Beschlüsse der Konferenz der Friedensbewegung vom 28. /29. November 1987

Aktionen zur Vertragsunterzeichnung vom 5.-12.Dezember 1987

Für die Friedensbewegung ist die bevorstehende Unterzeichnung des Vertrages über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen ein Erfolg. Das ist in einem Klima möglich geworden, das die Friedensbewegungen bei uns und weltweit geschaffen haben.

Die Friedensbewegung begrüßt die Unterzeichnung des Abkommens und drängt auf eine schnelle Ratifizierung sowie den baldigen Beginn der Raketenverschrottung. Wir wollen, daß die Raketenstellungen abgebaut und die Gelände wieder zivil genutzt werden. Das Abkommen muß Anfangspunkt einer Abrüstungsdynamik werden und darf nicht durch Aufrüstungen auf anderen Gebieten unterlaufen werden. Wir fordern von der Bundesregierung:

  • auf einen Stationierungs-, Bau- und Manöverstopp zu sorgen und auf eine rasche Vertragsratifizierung in den USA zu drängen
  • sich für den Verzicht jeglicher atomarer und konventioneller Ersatzmaßnahmen auszusprechen
  • einen Modernisierungsstopp für alle Atomwaffenträger zu verfügen und eigene Abrüstungsschritte einzuleiten

Die Friedensbewegung wird dafür anläßlich der Vertragsunterzeichnung insbesondere am Tag selbst und in der Zeit vom 5.-12.12. aktiv werden:

  • mit öffentlichen Versammlungen, Informationsständen und Informationsveranstaltungen
  • mit Friedensfesten in Betrieben, Kirchengemeinden, Stadtteilen ...
  • mit symbolischen Aktionen an Raketenstellungen: "Wir helfen der NATO bei der Abrüstung"

Für die Durchführung einer Sondersitzung des Bundestages aus Anlaß der Vertragsunterzeichnung

Die Unterzeichnung des Vertrages über die Beseitigung der atomaren Mittelstreckenraketen erfordert eine Sondersitzung des Bundestages. Es ist notwendig, politische Konsequenzen zu ziehen.

Es gilt, Entscheidungen zu fällen, mit welchen eigenen Schritten die Bundesrepublik einen aktiven Beitrag zu weiterer Abrüstung leisten wird.

Die Teilnehmer der Aktionskonferenz der Friedensbewegung fordern die Fraktionen des Bundestages auf, eine solche Sondersitzung einzuberufen.

Amnestie für Blockade-Aktionen

Mit der Vereinbarung über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen rückt in unmittelbare Nähe, wofür Millionen eingetreten sind, wofür Hunderttausende mit Aktionen vor den Stationierungsorten demonstriert haben. In weit über tausend Sitzblockaden vor den Toren der Raketenstützpunkte hat die Friedensbewegung in den letzten Jahren die Vernichtung dieser Massenvernichtungswaffen gefordert.

Nach der Übereinkunft über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen ist daran zu erinnern:

Gegen weit mehr als 10.000 Anhänger der Friedensbewegung wurden in den letzten Jahren strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Schon mehrere tausend Anhänger der Friedensbewegung sind wegen Nötigung verurteilt und kriminalisiert worden.

Nach wie vor setzt die Hälfte der Richter des Bundesverfassungsgerichts die Strafbarkeit von Sitzblockaden durch, während die andere Hälfte der Richter die Strafbarkeit solcher Aktionen verneint.

Die Friedensbewegung stellt erneut fest: Sitzblockaden sind keine Gewalt. Sitzblockaden der Friedensbewegung sind gewaltfreie Aktionen für eine Welt ohne Waffen.

Die jetzige Obereinkunft über die Verschrottung der Atomwaffen muß dazu führen, daß diejenigen, die sich für dieses Ziel engagierten und halfen es durchzusetzen, nicht länger als Straftäter behandelt werden.

  • Wir fordern, alle laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren einzustellen.
  • Wir fordern eine Amnestie für alle wegen Friedensaktionen verurteilten Anhänger der Friedensbewegung und unterstützen die entsprechende Initiative von Roland Vogt und anderen an den Bundespräsidenten und die Fraktionsvorstände.

Wir wenden uns gegen alle Versuche, jetzt das Demonstrations- und Versammlungsrecht einzuschränken; insbesondere auch gegen die Forderungen, Sitzblockaden in einem neuen Gesetz ausdrücklich unter Strafe zu stellen.

