrisikos und würde deren Rückzug aus Geschäftsbeziehungen mit israelischen Firmen somit obsolet machen. Zivilgesellschaftlichen Kampagnen mit weiterreichenden Zielsetzungen würde damit zugleich das Wasser in der europäischen öffentlichen Meinungsbildung abgegraben“, so die Einschätzung der HFSK. (4) Die HSFK hat in dieser Studie, in der sie international tätigen Firmen zur Zusammenarbeit mit Firmen im israelischen Staatsgebiet rät, aber nicht untersucht, ob israelische Firmen nach israelischem Gesetz überhaupt Geschäfte mit Siedlungen ausschließen dürfen.

 

Anmerkungen
1 http://www.haaretz.com/opinion/1.610687 erschienen. Übersetzung erfolgte durch die Avaaz-Gemeinschaft.

2 http://jewishvoiceforpeace.org/blog/jvp-responds-to-scarlett-johansson-d...

3 Martin Stöhr, Waren aus jüdischen Siedlungen boykottieren? in Junge.Kirche 3/2014

4 Svenja Gertheiss/Klaus-Dieter Wolf, Wirtschaftsboykotte unter Generalverdacht: Unternehmensverantwortung und Boykott-Kampagnen gegen Israel, HSFK-Standpunkte, Nr. 3/2014, Frankfurt/M.

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Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.