In Bosnien militärisch eingreifen?

Besser nicht!

von Andreas Buro
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der militärische 'Befreiungsschlag' ist eine Illusion

Die Vorstellung, man könne mit einigen gezielten militärischen Aktionen das Leiden der Menschen in Bosnien-Herzegowina schnell beenden, ist eine Illusion. Weder Flugverbot und seine Erzwingung noch der Angriff auf militärische Knotenpunkte, weder der Einsatz schwerer Waffen oder gar Abschreckungs- und Vergeltungsangriffe auf Serbien könnten dies leisten.

Es gibt keinen schnellen Frieden durch militärische Interventionen. Es gibt aber die sehr reale Gefahr der Ausweitung des Krieges. Militärisches Eingreifen von außen würde noch friedliche Teile des Balkans in die Auseinandersetzun­gen einbeziehen. Die Folge wäre ein noch schrecklicheres Ausufern von Feindschaft und Rache und damit men­schlichen Leides in den Sumpf eines nicht begrenzbaren Krieges.

Wohin soll eigentlich eine militärische Intervention führen?

Schon das viel gebrauchte Wort vom 'Befreiungsschlag' macht deutlich, daß alles, was derzeit unter dem Stichwort "militärische Intervention" diskutiert wird, ohne jedes friedenstiftende, Not und Tod begrenzende Ziel ist. Aber auch der frühere Zustand Gesamtjugo­slawiens kann kaum das Ziel sein, nach­dem die EG mit ihrer verfrühten und faktenschaffenden Anerkennungspolitik und mit ihrem Kantonvorschlag für Bosnien-Herzegowina, die wesentlich zur Entstehung des Krieges beitrugen, die bürgerlich-zivile Gesellschaft zu­gunsten einer ethnischen aufgegeben hat. Dieses neue und gleichzeitig reak­tionäre Prinzip haben die UN- und EG-Vermittler Vance und Owen noch ein­mal in ihrem Genfer 'Friedenskonzept' bekräftigt.

Gleichzeitig wächst mit der militäri­schen Stärke der kroatischen und der muslimanischen Seiten deren Entschlos­senheit, Entscheidungen in ihrem Sinne mit Krieg durchzusetzen. Der jüngste Angriff kroatischer Truppen sowohl auf muslimanische Einheiten als auch auf die als eigener serbischer Staat prokla­mierte Krajina zeigt dies nur allzu deut­lich. Es geht heute nicht mehr um die Frage "wer angefangen", "wer den er­sten Schuss getan hat", sondern um den Tatbestand eines Krieges aller gegen alle.

Im Falle einer militärischen Intervention des Westens käme der Westen sehr schnell in die Situation, entweder Par­teigänger einer Seite zu werden oder gegen die Gräuel, Säuberungen und Herrschaftsansprüche aller Seiten an­kämpfen zu müssen. Statt im vermeint­lich 'gerechten Krieg' wäre man sehr bald hoffnungslos verstrickt. Der gewiss geringe politische Einfluss von UN und EG gegenüber den Kriegsparteien ginge vollends verloren. Der Krieg würde den gesamten Balkan erfassen.

Militärisches Eingreifen des Westens bedeutete das Aus für die humanitäre Arbeit der Blauhelme

Wie immer man zu den Blauhelmen steht, ihre humanitäre Hilfe rettet vielen Menschen das Leben, hilft, den harten Winter zu überstehen. Dies ist nur mög­lich, solange die Blauhelme nicht Partei sind. Eine Militärintervention entzöge dieser UN-Arbeit die Grundlage. Erneut wäre eine enorme Ausweitung mensch­lichen Leides die Folge.

Schon jetzt sind die Blauhelme stets in Gefahr, in Situationen militärischer Es­kalation zu geraten und gebracht zu werden. Selbst die bewaffnete Durch­setzung humanitärer Aufträge, die viel­fach gefordert wird, kann dazu beitra­gen, daß die Blauhelme von den Kriegs­parteien als Feinde betrachtet und ihnen die Grundlage als Vermittlungsinstitu­tion verloren geht. Politiker sprechen bereits von den 'fließenden Grenzen' des Blauhelmeinsatzes gegenüber Kampf­aufträgen. Wie nahe diese Grenze be­reits gerückt ist, belegen die Flugzeug­träger Frankreichs u.a. in der Adria mit der ausdrücklichen Aufgabe, die Blau­helme zu schützen.

Der Winter erfordert rasches Han­deln

Das ist richtig. Eine militärische Inter­vention würde allerdings für diesen Winter die humanitären Hilfsmöglich­keiten weiter verschlechtern. Jetzt ist es erforderlich, Flüchtlinge und Insassen von Gefangenen- und Internierungsla­gern so schnell wie nur möglich im Ausland aufzunehmen. Das kann ihr Leben retten.

Es müssen in den friedlichen Gebieten Bosnien-Herzegowinas mit sofortiger und großer Hilfe Zufluchtlager aufge­baut und versorgt werden (safe havens).

Unzugängliche Gebiete sind aus der Luft zu versorgen.

Wird von einer Seite Waffenschmuggel befürchtet, können bei den Verladeorten serbische, kroatische und bosnische Kontrollen eingerichtet werden.

Humanitäre Hilfe sollte auch serbischer Bevölkerung in Überlebensnot zugutekommen. Dies wäre ein wichtiges Zei­chen dafür, daß nach allen Seiten mit gleichen Maßstäben gemessen und keine 'Nationalität' verteufelt wird.

Die Interventionspolitiker, die die Men­schenrechte nur im Munde führen, sind deshalb u.a. mit folgenden Forderungen zu konfrontieren:

-     Konsequente humanitäre Hilfe.

-     Ausreichende finanzielle Ausstattung der UN für ihre Vermittlungsarbeit.

