Büchel

Berufungsprozess gegen Friedensaktivisten

von Gerd Büntzly
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Vor dem Landgericht Koblenz fand am 16. 1. 2019 der Berufungsprozess gegen mich statt, nachdem ich im Sommer 2017 zusammen mit fünf US-amerikanischen Pflugschar-AktivistInnen den Luftwaffenstützpunkt Büchel betreten und über eine Stunde auf einem Bunker verbracht hatte. Zwei der Freunde aus den USA, die damals mit dabei gewesen waren, waren nach Deutschland gekommen, um auszusagen, nachdem die Behörden das Verfahren gegen sie eingestellt hatten. Leider wollte das Gericht sie nicht als Zeugen hören.

Die Anklage lautete auf Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Meine Absicht bei der Berufung war, das Gericht in die Pflicht zu nehmen und darzulegen, welche Verantwortung es für die Abschaffung der Atomwaffen in Büchel hätte. Eines der Grundlagen für meine Argumentation sind die Nürnberger Prinzipien von 1945, auch als Londoner Charta bekannt. Sie stellen eine individuelle Verantwortung auch für Einzelpersonen fest, die von Kriegsverbrechen wissen, und bedrohen diese mit Strafen, wenn sie nichts dagegen unternehmen. In den 1980er Jahren erstellte der ehemalige irische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Sean MacBride (1) für die UNO ein Gutachten, das, angefangen von der Genfer Konvention von 1864, alle internationalen Verträge zur Eindämmung des Krieges berührt, die mit dem Thema Atomwaffen zu tun haben könnten. Es gibt in diesen Verträgen einige Formeln, die immer wiederkehren, etwa die, dass eine kriegführende Partei nicht alle Mittel zur Zerstörung einsetzen dürfe, die möglich seien. Oder dass die Zivilbevölkerung geschützt werden müsse. MacBride erwähnt auch alle Verbote von Massenvernichtungswaffen und von Giftgas, die es seit dem 1. Weltkrieg gibt und die immer den Zusatz haben „und alle vergleichbare Stoffe“. Er schließt Atomwaffen in dieses Verbot ein: Was gibt es Giftigeres als Radioaktivität? Und welche Waffe kann mit größerem Recht eine Massenvernichtungswaffe genannt werden als eine Atombombe? McBride sieht auch einen Zusammenhang mit der Konvention gegen Völkermord von 1948. Und er kommt zum Schluss, die Stationierung der sogenannten Mittelstreckenraketen, die damals geplant wurde, sei ein Verstoß gegen all diese internationalen Verträge und Verpflichtungen, die die USA und alle anderen Staaten der Welt seit 1864 eingegangen sind.

Weitere Texte, die ich zu Rate gezogen hatte, stammten von den Experten für internationales Recht Francis Boyle (2) und Anabel L. Dwyer (3). Sie beziehen sich u. a. auf ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1996, das nicht nur den Einsatz, sondern auch die Planung, Lagerung, das Training und die Drohung mit Atomwaffen zu einem Verbrechen gegen die Menschheit erklärt. Ich erwähnte auch den Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Non Proliferation Treaty, NPT) von 1970 und die trickreiche Art, in der die USA die übrigen Unterzeichnerstaaten über ihre Reserve gegen diesen Vertrag getäuscht haben. (4) Die sogenannte „nukleare Teilhabe“, die die NATO für sich in Anspruch nimmt, ist ein klarer Verstoß gegen Geist und Wortlaut dieses Vertrages.

Interessanter Weise sind drei Frauen, die in Schottland wegen einer ähnlichen Aktion angeklagt waren, von einer Amtsrichterin freigesprochen worden (5): Sie fand, die Angeklagten hätten keinerlei Absicht gehabt, irgend jemandem zu schaden. Mein Antrag lautete daher auf Freispruch oder darauf, das Gericht möge meinen Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Dagegen argumentierte Richter Junker schließlich in seinem Urteil, der Internationale Gerichtshof sei nur für souveräne Staaten da, eine Einzelperson könne sich nicht auf ihn berufen. Er verkürzte zwar die Strafe von 40 auf 25 Tagessätze, aber folgte ansonsten dem Ersturteil. Er behauptete auch, das Bundesverfassungsgericht könne er nicht anrufen, das würde einen solchen Antrag sofort zurücksenden. Dabei hätte er die Monstrosität des Verbrechens, gegen das wir uns wenden, abwägen müssen gegen die Mittel, die wir angewendet haben; dazu war er aber ebenso wie die Schöffen nicht willens oder in der Lage.

Das Interesse an dem Prozess war groß, zu den vorhandenen Stühlen im Saal mussten welche dazu gestellt werden, damit alle ZuhörerInnen Platz hatten. Auch die Presse war vertreten. Leider kamen zu einer Informationsveranstaltung am Abend desselben Tages nur wenige InteressentInnen. Ich bin bereit, bei Interesse nicht nur über meinen Prozess, sondern ganz allgemein über die Strategie des Zivilen Ungehorsam und ihre Geschichte in der BRD seit den 1960er Jahren einen Vortrag zu halten und zu diskutieren. Wir wollen das Verfahren bis vors Bundesverfassungsgericht und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen; das wäre der erste Fall dieser Art.

Anmerkungen
1 https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/
2 USA vs Elizabeth McAlister, NO. 2:18-CR- 22, DRAFT DECLARATION OF FRANCIS A. BOYLE, https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/
3 DECLARATION OF ANABEL L. DWYER, https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/
4 Otfried Nassauer: Nuclear Sharing in NATO: Is it Legal? (https://www.bits.de/public/articles/sda-05-01.htm) in: Science for Democratic Action / IEER / April 2001, deutsch auf: https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/
5 Scottish Court acquits Trident Ploughshares women, deutsch auf: https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/

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Gerd Büntzly ist Friedensaktivist aus Herford.