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In Bosnien militärisch eingreifen?
Besser nicht!
von
Der militärische 'Befreiungsschlag' ist eine Illusion
Die Vorstellung, man könne mit einigen gezielten militärischen Aktionen das Leiden der Menschen in Bosnien-Herzegowina schnell beenden, ist eine Illusion. Weder Flugverbot und seine Erzwingung noch der Angriff auf militärische Knotenpunkte, weder der Einsatz schwerer Waffen oder gar Abschreckungs- und Vergeltungsangriffe auf Serbien könnten dies leisten.
Es gibt keinen schnellen Frieden durch militärische Interventionen. Es gibt aber die sehr reale Gefahr der Ausweitung des Krieges. Militärisches Eingreifen von außen würde noch friedliche Teile des Balkans in die Auseinandersetzungen einbeziehen. Die Folge wäre ein noch schrecklicheres Ausufern von Feindschaft und Rache und damit menschlichen Leides in den Sumpf eines nicht begrenzbaren Krieges.
Wohin soll eigentlich eine militärische Intervention führen?
Schon das viel gebrauchte Wort vom 'Befreiungsschlag' macht deutlich, daß alles, was derzeit unter dem Stichwort "militärische Intervention" diskutiert wird, ohne jedes friedenstiftende, Not und Tod begrenzende Ziel ist. Aber auch der frühere Zustand Gesamtjugoslawiens kann kaum das Ziel sein, nachdem die EG mit ihrer verfrühten und faktenschaffenden Anerkennungspolitik und mit ihrem Kantonvorschlag für Bosnien-Herzegowina, die wesentlich zur Entstehung des Krieges beitrugen, die bürgerlich-zivile Gesellschaft zugunsten einer ethnischen aufgegeben hat. Dieses neue und gleichzeitig reaktionäre Prinzip haben die UN- und EG-Vermittler Vance und Owen noch einmal in ihrem Genfer 'Friedenskonzept' bekräftigt.
Gleichzeitig wächst mit der militärischen Stärke der kroatischen und der muslimanischen Seiten deren Entschlossenheit, Entscheidungen in ihrem Sinne mit Krieg durchzusetzen. Der jüngste Angriff kroatischer Truppen sowohl auf muslimanische Einheiten als auch auf die als eigener serbischer Staat proklamierte Krajina zeigt dies nur allzu deutlich. Es geht heute nicht mehr um die Frage "wer angefangen", "wer den ersten Schuss getan hat", sondern um den Tatbestand eines Krieges aller gegen alle.
Im Falle einer militärischen Intervention des Westens käme der Westen sehr schnell in die Situation, entweder Parteigänger einer Seite zu werden oder gegen die Gräuel, Säuberungen und Herrschaftsansprüche aller Seiten ankämpfen zu müssen. Statt im vermeintlich 'gerechten Krieg' wäre man sehr bald hoffnungslos verstrickt. Der gewiss geringe politische Einfluss von UN und EG gegenüber den Kriegsparteien ginge vollends verloren. Der Krieg würde den gesamten Balkan erfassen.
Militärisches Eingreifen des Westens bedeutete das Aus für die humanitäre Arbeit der Blauhelme
Wie immer man zu den Blauhelmen steht, ihre humanitäre Hilfe rettet vielen Menschen das Leben, hilft, den harten Winter zu überstehen. Dies ist nur möglich, solange die Blauhelme nicht Partei sind. Eine Militärintervention entzöge dieser UN-Arbeit die Grundlage. Erneut wäre eine enorme Ausweitung menschlichen Leides die Folge.
Schon jetzt sind die Blauhelme stets in Gefahr, in Situationen militärischer Eskalation zu geraten und gebracht zu werden. Selbst die bewaffnete Durchsetzung humanitärer Aufträge, die vielfach gefordert wird, kann dazu beitragen, daß die Blauhelme von den Kriegsparteien als Feinde betrachtet und ihnen die Grundlage als Vermittlungsinstitution verloren geht. Politiker sprechen bereits von den 'fließenden Grenzen' des Blauhelmeinsatzes gegenüber Kampfaufträgen. Wie nahe diese Grenze bereits gerückt ist, belegen die Flugzeugträger Frankreichs u.a. in der Adria mit der ausdrücklichen Aufgabe, die Blauhelme zu schützen.
Der Winter erfordert rasches Handeln
Das ist richtig. Eine militärische Intervention würde allerdings für diesen Winter die humanitären Hilfsmöglichkeiten weiter verschlechtern. Jetzt ist es erforderlich, Flüchtlinge und Insassen von Gefangenen- und Internierungslagern so schnell wie nur möglich im Ausland aufzunehmen. Das kann ihr Leben retten.
Es müssen in den friedlichen Gebieten Bosnien-Herzegowinas mit sofortiger und großer Hilfe Zufluchtlager aufgebaut und versorgt werden (safe havens).
Unzugängliche Gebiete sind aus der Luft zu versorgen.
Wird von einer Seite Waffenschmuggel befürchtet, können bei den Verladeorten serbische, kroatische und bosnische Kontrollen eingerichtet werden.
Humanitäre Hilfe sollte auch serbischer Bevölkerung in Überlebensnot zugutekommen. Dies wäre ein wichtiges Zeichen dafür, daß nach allen Seiten mit gleichen Maßstäben gemessen und keine 'Nationalität' verteufelt wird.
Die Interventionspolitiker, die die Menschenrechte nur im Munde führen, sind deshalb u.a. mit folgenden Forderungen zu konfrontieren:
- Konsequente humanitäre Hilfe.
- Ausreichende finanzielle Ausstattung der UN für ihre Vermittlungsarbeit.