Erklärung zum Eingreifen von Staatsanwaltschaft und Staatssicherheit in der Umweltbibliothek der Zionskirche in Berlin (DDR)

Die Aktionskonferenz der Friedensbewegung der BRD hat mit tiefer Betroffenheit die Aktion der Staatsorgane der DDR gegen Friedens- und Umweltgruppen in der Umweltbibliothek der Zionskirche in Berlin/DDR zur Kenntnis genommen. Diese Aktion schadet den Friedensbewegungen und widerspricht den von der SED selbst gebilligten "Grundregeln einer Kultur des politischen Streits". Das Prinzip der offenen und klaren Kritik, wo "der Wille zur Verständigung, Menschenrechte und die Demokratie" verletzt werden, muß auch für den Umgang mit Minderheiten im eigenen Land gelten.

Wir begrüßen die inzwischen verfügte Freilassung der beiden inhaftierten Mitarbeiter der Umweltbibliothek. Wir fordern die Staatsanwaltschaft der DDR auf, das Strafverfahren gegen die Mitglieder von Friedens- und Umweltgruppen einzustellen und ihre Arbeit nicht weiter zu behindern.

Der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung der BRD wird aufgefordert, unsere Forderungen in einem Gespräch mit dem Ständigen Vertreter der DDR in der BRD vorzutragen. Die Konferenz fordert dazu auf, den Offenen Brief an Erich Honecker zu unterzeichnen.

"Innere Sicherheit"

Die Friedensbewegung wendet sich entschieden gegen die von der Bundesregierung geplanten Verschärfungen des Demonstrationsrechts.

Die durch nichts zu rechtfertigenden tödlichen Schüsse an der Startbahn West vom 2.11. zeitigen fatale politische Folgen: Sie sind nicht Ursache, aber propagandistischer Anlaß für die Durchsetzung lange vorbereiteter Gesetzesänderungen - v.a. strafrechtliche Sanktionen gegen "Vermummung" und die Verschärfung des Landfriedensbruchs-Paragraphen eigens gegen gewaltlose Blockadeaktionen.

Ein Vermummungsverbot hätte die Todesschüsse auf die beiden Polizeibeamten nicht verhindert; wohl aber dient es dem Ausbau des Überwachungsstaates, der verfeinerten Kontrolle und Repression oppositioneller Bewegungen.

Wir erinnern daran, daß der "Radikalenerlaß" allein von 1973 bis 1983 mehr als 1,5 Millionen Anfragen über Bewerber für den öffentlichen Dienst zur Folge hatte. "Vermummung" ist nicht zuletzt die Reaktion darauf, daß polizeiliche Kamerawagen ganze Demonstrationszüge, ob friedlich oder unfriedlich, für ihre Archive im Bild festhalten.

Anstatt die Ursachen der gewaltsamen Eskalation gesellschaftlicher Konflikte zu untersuchen und abzubauen; soll der Polizeiapparat weiter aufgerüstet und jeder einzelne Demonstrant massiv eingeschüchtert werden.

Die Versammlungsfreiheit ist ein elementares demokratisches Recht. Der Aushöhlung dieses Rechts wird die Friedensbewegung ihren entschiedenen Widerstand entgegensetzen.

BRD und Atomwaffen

Die Aktions- und Strategiekonferenz vom 28:/29.11.'87 fordert die Friedensgruppen auf, das Thema einer möglichen Mitverfügung der BRD über Atomwaffen zu diskutieren und sich mit dem Vorschlag auseinanderzusetzen, über einen entsprechenden Zusatz im Grundgesetz jegliche atomare Teilhabe verbindlich zu untersagen. Diese Diskussion soll die Frage des Verhältnisses einer solchen Kampagne zu anderen Aktivitäten der Friedensbewegung umfassen.

Begründung:

Mit ihrem Versuch, die Pershing IA der Bundeswehr aus einer Abrüstungsvereinbarung herauszuhalten, hat die Bundesregierung nicht nur die Genfer Verhandlung zeitweise torpediert. Ihr Verhalten zielte gleichzeitig darauf, diese Waffen mit den britischen und französischen Potentialen gleichzusetzen (sog. Drittstaatensysteme). Dieser Anspruch wurde auch mit Kohls "Verzichtserklärung" beibehalten, denn nur der kann auf etwas verzichten, dem diese Sache auch gehört. Damit stand erstmals seit 1965 die Frage deutscher Mitverfügung über Atomwaffen wieder auf der Tagesordnung.

Schon Henry Kissinger und Richard Nixon hatten vor einem allzu schnellen Vertragsabschluß gewarnt, weil sie meinten, "Keine deutsche Regierung" werde bei Abzug der Mittelstreckenraketen "den Sirenenklängen nach Denuklearisierung einerseits oder dem Erwerb von Atomwaffen andererseits widerstehen können".

