Bleiberecht für Romaflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien

von Juliane Pilz

Jahrelang haben Roma-Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien gegen ihre Abschiebung protestiert und ein Bleiberecht mit Arbeits- und Ausbildungserlaubnis in der Bundesrepublik gefordert. Auch mit ihrer letzten bewundernswerten Dauerdemonstration mit Hauptstandort Düsseldorf von April bis November 2002 konnten sie ihr Ziel nicht erreichen. Bis auf die kurze Aussetzung der Abschiebung von Familien mit minderjährigen Kindern im Winter (NRW und Berlin) werden sie zur "freiwilligen" Ausreise" genötigt oder meist zwangsrückgeführt. Das Rücknahmeabkommen mit Serbien vom September 2002, von Bundesinnenminister Schily als "wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der illegallen Migration aus dem Balkan"(1) erklärt, hält die Abschiebemaschinerie in Gang - im Zweiwochenrhythmus Sondermaschinen nach Belgrad, die "Fracht" wird am Flughafen entladen, einen Empfänger gibt es nicht. Die seit mehr als 10 Jahren in der Bundesrepublik lebenden Betroffenen sind sich selber überlassen und können sehen, wo sie bleiben. Schwere Krankheit oder Behinderung, Traumatisierung, Trennung der Familien - Abschiebehindernisse aus humanitären Gründen? Was zählt, ist ob jemand den Flug lebend überstehen kann.

Abschiebung ist unverantwortlich
"Roma-Rückkehrer müssen damit rechnen, dass sie in Ghettos verdrängt werden, auf massive Ablehnung stoßen, sich mit blindem Chauvinismus auseinandersetzen müssen und in absolute Verelendung gestoßen werden."(2) Abschiebungen von Roma-Flüchtlingen sowohl nach Serbien als auch in den Kosovo sind nicht zu verantworten, so die einhellige Meinung von Vertretern von UNMIK, UNHCR, NGOs, und Roma-Organisationen in Serbien im Frühjahr 2003.(3)

90 % der Roma in Serbien-Montenegro-Kosovo leben in heruntergekommen Barackenvierteln unter extrem unhygienischen Verhältnissen. 70% der Roma-Haushalte haben kein fließendes Wasser, 84 keine Kanalisation. Die Sterberate der Kinder ist 60 % höher als bei anderen Kindern. Schulbesuch ist für die meisten nicht möglich. 55% der Familien haben kein regelmäßiges Einkommen, 70% - 80% keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Viele Krankheiten können nicht behandelt werden, da sie privat finanziert werden müssen.

Das Leben findet überwiegend in Pappkartons, Wellblechhütten oder maroden Einzimmerwohnungen statt, häufig in wilden Ansiedlungen an Straßenrändern, Müllhalden oder auf freiem Feld. Allein in Belgrad gibt es 150 solcher "wilder" Unterkünfte. Sie stehen zum Abbruch an, aber Ersatzwohnraum gibt es nicht. Ein Roma-Camp in Belgrad, in dem 962 Menschen, auch aus Deutschland Abgeschobene, leben, heißt ´Deponije`. "Der Name "Deponije" ist nicht etwa ein historischer, vielmehr leben die Menschen hier tatsächlich auf dem Müll. Die Halde wird zwar nicht mehr beliefert, aktiv genutzt wird jedoch die Sickergrube. Gerade als wir den Ort verlassen wollen, fährt ein Tankwagen Jauche aus der Stadt an und lässt sie in die Sickergrube ab. In unmittelbarer Nähe wäscht eine Roma-Frau ihren Teppich, und die Kinder spielen am Rand der Grube"(4).

Zur Rückführung der Romaflüchtlinge aus ganz Europa befragt, warnte der Vorsitzende der Roma-Union in Prizren/Kosovo 2002: "Sollten die europäischen ... Staaten an diesem Plan festhalten, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis diese Menschen wieder nach Schutz in Deutschland oder anderen europäischen Staaten nachsuchten."(5)

Die soziale Lage von Roma in den nicht durch Bürgerkrieg und Krieg zersprengten osteuropäischen Staaten ist kaum besser als in Serbien.

