Berufungsverhandlungen der GiftgasgegnerInnen vor dem Landgericht Zweibrücken

von Klaus Vack

Im Sommer 1988 (von Montag, 27. Juni, bis Freitag, 1. Juli) fanden die fünftägigen Sitzdemonstrationen gegen Giftgas vor den Haupttoren des US-Fischbachdepots in der Westpfalz statt. Es beteiligten sich 458 Mit­glieder der Friedensbewegung, teils an einem Tag, teils über mehrere Tage, teils über die gesamte Aktionswoche.

Das US-Fischbachdepot ist ein umzäuntes Waldareal von etwa 18 km Um­fang. Die Sitzdemonstrationen konzen­trierten sich auf die drei Haupttore. Diese wurden in jenen Jahren bei vollem Betrieb täglich von 500 bis 600 Militärfahrten frequentiert. Es spricht viel dafür, daß im Vorhinein aufgrund einer Absprache zwischen dem Lager­kommandanten und der deutschen Poli­zei der Militärverkehr drastisch mini­miert bzw. über gut befahrbare Wald­wege durch sogenannte Nebentore um­geleitet wurde. Gleichzeitig wurde dafür Sorge getragen, daß auch immer mal wieder Fahrzeuge durch die besetzten Tore in das Depot einfahren „wollten“, mit Ausnahme des ersten Tages, als an den besetzten Toren überhaupt keine Fahrzeuge zu sehen waren. Es kam an diesem ersten Tag zu 77 Notierungen von SitzdemonstrantInnen wegen „ver­suchter Nötigung“. Am Dienstag kamen dann in geringer Zahl Fahrzeuge, die in der Regel von der Polizei an ein Tor herangeführt und in größerem Ab­stand angehalten wurden. Von Dienstag bis Ende der Aktion ergab die „Bilanz“ 98 weggetragene Personen mit Personalien Aufnahme wegen des Vorwurfs „vollen­deter Nötigung“.

Die politischen Folgen der Aktion wa­ren ein Durchbruch in der Bevölke­rungsmeinung der Westpfalz gegen die Lagerung von Giftgas. Bereits ein hal­bes Jahr nach der Aktion beschloß der Landtag von Rheinland-Pfalz die Forde­rung an die USA, das Giftgas abzu­trans­portieren. Jedenfalls die transportfähige Giftgasmunition im Depot Clau­sen, ebenfalls in der Westpfalz, ist in­zwi­schen weg. Es ist zu vermuten, daß noch weiteres, nicht mehr transportfähi­ges Giftgas in Rheinland-Pfalz und Hes­sen lagert, aber die unerwartete „Offenheit“ zum bis dato auch strikt ge­heim gehalte­nen Giftgasdepot Clausen hat nicht zu einer generellen Aufklärung der Bevöl­kerung durch die USA geführt. So bleibt auch die Frage im Raum, was lagert und geschieht im US-Fischbach ­Depot?

Die andere Folge der Sitzdemonstratio­nen vom Sommer 1988 waren Strafbe­fehle gemäß 240 Strafgesetzbuch (Nötigung). Vom Januar 1989 bis Sep­tem­ber 1990 hat auf Einspruch der An­ge­klagten das Amtsgericht Pirmasens in etwa 120 Fällen verhandelt und mit we­nigen Ausnahmen verurteilt, je nach ein- oder mehrmalige Fest­nah­me, in der Regel zwischen 8 und 30 Ta­gessätzen, in einem Fall zu 70 Tages­sät­zen.

Seit Oktober 1990 laufen die Beru­fungs­verhandlungen vor der 3. Kleinen Straf­kammer am Landgericht Zwei­brücken, die überwiegend zu Freisprü­chen füh­ren. Bis Mitte Juni 1991 sind vor dem Landgericht 57 Verfahren ab­geschlos­sen. 31 Mal wurde freigespro­chen, 9 Verfahren wurden auf Kosten der Staatskasse eingestellt, und in 17 Fällen hat das Berufungsgericht verur­teilt, je­doch die Urteile des Amtsge­richts Pir­masens erheblich reduziert, die Verfah­renskosten anteilig der Staatskasse auf­erlegt, und mehrere dieser her­unter­ge­stuften Urteile wurden unter Strafvorbe­halt gestellt.

So recht zufrieden kann man mit dem Trend dieser Berufungsverfahren den­noch nicht sein. Die 3. Strafkammer des Landgerichts, die über die Berufungen verhandelt, bejaht ebenso wie die „herr­schende (juristische) Meinung“ das Vor­liegen von „Gewalt“, die durch psy­chi­schen Zwang bei Sitzblockaden auf die FahrerInnen ausgeübt werde und be­rücksichtigt auch nicht die sogenannten „Fernziele“ (hier: Protest ge­gen Giftgas-Massenvernichtungswaffen).

Allerdings folgt das Landgericht Zwei­brücken der im Bundesverfassungsge­richtsurteil als zwingend gebotenen Ein­zelfallprüfung bei seiner Feststellung, was „verwerflich“ sei und was nicht. In­sofern rächt sich jetzt die nicht selten schludrige, vor allem aber befangene Herangehensweise der Pirmasenser Strafrichter, die mit wenigen Ausnah­men diese „Einzelfallprüfung“ unzurei­chend oder gar nicht vornahmen.

Außer einem Freispruch des Amtsge­richts Pirmasens, gegen den die Staats­anwaltschaft Berufung eingelegt hatte und der vom Landgericht Zweibrücken bestätigt wurde, hatte bisher kein einzi­ges Urteil des Amtsgerichtes Pirmasens vor dem Landgericht Zweibrücken Be­stand.

Da inzwischen auch das Oberlandesge­richt Stuttgart auf sorgfältiger „Einzel­fallprüfung“ besteht und bereits zahl­rei­che Verurteilungen des Landge­richts Ellwangen zur Neuentscheidung zurück­verwiesen hat, wird der juristi­sche Wirr­warr bei der Anwendung des  240 Strafgesetzbuch auf gewaltfreie Sitzblockaden für Friedensziele oder auch gegen Atomkraftwerke, Atom­mülltrans­porte usw. immer größer. Auch zeigt sich, daß der Zivile Unge­horsam am Beispiel gegen Massenver­nichtungsmit­tel zugleich als ein radikaldemokrati­sches Demonstrationsmittel zu verste­hen ist und daß die juristischen Ausein­andersetzungen gegen die Kriminalisie­rung von Sitzdemonstrationen o.ä. ein Kampf um Grundrechte sind. Gerade die widersprüchliche Rechtspre­chung in diesem Falle ist der Beleg da­für, daß der  240 Strafgesetzbuch ge­gen das in Ar­tikel 103 Absatz 2 Grund­gesetz postu­lierte Bestimmtheitsgebot verstößt.

Selbstverständlich ist auch weiterhin die Abschaffung des sogenannten Nöti­gungs-Paragraphen zu fordern, und des­halb können wir uns nicht mit der ge­bremsten aktuellen Rechtsprechung … lm Landgericht Zweibrücken und … lm Oberlandesgericht Stuttgart, die zu die­sen neuerlichen Freisprüchen führt, zu­friedengeben. Wir sollten zugleich nicht übersehen, daß es sich um des demokra­tischen Meinungskampfes willen lohnt, in Sachen ziviler Ungehorsam den Rechtsweg soweit wie möglich aus­zu­schöpfen.

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