- Systematische Unterstützung der antikriegs- und demokratischen Oppositionen und ihr Einbezug in das internationale Gespräch.
- Herstellung einer Gegenöffentlichkeit in den nationalistisch-ideologisch verhetzten Gesellschaften, damit sich von innen heraus etwas verändern kann.
- Auflösung des neuen Feindbildes "die Serben".
- Durchsetzung des Embargos in Formen, die es ermöglichen, humanitäre Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
- Entwicklungsperspektiven für den ganzen Balkanraum.
- Unterstützung der Menschen und Gruppen, die von außen humanitäre Hilfe leisten, als Freiwillige in Flüchtlingslagern arbeiten, Kriegsflüchtlinge und Deserteure beherbergen usw.
Eine fast ebenso wichtige Aufgabe, befriedend auf den Krieg in Bosnien-Herzegowina einzuwirken, ist es, den neuen Konflikten vorzubeugen, die im Kosovo, in Mazedonien und in Provinzen Serbiens drohen.
Aber viele Politikerinnen und Politiker reden wahrscheinlich vor allem deshalb von Militärinterventionen, weil sie nicht bereit sind, konkret zu helfen. Die Schließung der deutschen Grenzen gegen bosnische Flüchtlinge beweist dies.
Es bedarf zukünftiger Perspektiven
Jede Militärintervention verschärfte Verfeindung und Gegensätze. Sie wäre über das, was dieser Krieg bereits angerichtet hat, eine ungeheure Belastung für die zukünftige Entwicklung. Soll der Balkan nicht zum 'Libanon Europas' werden, bedarf es einer zukunftsträchtigen Orientierungsmöglichkeit für alle Völker. Diese muß in den Verfahren der Konfliktbewältigung bereits angelegt sein.
Das Ziel ziviler Konfliktbearbeitung ist nicht Sieg der einen und Niederlage der anderen Seite. Es läßt sich vielmehr beschreiben als Verführung zur Gewaltfreiheit, zu mehr Gerechtigkeit, zu Versöhnungs- und Kooperationsbereitschaft, durch die Feindbilder und erstarrte Denkfiguren überwunden werden können.
Statt der enormen und zerstörerischen Ausgaben für eine Militärintervention gälte es, ein 'Balkan Recovery Program' in Analogie zum Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg anzubieten, an dem sich alle dortigen Länder bei Einhaltung von menschenrechtlichen und demokratischen Normen beteiligen könnten.
Out-of-area-Interessen beflügeln die Interventionsforderungen
Würden wirklich humanitäre Motive im Vordergrund stehen, man brauchte nur die Grenzen zu öffnen, um Insassen aus Internierungs- und Gefangenenlagern und Flüchtlingen eine Zuflucht zu schaffen. Umfangreiche Hilfe kann Tausenden von Menschen im muslimanisch-bosnischen und im kroatischen Bereich in sicheren Zonen das Leben retten.
Doch das Mögliche geschieht nicht. Stattdessen sprechen Politikerinnen und Politiker über Militärinterventionen mit höchst unsicherem Ausgang. Ihnen geht es nicht um Hilfe in Not, sondern um die Nutzung der 'günstigen Gelegenheit', der deutschen Gesellschaft die Zustimmung zum begrenzten Einsatz der Bundeswehr abzuverlangen. So ist auch der geplante Somalia-Einsatz nur ein Spielchip zu diesem Ziel, ebenso wie die Awacs- und Interventionsdiskussion: ein infamer Missbrauch menschlicher Not.
Wir leben in einer Zeit der Weichenstellung
Im Rahmen der europäischen Integration drängt die deutsche Bundesregierung mit darauf, die EG zu einer militärischen, global eingreiffähigen Großmacht werden zu lassen, obwohl ganz offensichtlich die wirklich wichtigen Probleme des Friedens, der Umwelt und der Überwindung von Armut militärisch nicht gelöst werden können. Also eine falsche Weichenstellung!
Die Friedensbewegung und mit ihr ein großer Teil der deutschen Gesellschaft setzen auf die Entfaltung ziviler, nicht-militärischer Konfliktbearbeitung, in der es um Vorbeugung und um die Lösung der großen Menschheitsprobleme im konkreten einzelnen Fall geht.
Nur wenn wir uns den Aufgaben der Zeit stellen, sie nicht länger militärisch abschotten und verschieben, haben wir eine Chance, mit ihnen fertig zu werden.
Diese Weichenstellung vollzieht sich nicht durch einen großen einmaligen Akt, sondern über viele Schritte: Helfen wir Flüchtlingen und Asylsuchenden oder machen wir die Grenzen dicht? Reagieren wir auf Konflikte in Bosnien, Somalia, Irak mit Waffengewalt oder durch humanitäre Hilfe und positive Sanktionen, das heißt Verständigung, Aufbau einer menschenrechtlichen Politik werden politisch und wirtschaftlich unterstützt, Kriegstreiberei wird durch Boykott und Embargo beantwortet. Entscheiden wir uns für Demokratisierungs- oder Entdemokratisierungstendenzen in der EG-Integration. Richten wir unsere Gesellschaft und unser Leben weiterhin auf die Spaltung der Gesellschaften in arm und reich aus oder entscheiden wir uns für eine solidarische Welt?
Militärintervention in Bosnien oder die beharrliche Arbeit für humanitäre Hilfe und zivile Konfliktlösung sind also zugleich Entscheidungen der Weichenstellung für unsere Zukunft und die nachfolgender Generationen.
Wir sind überzeugt, wird heute auf die humane Weichenstellung verzichtet, brennt morgen der ganze Globus!