Daß diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt nicht nur das ständige Drängen der Bundesrepublik im Rahmen der NATO über Atomwaffen mitreden zu können, daß mit ihrer Mitarbeit in der Nuklearen Planungsgruppe nur sehr unvollkommen erfüllt wurde. Die Entwicklung der aktuellen Diskussion um·eine engere deutsch-französische Kooperation zielt nicht zuletzt auch auf die Mitsprache über Atomwaffen. Dies wird von maßgeblichen Politikern beider Länder völlig offen ausgesprochen, auch wenn es noch keine endgültigen Absprachen oder Entscheidungen gibt.

In Teilbereichen auch der militärischen Atomwirtschaft gibt es längst eine enge Kooperation zwischen der BRD und Frankreich. Dies kann die geplanten Satellitenprogramme betreffen, die auch der Force de Frappe dienen sollen und betrifft heute schon die Plutoniumproduktion. Mit den existierenden oder im Bau befindlichen Anlagen in Hanau, Karlsruhe, Wackersdorf und Kalkar verfügt die Bundesrepublik selbst über alle technischen Voraussetzungen, die zum Bau von Atombomben notwendig wären. Über Trägersysteme verfügt sie ohnehin, ebenfalls über das notwendige technische Wissen. Sie ist sozusagen ein Atomwaffenstaat auf Abruf.

Wenn 1995 der Atomwaffensperrvertrag ausläuft, könnte diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werden. Aber auch heute schon bedeutet dieser Vertrag nicht, daß die BRD keine Möglichkeit hätte, über Atomwaffen zu verfügen. Es gibt einen entsprechenden Vorbehalt, der es der BRD erlaubt, unter bestimmten Bedingungen an einer europäischen Atomstreitmacht teilzunehmen ("europäische Option"). Ebenfalls kann im Kriegsfall der Vertrag dadurch außer Kraft gesetzt werden, daß die Bundeswehr atomare Sprengköpfe der USA erhält.

Alle diese Gründe lassen es sinnvoll erscheinen darüber nachzudenken, wie den Atomgelüsten der BRD entgegengetreten werden kann.

Betr.: Vanunu-Komitee auf europäischer Ebene

  1. Die Friedensbewegung wird in Zusammenarbeit mit anderen außerparlamentarischen Kräften (z.B. Anti-Atom-Bewegung) initiativ, damit im Deutschen Bundestag und im Europaparlament der Fall Vanunu und die Frage der Atomrüstung im Nahen Osten zur Sprache kommt. In diesem Zusammenhang muß die Rolle der bundesdeutschen und westeuropäischen Rüstungsexporte und ihrer Hilfe für die nukleare Aufrüstung thematisiert werden.
  1. Unterstützung des israelischen Vanunu-Komitees in seinem Einsatz für eine offenes und faires Verfahren für M: Vanunu und eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten.
  1. Gründung von Vanunu-Unterstützungskomitees auf überparteilicher Ebene in der Bundesrepublik und den EG-Staaten.
  2. Beteiligung an einer internationalen Pressekonferenz in Jerusalem·Mitte Dezember 1987, um die Forderungen des israelischen Vanunu-Komitees zu unterstützen.

Begründung:

Mordechai Vanunu ist ein israelischer ehemaliger Atomtechniker in der Reaktoranlage Dimona. Er hat 1986 Einzelheiten über die israelische Atomrüstung der britischen Zeitung "Sunday Times" mitgeteilt. Er wurde in Rom im Herbst 1986 vom israelischen Geheimdienst entführt. Am 1.12.1987 soll in Israel das Geheimverfahren u.a. wegen Landesverrat erneut eröffnet werden. Wir wollen die besondere Aufmerksamkeit deshalb auf den Fall Vanunu richten, weil dieser zum ersten Mal eindeutige Beweise für die Existenz der bisher von der israelischen Regierung immer bestrittenen atomaren Aufrüstung geliefert hat. Das Vorhandensein von atomaren Waffen macht den israelisch-arabischen Konflikt noch gefährlicher für den Nahen Osten. Unsere Solidarität für Vanunu muß besonders darin bestehen, für die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten einzutreten.