Ein Anfang 2003 veröffentlichter Untersuchungsbericht von UNDP kommt zu dem Ergebnis: "Nach den von UNDP weltweit angewandten Entwicklungsindikatoren liegen die osteuropäischen Roma auf dem Stand Botswanas. Jeder Zweite leidet mehrere Tage im Jahr unter Hunger, jeder Sechste hungert ständig"(6).

Welchen Sprengstoff soziale Lage und Desintegration von Roma in den ehemaligen Ostblockländern bergen, kann am Beispiel der Slowakei verdeutlicht werden(7). "Die Roma sind die Verlierer des Systemwechsels, der Konkurrenzdruck verdrängte sie aus dem Arbeitsmarkt, ihre soziale Lage verschlechterte sich drastisch und ihre soziale Ausgrenzung nahm radikal zu ... Eine besondere Dramatik erlangte die Roma-Problematik ... von 1998-2003. Vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsanstrengungen der Slowakei wurden ethnopolitische Konflikte, insbesondere von Roma, von autoritären und populistischen Parteien mit Hilfe nationalistischer Propaganda angeheizt und für deren Machtinteressen instrumentalisiert ... ." Vertreter von Parteien, die in Umfragen zeitweilig an erster oder zweiter Stelle der Wählergunst stehen, nutzen die höheren Geburtenraten von Roma-Familien, um eine Bevölkerungsexplosion an die Wand zu malen, gegen die sich die Mehrheitsbevölkerung nur durch "Reservate auf amerikanische Weise" schützen könne. "Zigeuner" sind in ihrer aggressiv rassistischen Rhetorik "mental retardiert" "Debile", "emotional und menschlich auf dem Niveau von Tieren".

"Was soll daran human sein, wenn man es ermöglicht, dass ein Debiler einen Debilen gebärt und somit der Anteil der Debilen und der Schwachsinnigen an unserem Volk zunimmt?", so die Frage eines Politikers der Slowakischen Nationalpartei. "... der Umgang mit Roma (ist) nicht nur eine Frage des Minderheitenschutzes, sondern eine Systemfrage, die über die Frage der Demokratie entscheidet". Diese Warnung des Autors der Untersuchung zur Situation der Roma in der Slowakei07 betrifft mit der Slowakei auch die anderen Staaten Europas, nicht zuletzt die Bundesrepublik.

Blick nach vorn zurück
Eine regierungsamtliche Erhebung in der Slowakei im Jahre 1995 ergab, dass 66 % der Slowaken wollen, dass Roma getrennt von der Mehrheitsbevölkerung leben. Verschiedene, etwa zeitgleiche Umfragen in der Bundesrepublik ergaben, dass ebenfalls ca. 66 % der Deutschen starke Vorbehalte gegen Roma haben und sie nicht zu Nachbarn haben wollen(8).

Noch gibt es bei uns keine vergleichbar aggressive Stimmung und Rhetorik gegen Roma, wie in der Slowakei oder anderen osteuropäischen Staaten.

Doch was wird geschehen, wenn die Roma im vereinten Europa ganz legal ihre Länder verlassen, um in Deutschland vor dem neuen "Antiziganismus" in ihren Herkunftsländern Schutz und Bleibe zu suchen? Rechtliche Schranken, Schutz der Grenzen durch den BGS und Diskriminierung als "illegale Migranten" können sie als EU-Staatsbürger nicht mehr daran hindern zu kommen. Wie aber werden sie aufgenommen?

Romaflüchtlinge und deutsche Unterstützer fordern nicht allein aus humanitären, sondern auch aus historischen Gründen ein Bleiberecht, mit der Möglichkeit sich zu integrieren. Sie weisen darauf hin, dass ein vergleichbarer Umgang mit jüdischen Flüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion undenkbar wäre. Auch der Berliner Appell vom Frühjahr 2003 "Bleiberecht für Romaflüchtlinge aus Jugoslawien" mit bekannten Erstunterzeichnern aus Politik, Kultur und Gesellschaft, nicht zuletzt jüdischen BürgerInnen und Repräsentanten, begründet die Bleiberechtsforderung mit der besonderen historischen Verantwortuung Deutschlands (s. Kasten).

Die deutsche Schuld an der Massenvernichtung der "Zigeuner" ist mittlerweile - nach zähen Kämpfen der überlebenden Sinti und Roma - regierungsamtlich anerkannt. Seit 1994 anlässlich Himmlers "Auschwitz-Erlass" vom 16. Dezember 1942 wird sie in einem offiziellen (der Öffentlichkeit allerdings unbekannten) Gedenkakt gewürdigt: im Bundesrat, durch den jeweiligen amtierenden Präsidenten.