-     Systematische Unterstützung der an­tikriegs- und demokratischen Oppo­sitionen und ihr Einbezug in das in­ternationale Gespräch.

-     Herstellung einer Gegenöffentlichkeit in den nationalistisch-ideologisch verhetzten Gesellschaften, damit sich von innen heraus etwas verändern kann.

-     Auflösung des neuen Feindbildes "die Serben".

-     Durchsetzung des Embargos in For­men, die es ermöglichen, humanitäre Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

-     Entwicklungsperspektiven für den ganzen Balkanraum.

-     Unterstützung der Menschen und Gruppen, die von außen humanitäre Hilfe leisten, als Freiwillige in Flüchtlingslagern arbeiten, Kriegs­flüchtlinge und Deserteure beherber­gen usw.

Eine fast ebenso wichtige Aufgabe, be­friedend auf den Krieg in Bosnien-Her­zegowina einzuwirken, ist es, den neuen Konflikten vorzubeugen, die im Ko­sovo, in Mazedonien und in Provinzen Serbiens drohen.

Aber viele Politikerinnen und Politiker reden wahrscheinlich vor allem deshalb von Militärinterventionen, weil sie nicht bereit sind, konkret zu helfen. Die Schließung der deutschen Grenzen ge­gen bosnische Flüchtlinge beweist dies.

Es bedarf zukünftiger Perspektiven

Jede Militärintervention verschärfte Verfeindung und Gegensätze. Sie wäre über das, was dieser Krieg bereits ange­richtet hat, eine ungeheure Belastung für die zukünftige Entwicklung. Soll der Balkan nicht zum 'Libanon Europas' werden, bedarf es einer zukunftsträchti­gen Orientierungsmöglichkeit für alle Völker. Diese muß in den Verfahren der Konfliktbewältigung bereits angelegt sein.

Das Ziel ziviler Konfliktbearbeitung ist nicht Sieg der einen und Niederlage der anderen Seite. Es läßt sich vielmehr be­schreiben als Verführung zur Gewalt­freiheit, zu mehr Gerechtigkeit, zu Ver­söhnungs- und Kooperationsbereit­schaft, durch die Feindbilder und er­starrte Denkfiguren überwunden werden können.

Statt der enormen und zerstörerischen Ausgaben für eine Militärintervention gälte es, ein 'Balkan Recovery Program' in Analogie zum Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg anzubieten, an dem sich alle dortigen Länder bei Ein­haltung von menschenrechtlichen und demokratischen Normen beteiligen könnten.

Out-of-area-Interessen beflügeln die Interventionsforderungen

Würden wirklich humanitäre Motive im Vordergrund stehen, man brauchte nur die Grenzen zu öffnen, um Insassen aus Internierungs- und Gefangenenlagern und Flüchtlingen eine Zuflucht zu schaf­fen. Umfangreiche Hilfe kann Tausen­den von Menschen im muslimanisch-bosnischen und im kroatischen Bereich in sicheren Zonen das Leben retten.

Doch das Mögliche geschieht nicht. Stattdessen sprechen Politikerinnen und Politiker über Militärinterventionen mit höchst unsicherem Ausgang. Ihnen geht es nicht um Hilfe in Not, sondern um die Nutzung der 'günstigen Gelegenheit', der deutschen Gesellschaft die Zustim­mung zum begrenzten Einsatz der Bun­deswehr abzuverlangen. So ist auch der geplante Somalia-Einsatz nur ein Spiel­chip zu diesem Ziel, ebenso wie die Awacs- und Interventionsdiskussion: ein infamer Missbrauch menschlicher Not.

Wir leben in einer Zeit der Weichen­stellung

Im Rahmen der europäischen Integra­tion drängt die deutsche Bundesregie­rung mit darauf, die EG zu einer militä­rischen, global eingreiffähigen Groß­macht werden zu lassen, obwohl ganz offensichtlich die wirklich wichtigen Probleme des Friedens, der Umwelt und der Überwindung von Armut militärisch nicht gelöst werden können. Also eine falsche Weichenstellung!

Die Friedensbewegung und mit ihr ein großer Teil der deutschen Gesellschaft setzen auf die Entfaltung ziviler, nicht-militärischer Konfliktbearbeitung, in der es um Vorbeugung und um die Lösung der großen Menschheitsprobleme im konkreten einzelnen Fall geht.

Nur wenn wir uns den Aufgaben der Zeit stellen, sie nicht länger militärisch abschotten und verschieben, haben wir eine Chance, mit ihnen fertig zu werden.

Diese Weichenstellung vollzieht sich nicht durch einen großen einmaligen Akt, sondern über viele Schritte: Helfen wir Flüchtlingen und Asylsuchenden oder machen wir die Grenzen dicht? Reagieren wir auf Konflikte in Bosnien, Somalia, Irak mit Waffengewalt oder durch humanitäre Hilfe und positive Sanktionen, das heißt Verständigung, Aufbau einer menschenrechtlichen Po­litik werden politisch und wirtschaftlich unterstützt, Kriegstreiberei wird durch Boykott und Embargo beantwortet. Ent­scheiden wir uns für Demokratisie­rungs- oder Entdemokratisierungsten­denzen in der EG-Integration. Richten wir unsere Gesellschaft und unser Leben weiterhin auf die Spaltung der Gesell­schaften in arm und reich aus oder ent­scheiden wir uns für eine solidarische Welt?

Militärintervention in Bosnien oder die beharrliche Arbeit für humanitäre Hilfe und zivile Konfliktlösung sind also zugleich Entscheidungen der Weichen­stellung für unsere Zukunft und die nachfolgender Generationen.

Wir sind überzeugt, wird heute auf die humane Weichenstellung verzichtet, brennt morgen der ganze Globus!

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