Bilaterale Kampagne einer deutsch-brasilianischen Initiative für die Kündigung des deutsch-brasilianischen Atomvertrags von 1975

Die Konferenz der bundesdeutschen Friedensbewegung unterstützt die von Vertreterinnen des BBU und der Grünen im Bundestag eingebrachten deutsch-brasilianische Initiative für die Kündigung des deutsch-brasilianischen Atomvertrags von 1975. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat weltweit die Gefahren der Atomenergie vor Augen geführt. Die Strahlenwolke als auch die Verbreitung verstrahlter Lebensmittel haben die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland als auch Brasiliens in Mitleidenschaft gezogen. Umso beunruhigender ist es, daß in vielen Ländern der Ausbau der Atomenergie weiter vorangetrieben wird, u.a. mit bundesdeutscher Hilfe. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Atompolitik ist das deutsch-brasilianische Atomgeschäft mit dem deutsch-brasilianischen Atomvertrag als Geschäftsgrundlage.

Dieser deutsch-brasilianische Atomvertrag bedeutet für die Bevölkerung in der Bundesrepublik und in Brasilien eine Energiepolitik mit verheerenden Folgen. Die Informationen über die Katastrophe der radioaktiven Verseuchung von Goiania, durch die Menschen und Umwelt mehr gefährdet wurden als durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, werden von der deutschen und brasilianischen Atomlobby bewußt unterdrückt um ihr Atomprogramm weiter durchzusetzen. Deshalb fordert die Initiative nachdrücklichst:

  1. Offenlegung der Information über sämtliche Bereiche der Kooperation auf dem Gebiet der Atomtechnologie und der damit direkt und indirekt verbundenen Rüstungskooperation.
  2. Einstellung sämtlicher staatlicher und privater Kooperationsprogramme (Rahmenvertrag und Atomgeschäft) im Bereich der zivilen und militärischen Nutzung der Atomtechnologie.
  3. Kündigung des Kooperationsabkommen vom 27. Juni 1975.

Die Konferenz beschließt die Beteiligung der Friedensbewegung als Erstunterzeichner dieses Aufrufes und Teilnahme an dieser Kampagne.

Frieden für die "3.Welt" / Verschuldung

- vorgelegt von AG 5 -

Wir betrachten die herrschende Weltwirtschaftsordnung als Hauptquelle des Elends in der 3.Welt, die allerdings auch negative Auswirkungen auf die Menschen in den Metropolen hat. Die gegenwärtige Verschuldungskrise ist dabei nur ihr sichtbarster Ausdruck. Für die betroffenen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika bedeutet sie Hunger, Elend und für Millionen sogar den Tod.

Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank sind die wichtigsten Stützen dieses Systems. Deren Politik im Sinne der kapitalistischen Metropolen führt zum Ausverkauf nationaler Wirtschaften in der 3.Welt an die Multinationalen Konzerne, zur Ausplünderung ihrer Naturreichtümer und zum Ruin der Umwelt.

Die Verschuldung ist zum festen Bestandteil neokolonialer Ausbeutung geworden - so findet inzwischen ein Netto-Kapitaltransfer von Süd nach Nord statt - und ist ein Instrument politischer Beeinflussung und Beherrschung gegenüber den Entwicklungsländern. Diese Situation trägt maßgeblich zu einer globalen Destabilisierung bei, wobei "Stellvertreterkriege" und regionale Konflikte nur die Spitze des Eisbergs sind.

Frieden und Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen. Deswegen hat die Friedensbewegung nicht nur eine moralische Pflicht zur Einmischung, sondern ist auch aus ihrem ureigenen Interesse dazu herausgefördert, die Probleme der 3.Welt als ihre eigenen zu behandeln.

In den Rüstungsexporten manifestiert sich die mörderische Politik der Bundesregierung am deutlichsteh. Rüstungsexporte und Militarisierung der 3.Welt sind eine wichtige Ursache für die Verschuldungskrise. Die Exporte müssen daher sofort unterbunden werden.

Die Friedensbewegung setzt sich ein für einen umfassenden Friedensbegriff, der auch die ökonomische Sicherheit der Völker beinhaltet, in dem Frieden und Gerechtigkeit zwei Seiten einer Medaille sind.

Die Aktions- und Strategiekonferenz beschließt, sich an der Kampagne gegen IWF und Weltbank zu beteiligen. Die Gruppen der Friedensbewegung werden aufgefordert, sich in die lokalen Vorbereitungen einzuschalten. Koordinierungsausschuß und lokale Gruppen werden aufgefordert, an der nächsten IWF-Aktionskonferenz am 23.01.88 in Bonn teilzunehmen.

Vorläufige Aktionshöhepunkte der Kampagne sind:

Frühjahrstagung von IWF und WB; Bankenaktionstage im Mai; Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen in Frankfurt; IWF-Jahrestagung September '88 in Westberlin.

 

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