Doch was nützt das Bekenntnis zum verantwortlich sein, wenn der Wille zum verantwortungsvoll handeln fehlt.

Wer sich ein wenig mit dem langen Weg der Sinti und Roma in die Massenvernichtung befasst hat, weiß, dass er lange vor dem Faschismus mit ihrer sozialen Abwertung, Ausgrenzung und Verfolgung begonnen und bruchlos in den Massenmord an der "asozialen, minderwertigen Rasse" geführt hat. Das Stigma "asozial" haftet Roma bis heute an. Es kann immer wieder neu chauvinistisch - rassistisch - neofaschistisch aufgeladen werden, solange ihnen die soziale und menschenrechtliche Integration verweigert wird. Diese historische Erfahrung in Rechnung stellend, hätte das Bleiberecht für die Romaflüchtinge aus Jugoslawien ein kleines Signal für ein dem inneren Frieden verpflichtetes Europa sein können. Der Rausschmiss der "illegalen Migranten aus dem Balkan" ist das Gegenteil.

Anmerkungen
 
 
    1 FR 16.9.02)
 
 
    2 Gesellschaft für bedrohte Völker, Minderheit ohne Stimme: Roma in Serbien - Montenegro - Kosovo 10/2001).
 
 
    3 Rüdiger Sagel, MdL NRW, "Aktuelle Situation von Roma-Flüchtlingen in Serbien und Kosovo. Reisebericht vom 4.-12. März 2003, S. 3.
 
 
    4 Brigitte Derendorf/Rüdiger Sagel, Bericht über eine Reise nach Serbien und in den Kosovo vom 20.-26.10.02, S. 5. GGUA Flüchtlingshilfe 48153 Münster)
 
 
    5 Diakonie Mark-Ruhr e.V., Zur Situation in potentiellen Rückkehrgebieten für Roma und Ashkali. Kurzprotokolle von Interviews anlässlich einer Hilfsmaßnahme vom 7.-21. September 2002)
 
 
    6 FR 16.1.03
 
 
    7 Zitate Karel Vodicka "Einmal Verlierer, immer Verlierer? Zur Situation der Roma in der Slowakei", in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6/2003, S. 724 ff)
 
 
    8 Wolfgang Wippermann, Wie die Zigeuner. Antiziganismus und Antisemitismus im Vergleich, Berlin 1997.

 

Berliner Appell
Bleiberecht für Romaflüchtlinge aus Jugoslawien

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Appells, schließen uns der Initiative aus Berlin an und mahnen:

In Erwägung der besonderen historischen Verantwortung, die Deutschland gegenüber den 500.000 Opfern des Holocaust an den europäischen Sinti und Roma und ihren Nachkommen hat, und angesichts der aktuellen prekären Situation der Roma in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien appellieren wir an den Bundesinnenminister und an die Innenminister der Länder, langjährig in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Romaflüchtlingen ein Bleiberecht zu gewähren und ihnen die Integration in unsere Gesellschaft zu ermöglichen.

Viele von ihnen leben schon seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben mehrheitlich versucht, sich trotz unsicheren Aufenthalts in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ihre Kinder besuchen die Schule oder haben sie bereits erfolgreich absolviert. Eine zwangsweise Rückführung nimmt ihnen jede Perspektive auf ein Leben in Würde.

Zehntausende Roma flohen seit Ende der achtziger Jahre aus dem Kosovo und mit Beginn des Bürgerkrieges Anfang der neunziger Jahre aus allen Teilen Jugoslawiens. Sie suchten Schutz vor Diskriminierung, Verelendung, Vertreibung und erzwungenem Militärdienst. Wie so oft in ihrer Geschichte haben sie keinen Krieg angezettelt, wurden aber Opfer der militärischen Auseinandersetzungen, von Zwangsmaßnahmen und Bedrohungen.

Unterschriften an: Flüchtlingsrat NRW e.V., Bullmannaue 11, 45327 Essen, e-Mail: info at frnrw.de
 

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Hintergrund
Juliane Pilz, langjährige Tätigkeit bei ProAsyl/ Flüchtlingsrat Essen und Essener Friedens-Forum.